"Poroschenko ist unser Robespierre"
Seite 3: "Wenn die Menschen arm sind, ist die Identität das Wichtigste, was ihnen noch bleibt"
- "Poroschenko ist unser Robespierre"
- "In Russland gibt es eine Ruhe vor dem Sturm"
- "Wenn die Menschen arm sind, ist die Identität das Wichtigste, was ihnen noch bleibt"
- "Der Rechte Sektor wurde mit Hilfe der Präsidialverwaltung auf den Maidan gebracht, um diesen zu diskreditieren"
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Die ideologische Umorientierung ging so schnell?
Sergej Kiritschuk: Die Nationalisten bestanden damals aus zwei Gruppen. Ein Teil waren Konformisten. Früher waren sie Ideologen in der Kommunistischen Partei. Sie haben sich "neu angemalt". Ein anderer Teil war die junge Generation, die unter der neuen, nationalistischen Sichtweise aufwuchs. Doch die nationale Bourgeoisie war der Meinung, dass das nicht reicht. Und dann kam (2005) Viktor Juschtschenko an die Macht. Unter Juschtschenko bekam der Nationalismus aber keine neue Qualität. Dann wurde 2010 Viktor Janukowitsch Präsident. Er kontrollierte zwar alle Finanzströme, schaffte die nationalistische Propaganda aber nicht ab. Der Gouverneur des Lviv-Gebietes (im Westen) hat weiter Blumen am Denkmal von Stepan Bandera niedergelegt. Im Osten legte man dagegen Blumen am Denkmal für sowjetischen Soldaten nieder.
Gab es weitere Gründe für den Nationalismus?
Sergej Kiritschuk: Natürlich. Wenn die Menschen arm sind, ist die Identität das Wichtigste, was ihnen noch bleibt. Das sieht man jetzt auch in der islamischen Welt.
Aber der Maidan war 2013 noch ein sozialer Protest?
Sergej Kiritschuk: Nein. Auf dem Maidan gab es schon ganz zu Beginn eine starke nationalistischen Stimmung. Es gab eine große Toleranz den Ultrarechten gegenüber. Heute sagen unsere Opponenten, dass die Ultrarechten auf dem Maidan in der Minderheit waren. Ja, sie waren in der Minderheit, aber sie waren eine aktive Minderheit.
Aber das wichtigste Motiv der 200.000, die im November, Dezember 2013 auf den Straßen von Kiew unterwegs waren, war doch die Verbesserung des Lebens.
Sergej Kiritschuk: Ja und nein. Soziale Forderungen können auch reaktionär sein. Auf dem Maidan gab es eine Ideologie des sozialen Rassismus, wonach die Mittelschicht angeblich alles produziert. Angeblich lebt das Land auf Kosten der Mittelschicht, welche die Steuern bezahlt.
Sie wollen sagen, die 200.000 Demonstranten gehörten alle zur Mittelschicht?
Sergej Kiritschuk: Das waren zu 90 Prozent Angehörige der Mittelschicht oder solche, die meinten, sie gehörten dazu. Der aktivste Teil der Bewegung war der Auto-Maidan. Die machten Auto-Korsos und Jagd auf Tituschki (bezahlte Schläger von Präsident Janukowitsch, U.H.). Unter Janukowitsch lag der Monatslohn im Schnitt bei 500 Euro. Aber ihre Autos kosteten 50.000 Euro. Das waren keine armen Leute.
Der soziale Rassismus hat viele Ebenen. Erstmal geht es gegen das Erbe der Sowjetunion, gegen den Sowok (rückständiger, sowjetischer Alltag) und "das totalitäre Regime, das uns zu Sklaven machte". Das zweite ist der Hass auf die Arbeiter und die Ärmsten in der Gesellschaft, gegen die "Bydlo", "die Dummen" und "Ungebildeten". Das Dritte, was zu diesem Rassismus gehört, ist der Nationalismus, nicht unbedingt in radikaler Ausprägung.
Und was denken die Menschen in der Ost-Ukrainer über sich?
Sergej Kiritschuk: Sie meinen, dass sie das Bruttoinlandsprodukt der Ukraine schaffen. Das ist wahr, denn zwanzig Prozent des Bruttoinlandsprodukts und 50 Prozent des Exports wurden in der Ost-Ukraine geschaffen. Den größten Teil der ukrainischen Fremdwährungs-Einnahmen bekam die Ukraine über die Exporte der Stahlwerke im Osten des Landes. Aber auf dem Maidan in Kiew hieß: "Die Menschen in der Ost-Ukraine sind dumm. Die Stahlwerke sind veraltet. Wir schleppen diese Leute mit durch."