"Poroschenko ist unser Robespierre"
Seite 4: "Der Rechte Sektor wurde mit Hilfe der Präsidialverwaltung auf den Maidan gebracht, um diesen zu diskreditieren"
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Was kannst Du zu der Rolle von Janukowitsch sagen. War er ein Oligarch oder war das nur sein Sohn, Aleksandr?
Sergej Kiritschuk: Janukowitsch war ein Beamter. Er hatte kein Eigentum, keine Fabriken. Aber während der drei Jahre, als Janukowitsch Präsident war, wurde sein Sohn Miteigentümer aller großen Unternehmen in der Ukraine. Er wurde zum Eigentümer des Ski-Kurorts Bukovel in den Karpaten. Wenn irgendwo ein neues Einkaufszentrum gebaut wurde, wurde Aleksandr Janukowitsch Miteigentümer. Alle Oligarchen - auch Dmytro Firtasch - mussten mit Aleksandr teilen. Die Minister wurden verpflichtet, dem Präsidenten Janukowitsch Geld in Cash zu bringen. Woher konnten die Minister das Geld nehmen? Nur von den Oligarchen.
Eigentlich war doch absehbar, dass man die Ukraine mit ihren zahlreichen Oligarchen-Clans, die alle unterschiedliche Interessen haben, so nicht lenken kann.
Sergej Kiritschuk: In Kiew gibt es das Lukjanow-Untersuchungsgefängnis. Dort saßen im Laufe der drei Jahre etwa 1.000 Unternehmer ein, die sich geweigert hatten, ihr Unternehmen auf Aleksandr Janukowitsch zu überschrieben. Das waren kleine Druckereien und ähnliches. Man hat sie unter absurden Vorwänden eingesperrt. Ich kenne mehrere Unternehmer, die in diesem Gefängnis einsaßen.
Außerdem schuf sich Janukowitsch eine bequeme Opposition. Er gab der (rechtsradikalen, U.H.) Partei Swoboda Geld. Der Traum von Janukowitsch war, dass er in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen gegen Tjagnibok antritt. In diesem Fall hätte der Leiter der nazistischen Swoboda-Partei natürlich verloren.
Gibt es Beweise für diese Finanzierung?
Sergej Kiritschuk: Ich habe keine konkreten Beweise. Nicht Janukowitsch selbst hat Swoboda finanziert. Sein eigenes Geld hat er niemals eingesetzt. Das war ein Projekt des Leiters der Präsidialadministration. Andriy Klujew.
Während des Maidan gab es von Seiten der Präsidialadministration zahlreiche Provokationen. Der Rechte Sektor wurde mit Hilfe der Präsidialverwaltung auf den Maidan gebracht, um diesen zu diskreditieren und die Mittelklasse, die dort demonstrierte, zu verängstigen. Der Plan klappte. Die Unterstützung des Maidan sank in Kiew von 57 auf 47 Prozent. Aber die kritische Masse war schon zu groß und die öffentliche Meinung spielte schon nicht mehr eine so große Rolle.
Aber Sie haben keine Beweise für diese These.
Sergej Kiritschuk: Ich kann nur sagen, dass der letzte Politiker, den Janukowistsch am 20. Februar (unmittelbar vor seiner Flucht U.H.) in der Präsidialverwaltung empfangen hat, der Leiter des Rechten Sektors, Dmitri Jarosch, war. Der hat seinen Besuch bestritten. Aber er ist im Besucherprotokoll verzeichnet.
Ich bin überzeugt davon, dass Janukowitsch nicht den Befehl gab, auf Menschen zu Schießen. Wer geschossen hat, dass ist die Frage. Jetzt führt die Generalstaatsanwaltschaft Ermittlungen gegen drei Mitglieder der Partei Swoboda. Das ist nicht nur ein Skandal. Damit wird die ganze Erzählung vom Maidan zerstört.
Sie leben seit Mai 2014 in Berlin?
Sergej Kiritschuk: Ich war am 5. Mai eingeladen worden, vor der Fraktion "Die Linke" in Berlin über die Ukraine zu berichten. Wenige Tage später begannen Verhaftungen von Aktivisten in Charkow. Ich beschloss damals nicht in die Ukraine zurückzukehren. Meinen Genossen in Charkow habe ich empfohlen, ebenfalls abzureisen. Viele hörten nicht auf mich. Am 7. Mai versuchten die Rechten in Charkow Links-Aktivisten zu entführen. Der Rechte Sektor schoss am Lenin-Denkmal in Charkow in die Luft. Sie fingen Denis Lewin, einen unserer Anführer. Aber Lewin wurde von Passanten befreit.
Ich selbst wurde im April 2014 verfolgt. Ich habe keine zwei Nächte an einem Ort geschlafen. Unser Büro in Charkow wurde von Leuten mit Gesichtsmasken verwüstet. In der Nacht auf den 15. März wurden in Charkow zwei Aktivisten auf einer Antifaschistischen Demonstration von Leuten des Rechten Sektors erschossen ("Rechter Sektor" mordet im ostukrainischen Charkow). Die Organisation Borotba existiert noch. Aber die Mitglieder treten nicht mehr öffentlich auf. Es ist zu gefährlich. Unsere Leute sind demoralisiert.
Von deutschen Linken gab es im Sommer 2014 Vorwürfe gegen Sie.
Sergej Kiritschuk: Es wurde gesagt, ich sei ein russischer Nationalist.
Wie kam es dazu?
Sergej Kiritschuk: Ich hatte Leute auf eine Veranstaltung mit den Autoren Stanislav Byshok und Alexey Kochetkov eingeladen. Sie wollten ihr Buch "Neonazis & Euromaidan" in Berlin vorstellen. Die Veranstaltung wurde dann jedoch wegen Vorwürfen gegen die Autoren abgesagt.
Die beiden Autoren waren früher russische Nationalisten. Sie hatten sich aber von ihren früheren Positionen verabschiedet. Ihre Untersuchung über den Maidan war professionell durchgeführt. In Europa war das Thema "Rechte auf dem Maidan" damals ein Tabu. Ich habe gesagt, man könne über das Buch diskutieren. Ich habe dann meine Position in einem Interview mit Andrej Hunko erklärt.
Die Kampagne gegen mich wurde damals von einer kleinen, anarchistischen Organisation in der Ukraine, Autonome Union der Arbeitenden, geführt. Einer ihrer Mitglieder lebt in Deutschland, übersetzt Texte ins Deutsche und verschickt sie.
Als die Bundestagsabgeordneten der Partei "Die Linke", Andrej Hunko und Wolfgang Gehrke, später nach Kiew fuhren, machten diese Leute ein Flugblatt. Darin wurden die beiden Abgeordneten als Agenten des "Putin-Imperialismus" bezeichnet. Man kann diese beiden Politiker vielleicht für etwas kritisieren, aber dass sie Agenten sind, das ist absurd. Danach endete die Kampagne. Diese Leute hatten einfach übertrieben.
Frage: Vielen Dank für das Gespräch!
Von Ulrich Heyden erschien im Mai das Buch "Ein Krieg der Oligarchen. Das Tauziehen um die Ukraine", PapyRossa-Verlag, 2015.