Portugal: Im Lockdown vom Hotspot zum erneuten Vorbild

Seite 2: Portugiesische Solidarität

Während Portugal gezeigt hat, wie man mit klaren Maßnahmen schnell erfolgreich die Kurve knicken kann, zeigt Frankreich, wie man mit einem halbgaren Vorgehen gegen die Wand fährt. Präsident Emmanuel Macron hat schon im vergangenen November einen lockeren Lockdown verordnet. Der funktioniert absolut nicht, weswegen er gestern auf einen härteren umschaltete.

Das hat auch damit zu tun, dass die Mobilität, anders als in Portugal, lange Zeit praktisch nicht eingeschränkt war, Schulen weiter geöffnet sind. Ständig wird nachgebessert, statt endlich die nötigen Maßnahmen zu ergreifen. Dass es Frankreich, anders als Portugal nicht gelingt, die Kurve zu knicken, liegt auch dran, dass die Portugiesen solidarisch an einem Strang ziehen und die Maßnahmen einhalten.

In Frankreich ist das anders. Viele Maßnahmen wie Maskenpflicht werden dort kaum beachtet, wie der Autor ebenfalls vor Ort in Augenschein nehmen konnte. Da Kneipen und Restaurants seit Monaten geschlossen sind, weicht man einfach auf die Wohnungen zum Feiern aus oder reist in die Nachbarländer, wo sich zum Beispiel Madrid zur Partystadt für Franzosen entwickelt hat.

In Frankreich gab bis zu den gestern Abend angekündigten Verschärfungen Macrons nur gebietsweise einen Lockdown - und mit 400 pro 100.000 eine Inzidenz so hoch wie sonst nirgends in Europa. Die Lage im Gesundheitswesen ist in einigen Regionen, vor allem in und um Paris, sehr angespannt. Von dort gibt es nun ebenfalls wieder Hilferufe.

Portugal konnte dagegen inzwischen wieder mit der zaghaften Öffnung beginnen. Seit dem 15. März wurden Kitas und Schulen wieder geöffnet, auch Bücherläden und Friseurgeschäfte sind wieder offen. 700 000 Schüler besuchen nun, unter strengen Sicherheitsvorkehrungen, wieder den Unterricht in den Unterstufen. So wird zum Beispiel bei jedem Schüler stets vor Eintritt ins Gebäude die Temperatur gemessen. Obwohl die Mehrzahl der Eltern das begrüßt, sind viele weiter besorgt.

Die Angst ist groß, die hart erkämpften Erfolge zu verspielen, erklärt die Grundschullehrerin Joana Cabral. "Es ist immer noch alles ziemlich merkwürdig", meint sie, ist aber froh, wieder unterrichten zu dürfen. Regierungschef Costa hatte zum Beginn der ersten Öffnungsphase getwittert, dass man "sehr behutsam und schrittweise" vorgehen müsse.

Man könne nicht so vorgehen, wie man es gerne tun würde, so als ob man keine ernste Pandemie durchmachen würde. Er erinnerte seine Mitbürger daran, dass auch über Ostern weiter der allgemeine Lockdown bestehe. "Wir können keine Risiken eingehen und alles wieder aufs Spiel setzen. Leben und Gesundheit stehen an erster Stelle", fügte er an.

Der Fehler an Weihnachten soll nicht wiederholt werden. Geschäfte (ausgenommen ist die Grundversorgung) bleiben wie Restaurants und Bars weiter geschlossen und es gibt weiterhin nur Takeaway. Sport und Spaziergänge sind nur im Umfeld des Wohnorts erlaubt. Der eigene Landkreis darf an Wochenenden nicht verlassen werden und auch an Ostern muss der Kontakt auf die Familie beschränkt werden.

Nach dem Stufenplan soll die 2. Phase erst am 5. April beginnen, wenn auch Museen, Galerien und Denkmäler wieder geöffnet werden, es zum Teil wieder Märkte geben kann und die Kneipen ihre Terrassen nutzen können, mit maximal vier Personen am Tisch.

Sport ist dann auch wieder bis zu vier Personen gemeinsam möglich, auch in Turnhallen. Erst am 19. April öffnen Universitäten und Oberstufen wieder, wenn auch Kinos und Veranstaltungssäle und Einkaufszentren wieder geöffnet werden und die Gaststätten auch die Innenräume wieder beschränkt nutzen können.

"Armut und Hunger haben sich massiv ausgebreitet"

Da das bei Deutschen beliebte Urlaubsgebiet im Süden an der Algarve seit dem 21. März ebenfalls nicht mehr als Risikogebiet gilt, gibt es auch wieder verstärkt Buchungen für die Region, da damit die Quarantäne bei der Rückkehr nach Deutschland entfiel. Das galt zunächst auch für die Testpflicht. Doch das hat sich nach dem "Mallorca-Chaos" am Dienstag geändert.

Nun gilt die allgemeine Corona-Testpflicht für Flugreisende. Eine Rückbeförderung durch die Fluglinie ist nur mit negativem Testnachweis gestattet. Wer positiv getestet wird, muss sich dann auch in Portugal auf eigene Kosten und auf eigene Verantwortung nach den örtlichen Vorschriften isolieren. Ob der eingeschlagene Weg der richtige ist, darüber ist sich der Linksblock (BE) nicht so sicher.

Isabel Pires ist zwar auch sehr froh, dass sich die Lage wieder deutlich verbessert hat. "Doch zuletzt ist die Zahl der Neuinfektionen wieder gestiegen", warnt sie gegenüber Telepolis. "Wir sind nicht sicher, ob der Öffnungsplan richtig ist." Es wird sich die Tage zeigen, ob der Trend anhält und sich die erneute Öffnung als zu früh erweist.

Pires verweist besonders auf die sehr prekäre soziale Lage. Hilfsgelder kämen nicht bei allen an und viele, vor allem kleine und mittlere Unternehmen stünden vor dem aus. Derzeit kämpft der Linksblock deshalb darum, dass das Moratorium für die Rückzahlung von Krediten verlängert wird.

Das läuft nun aus und könnte zum Ruin vieler Firmen und Familien führen, wird es nicht schnell erneut verlängert. "Wir drängen auf Hilfsmaßnahmen und auf eine sichere Öffnung", erklärt die BE-Parlamentarierin. Bisweilen muss der Linksblock nun Sozialmaßnahmen sogar auch mit der konservativen Opposition gegen die Stimmen von Costas Sozialisten durchsetzen, wie gerade die Berechnungsgrundlage für ein zum Jahreswechsel eingeführtes Sozialgeld.

Klar ist, dass viele Menschen leiden. Die Armut grassiert und hat sich längst auf den Mittelstand ausgeweitet. Menschen wie der ehemalige Taxifahrer Antonío haben längst existenzielle Probleme. Er verlor schon im ersten Lockdown seinen Job. "Meine Lage ist sehr schwierig", sagte er im Gespräch, da seine Frau sehr krank ist. Er könnte nicht einmal arbeiten, wenn es Arbeit für ihn gäbe.

Er ist seit Monaten, wie die Altenpflegerin Eugenia sogar auf Lebensmittelhilfe angewiesen, die sich beide täglich bei der "Vereinigung für soziale Aktivitäten im Stadtteil des 2. Mai" in Lissabon abholen. Eugenia kann nach einer Operation nicht mehr arbeiten und ihr Mann, der im Tourismusgeschäft gearbeitet hat, ist ebenfalls arbeitslos. Sie standen deshalb vor der Frage: Essen oder Miete zahlen.

"Armut und Hunger haben sich massiv ausgebreitet", erklärte die Leiterin der Vereinigung Daniela Freitas. Mehr als 3.000 Familien würden allein in Lissabon von Einrichtungen wie ihrer mit Essen versorgt. Und ein Gang durch die Stadt macht deutlich, wie massiv die Obdachlosigkeit schon zugenommen hat. Dass sie sogar Menschen wie Antonio oder Eugenia bedrohen würde, hätten sich die beiden noch vor einem Jahr nicht vorstellen können.

Gehofft wird im Land darauf, dass sich die Lage mit den Impfungen bald wieder verbessert und die darbende Wirtschaft wieder in Gang kommt. Allerdings ist man in Portugal, das seit Januar die EU-Ratspräsidentschaft innehat, nun einigermaßen entsetzt darüber, dass am vergangenen Freitag das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Ratifizierung des Gesetzes zum sogenannten "Wiederaufbaufonds" gestoppt hat, da man auf Geld aus dem Fonds hofft. Nun könnte sich der Zeitplan bei der Auszahlung deutlich verzögern, wenn der Fonds nicht komplett gekippt wird.