Post Corona

Seite 6: Umverteilung

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Im Ausnahmezustand sprießen Utopien. An jedem Supermarkt-Eingang wird den HeldInnen der Krise gedankt. Putzfrauen und Kassiererinnen, durchwegs weiblich, werden plötzlich mit medialer Anerkennung bedacht. Warum sollte das nach dem Ende der Krise nicht so bleiben?

Energie- und Umweltbilanz 2020 werden mustergültig ausfallen, die deutlich bessere Luftqualität (z.B. in der Lombardei) ist schon jetzt auf Satellitenaufnahmen zu beobachten. Warum sollte man die Klimakrise nicht mit ähnlich autoritären Maßnahmen in den Griff bekommen? Die Menschen überleben ohne Konsumterror, ohne Urlaubsflüge und - die älteren unter uns - sogar ohne Kreuzfahrten. Warum sollten wir ab 2021 wieder zum Konsumieren von sinnlosem Zeug zurückkehren?

All diese - je nach Weltbild - utopischen bzw. dystopischen Zukunftsvorstellungen tauchen in vielen Kommentaren meinungsbildender Medien auf. Selbst- und Gesellschaftskritik ist in diesen Tagen en vogue. "Wir müssen zurückschalten", lautet die Devise.

Tatsächlich sind wir 2020 an einem Punkt angelangt, den wir weiter oben mit der Wallersteinschen Vision vom "Ende des historischen Kapitalismus" beschrieben haben. Eine emanzipatorische Wende ist denkbar; auch, dass eine solche im Widerstand gegen den herrschenden Ausnahmezustand entsteht, ja sich eruptiv-revolutionär einen Durchbruch verschafft.

Von oben wird sie nicht kommen, das steht fest. Dort arbeitet man zügig an der Organisation eines post-historischen Kapitalismus; und dies Hand in Hand mit den großen Kapitalgruppen, führenden Branchen und Entwicklern neuer Arbeitsmethoden. Zur Ruhigstellung der zum Ausstieg Bereiten und der langfristig "Unbrauchbaren" sollte die Einführung eines Grundeinkommens reichen, bei der Herstellung eines Konsenses von Politik und Nichtregierungsorganisationen könnten die Grünen ihren Platz in der politischen Mitte festigen.

Der neue organisierte Kapitalismus scheint die Zügel fest in der Hand zu halten. Doch gerade dort liegt seine Schwachstelle. Er neigt dazu, die Zügel zu straff zu halten. Die regelmäßig stattfindende Überdehnung des Repressionsapparates fordert, wie zuletzt bei den Gelbwesten in Frankreich, Widerstand heraus. Denn eines gilt es festzuhalten: Die Aufrechterhaltung eines Systems qua Repression ist ein Zeichen seiner Schwäche.

Hannes Hofbauer, geboren 1955 in Wien. Er arbeitet als Verleger und Publizist. Von ihm erschien zum Thema: "Die Diktator des Kapitals. Souveränitätsverlust im postdemokratischen Zeitalter".

Andrea Komlosy, geboren 1957 in Wien, ist Professorin am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien. Von ihr erschien zum Thema: "Arbeit. Eine globalhistorische Perspektive. 13. bis 21. Jahrhundert".

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