Präsident Medwedew kommt der Protestbewegung entgegen

In seiner traditionellen Jahresbotschaft vor den beiden Kammern des russischen Parlaments schlug Medwedew die Direktwahl der Gouverneure, eine Vereinfachung der Partei-Registrierung und einen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender vor

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Russlands Präsident, Dmitri Medwedew, hielt gestern im Georgijewski-Saal des Kreml vor mehreren hundert Parlamentariern und Vertretern des öffentlichen Lebens eine Rede, nach der es im politischen System Russlands bemerkenswerte Veränderungen geben soll. Die Vorschläge bedeuten einen Abschied von der "gelenkten Demokratie" und eine Rückkehr zur politischen Konkurrenz, wie es sie zu Zeiten von Präsident Boris Jelzin gab, schreibt der Kommersant.

Der russische Präsident Medwedew bei seiner Rede. Foto: kremlin.ru

Heute schon machte Medwedew den ersten konkreten Schritt. Der Präsident legte der Duma ein Gesetzesprojekt zur Liberalisierung des politischen Systems vor. Danach brauchen Parteien, die nicht in der Duma vertreten sind, für ihren Präsidentschaftskandidaten in Zukunft statt zwei Millionen nur noch 100.000 Unterschriften sammeln. Während eine Partei bisher nur registriert wurde, wenn sie 50.000 Mitglieder hatte, sollen in Zukunft 500 Mitglieder ausreichen.

Während der Rede von Medwedew im Georgiejewski-Saal saß Wladimir Putin in der ersten Reihe und hörte mit unbewegter Miene zu. Der Ministerpräsident hatte das relativ liberale Wahlrecht aus der Jelzin-Zeit ab 2004 zunehmend eingeschränkt. Dies wurde damals mit terroristischen Bedrohungen und einer notwendigen Stärkung des Staates begründet. Bei Putins landesweit über das Fernsehen ausgestrahlten Bürgersprechstunde hatte Premier, der sich im März nächsten Jahres zum Präsidenten wählen lassen will, allerdings selbst schon Wahlrechtsreformen angekündigt, war aber noch allgemein geblieben (Putin gibt sich aufgeklärt).

Medwedew versucht nun die Wahlrechtsreformen als logische Folge seiner vierjährigen Modernisierungspolitik zu präsentieren. Doch dass der Präsident derart weitreichende Gesetzesänderung gerade jetzt ankündigt, hat offenbar etwas mit der neuen russischen Protestbewegung gegen Wahlfälschungen zu tun, die Morgen in Moskau erneute eine Großkundgebung veranstalten will. Die Internetzeitung Gazeta.ru meinte denn auch, die Rede von Medwedew sei eine "Botschaft an den Bolotnaja". Auf dem "Bolotnaja-Platz" hatten sich am 10. Dezember 40.000 Menschen versammelt. Sie forderten Neuwahlen und eine Bestrafung von Wahlfälschern (Russische Protestbewegung zeigt Putin die Harke).

"Demokratie statt Chaos"

Die Protestbewegung erwähnte Medwedew nicht namentlich, er ging aber in allgemeinen Worten auf die Forderungen nach Neuwahlen ein. Man registriere "mit Achtung jede Kritik an die Adresse der staatlichen Institutionen und Amtsträger", erklärte der Präsident, werde aber nicht zulassen, dass "Provokateure und Extremisten das Land in ein Abenteuer ziehen" und sich "das Ausland einmischt". Russland brauche "Demokratie und kein Chaos."

In seiner Jahresbotschaft kündigte Medwedew auch die Schaffung eines öffentlich-rechtlichen Fernseh-Kanals an, "in dem weder der Staat noch private Investoren das letzte Wort haben". Außerdem will der Präsident den Regionen mehr Entscheidungsvollmachten geben. So sollen die Regionen in Zukunft über zusätzliche Ausgaben in Höhe von umgerechnet 23 Millionen Euro selbst entscheiden können. Die Finanzvollmachten in Russland liegen zum großen Teil bei den föderalen Ministerien.

"Uns erwartet keine einfache Zeit"

Medwedew stimmte die Bevölkerung in seiner von mehreren Fernsehkanälen übertragenen "Jahresbotschaft" auf "schwierige Zeiten" ein. Wirtschaftsexperten und Unternehmer sprächen vom Beginn einer "globalen Depression", die wahrscheinlich "mehrere Jahre" dauern werde, erklärte der Noch-Präsident.

Doch Medwedew hatte zum Trost auch ein paar gute Nachrichten im Petto. So erklärte er, Russland sei für die Krise gerüstet. Das Wirtschaftswachstum betrage vier Prozent, die staatlichen Goldreserven befänden sich fast auf dem Vorkrisen-Niveau, die Löhne und sozialen Leistungen lägen so hoch wie noch nie seit dem Ende der Sowjetunion und die Arbeitslosigkeit in Russland sei im internationalen Vergleich niedrig. Im Mai dieses Jahres betrug sie 6,4 Prozent.

Um die Korruption zu bekämpfen, kündigte Medwedew verstärkte Kontrollen der Beamten-Einkünfte an. In einigen Regionen werde man anstelle von Eigentumssteuern Immobiliensteuern einführen. Durch die Besteuerung von Immobilien erhoffen sich die Finanzbehörden offenbar höhere Einkünfte, denn die Methoden zur Verschleierung von Einkommen sind in Russland ausgesprochen vielfältig. Eine der beliebtesten Methoden ist die Verteilung von Vermögen auf Verwandte. Die Familien-Clans sollen es in Zukunft nicht mehr so einfach haben. Der Präsident kündigte an, man werde Geschäfte von verwandtschaftlich verbundenen Manager staatlicher Unternehmer in Zukunft erschweren.

Abgehörte Telefongespräche eines Oppositionsführers

Unterdessen laufen die Vorbereitungen für die nächste Moskauer Protestdemonstration "Für faire Wahlen". Sie soll Morgen auf dem Moskauer Sacharow-Prospekt stattfinden. Ob es nach den Ankündigungen von Medwedew gelingt, wieder eine große Zahl von Demonstranten für die Forderung nach "fairen Wahlen" zu mobilisieren, ist noch ungewiss.

Die Mobilisierung wird erschwert durch Versuche Kreml-naher Kreise, die Organisatoren der Groß-Kundgebung zu diskreditieren. Anfang der Woche veröffentlichte das Kreml-nahe Internetportal lifenews.ru Ausschnitte privater Telefongespräche, welches einer der Organisatoren der Protestdemonstration, der liberale Politiker Boris Nemzow, mit politischen Freunden führte. Im den Gesprächen äußerte sich Nemzow zum Teil sehr abfällig und mit Schimpfworten über andere Oppositionelle. Experten vermuten, dass die Gesprächs-Mitschnitte dem Internetportal aus Geheimdienstkreisen zugespielt wurden.

Die von Nemzow verunglimpften Oppositionellen reagierten auf die Veröffentlichung jedoch gelassen. Mehrere stellten sich demonstrativ hinter Nemzow. Der liberale Politiker, der in den 1990er Jahren Vizepremier war, hat sich für seine Äußerungen entschuldigt und erklärt, man müsse seine Emotionen zurückhalten, selbst wenn man mit Freunden am Telefon spricht.