Presseausweis kaputt

Die Innenministerkonferenz will den "amtlich anerkannten" Presseausweis abschaffen. Das Gezerre um den begehrten Ausweis entlarvt aber auch die Lebenslüge des organisierten Journalismus in Deutschland

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Manager großer Unternehmen und Journalisten haben laut Umfragen ein äußerst schlechtes Ansehen, fast so schlecht wie Politiker. Um so begehrter ist der oder "ein" Presseausweis. Auf zahlreichen Websites wird ein solcher angepriesen, als wirke er Wunder. "Eine Vielzahl von Privilegien" winkten dem Besitzer laut globalnomads.com. Bei der International Academic Society wird er gleich neben Doktor- und Adelstiteln beworben und die "Benutzung der VIP-Lounge inkl. Schnellabfertigung an Flug-, Bahn-, und Seehäfen" versprochen sowie "freier Disco und Club Besuch ohne in der Schlange zu stehen".

Premiere beschränkt auf pressekonditionen.de die angebotenen Rabatte auf nur einige der Verbände. Die G.N.S. Presseagentur legt zum Presseausweis noch ein Schmankerl drauf - eine "Autorisierte Akkreditierungs-Urkunde", verrät aber nicht, bei wem damit Eindruck geschunden werden soll. Der DJV klagt auf seiner Website hingegen, nicht jeder Ausweis sei "echt" und " immer mehr Verbände" würden einen Presseausweis anbieten. Das ist irreführend - "unechte" Presseausweise gibt es nicht. Auch die Behauptung, "nur vier Verbände" dürften ihre Presseausweise als "bundeseinheitlich" bezeichnen, ist schlicht gelogen.

Einen "amtlichen" Presseausweis hat es nie gegeben. Der Gesetzgeber hat nicht geregelt, wer einen bekommen und welche Organisation einen ausstellen darf, sondern überlässt das den Berufsverbänden. Die aber streiten sich seit Jahren erbittert darüber, wer "echter" Journalist ist. Seit Mai 1993 gibt es aber eine Art gentlemen's agreement zwischen der Innenministerkonferenz und vier Verbänden - dem Bundesverband der Zeitungsverleger (BDZV, der Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju in ver.di, vormals IG Medien), dem Deutschen Journalisten-Verband (DJV) und dem Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ): Nur diese durften behaupten, die Innenminister erkennten ihren Presseausweis an. Praktisch hatte das kaum Folgen: Nur bei der Frage, wer als offizieller Vertreter der Presse hinter eine Polizeiabsperrung durfte, wussten die Beamten, welchen Presseausweis sie akzeptieren mussten.

Freelens, ein Verein von Fotojournalisten, erstritt sich im September 2004 vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf das Recht, ebenfalls einen "offiziell" anerkannten Presseausweis auszustellen - ein Pyrrhussieg, wie sich jetzt herausstellte. Im Mai 2006 beschloss die Innenminusterkonferenz, den Kreis der Verbände auszuweiten, die ihrer Meinung nach als seriös galten und in Zukunft berechtigt sein würden, ebenfalls den anerkannten Presseausweis auszustellen: Auch der DPV, die Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm und die Jungen Medien Deutschland gehörten unter anderem jetzt dazu.

Das Kriterium "Hauptberuflichkeit" ist die große Lebenslüge des organisierten Journalismus in Deutschland

Die Pressetätigkeit in Deutschland bedarf, anders als in Italien, keinerlei staatlicher Zulassung. Jeder kann sich Journalist nennen, ob mit oder ohne Presseausweis. Im Zeitalter der Informationsfreiheitsgesetz kann auch jeder interessierte Bürger wie ein Journalist arbeiten und sich Informationen beschaffen. Als Alleinstellungsmerkmal haben sich die großen Verbände jedoch die Hauptberuflichkeit ausgedacht. Der DJV kritisiert, die Innenminister beabsichtigten "Journalisten den Ausweis zu geben, die nicht hauptberuflich, aber quantitativ und qualitativ vergleichbar regelmäßig und dauerhaft journalistisch tätig sind".

Dem widerspricht schon der Artikel 5 I 2 des Grundgesetzes: Die Pressefreiheit ist ein Jedermannsrecht. Dirk Dunkhase schreibt im Standardwerk Das Pressegeheimnis: "Erfasst sind daher alle natürlichen (...) Personen, also nicht etwa nur die berufsmäßig für die Presse tätigen" - mit der Einschränkung, dass gewissen Rechte - wie der Pressegeheimnisschutz - auf Hobby-Journalisten nicht anzuwenden ist. Blogger mit journalistischem Anspruch sind im juristischen Sinn also auch "Presse". In vielen Landesverbänden des DJV zum Beispiel wird aber nur einmal - beim Eintritt - geprüft, ob jemand "hauptberuflich" journalistisch arbeitet, danach nie wieder. Das Kriterium "Hauptberuflichkeit" ist die große Lebenslüge des organisierten Journalismus in Deutschland: Je weniger sie der Realität entspricht, um so fester glaubt man daran und verkündet das irrationale Glaubensbekenntnis in der Öffentlichkeit.

Seit dem damaligen Entscheid zugunsten von Freelens wurden die etablierten Journalistenverbände immer wieder aufgefordert, die Rechtslage zur Kenntnis zu nehmen und sich mit den Organisationen zu einigen, die die Innenminister ebenfalls für geeignet hielten, auf Augenhöhe mit den etablierten Verbänden zu verhandeln. Voraussetzung sei, dass der Journalistenverband über einen längeren Zeitraum existiere und eine "nicht nur unbeachtliche Mitgliederzahl" haben. Davon gab es aber schon rund ein Dutzend, unter anderem der Deutsche Fachjournalisten-Verband, den Verband deutscher Sportjournalisten oder den Deutschen Presseverband. Mittlerweile ist die Innenministerkonferenz sogar von ihren strengen Kriterien abgerückt, die sie sich im Mai 2006 aufgestellt hatte: Selbst 300 Mitglieder könnten für eine Journalisten-Organisation ausreichen, um ernst genommen zu werden, und die so genannte Hauptberuflichkeit als Kriterium sei verfassungswidrig.

Die beiden großen Gewerkschaften DJV und dju waren aber zu keinem Kompromiss bereit, auch nicht dazu, mit allen von der IMK genannten Verbänden zu verhandeln. Noch am 1. Juni 2007 hieß es in einem Schreiben eindeutig:

Die IMK nimmt mit Bedauern zur Kenntnis, dass es eine Einigung bisher nicht gegeben hat und fordert die Verbände auf, bis zum 31. Oktober 2007 eine Einigung zu erzielen, die der einschlägigen Rechtsprechung Rechnung trägt. Sollte eine solche Einigung nicht zustande kommen, wird die IMK auf ihrer Herbstsitzung 2007 über die Rücknahme ihres Einverständnisses zum Abdruck des unter III, Nr. 1.5 im Ministerialblatt des Landes Nordrhein-Westfalen (...) wiedergegebenen Hinweises auf Presseausweisen entscheiden.

Die angesprochenen Verbände, insbesondere dju und der DJV, reagierten nicht, sondern wiederholten nur ihre alte Forderung, der Status quo müsse erhalten bleiben. Der Berliner Innenminister Erhardt Körting, der aktuelle Vorsitzende der Innenministerkonferenz, unternahm einen letzten Versuch für einen Gütetermin am 29. November: Man werde jedoch nur noch einmal verhandeln, wenn die Verbände sich vorher einigten. Jedoch auch dieses Treffen endete im Dissens. Teilnehmer berichten übereinstimmend, dass die Innenminister von der Arroganz der bisherigen "Monopolisten" "die Nase voll haben". Körting habe über den DJV gewitzelt, der sei "vielleicht seriös, aber pleite". Die Beschlussvorlage für die Sitzung der IMK am 6. und 7. Dezember ist jetzt eindeutig:

Die Innenminister (...) sind insbesondere nicht mehr damit einverstanden, dass der unter III Nr. 1.5 des Schriftwechsels wiedergegebene Hinweis auf Presseausweisen abgedruckt wird. Die Innenminister von Bund und Ländern sind aber damit einverstanden, dass übergangsweise Presseausweise mit dem Aufdruck auf der Basis des bisherigen Schriftwechsels (...) bis längstens zum 31. Dezember 2008 ausgegeben werden.

Wenn das Realität wird - und es spricht nichts dagegen -, verlieren die beiden Journalisten-Gewerkschaften dju und DJV ihr wichtigstes Mittel zur Mitgliederwerbung. Auf den Rechtsschutz, den sie anbieten, hat ohnehin kein Mitglied einen Anspruch, und die großen Versicherungen bieten ähnliche Verträge sogar günstiger an. Die Innenminister werden sich auf eine neue Regelung, wer einen "amtlichen" Presseausweis ausstellen darf, nicht mehr einlassen - aus einem einfachen Grund: Sie wollen nicht, dass wieder ein Verband dagegen erfolgreich klagt.

Der Autor ist Mitglied im DJV Brandenburg