"Problematische Grauzone": Kinder-Nacktfotos

Im Zuge der Edathy-Affäre wird die Forderung nach dem Schließen von Gesetzeslücken laut. Klar ist, dass damit strafrechtlich relevante Verdachtsmomente erweitert werden, aber ob der Schutz der Kinder verbessert wird?

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Der Deutsche Kinderschutzbund fordert ein Verbot des Verkaufs von Kinder-Nacktfotos. Der Missbrauchsbeauftragte der Regierung, Johannes-Wilhelm Rörig, schließt aus dem Fall Edathy das Vorhandensein einer Gesetzeslücke, die geschlossen werden muss. Die Bundesfamilienministerin kündigte an, eine Verschärfung der Gesetze gegen Kinderpornografie prüfen zu wollen.

Zur genannten Reihe fügen sich noch weitere Politiker. Zum Beispiel Innen-Staatssekretär Günther Krings von der CDU ("Zumindest die gewerbliche Verbreitung sollte verboten werden") und die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), die Handlungsbedarf sehen. Tenor ist, die bisherige Gesetzeslage decke eine gewisse Grauzone nicht ab: den Kauf von Nacktfotos von Kindern, der strafrechtlich nicht relevant sei.

Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Andre Schulz, zieht in seiner Äußerung dem Handelsblatt gegenüber noch eine größere Linie: Generell müssten auch die Strafen im Bereich Kinderpornografie verschärft werden:

Die Strafandrohung im Bereich der Kinderpornografie ist zu niedrig. Es kann nicht sein, dass in den überwiegenden Fällen von Kinderpornografie eine Einstellung oder eine kleine Geldstrafe erfolgt.

Man erkennt daran, nicht untypisch für das Reizthema, dass Unterschiedliches in einen Debatten-Topf geworfen wird. Zwischen Nacktbildern von Kindern und Missbrauch von Kindern, wie er kinderpornografischen Bildern zugrunde liegt, bestehen Unterschiede.

"Wo Rauch ist, ist auch Feuer?"

Der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, ist zwar dafür, den Kauf und Verkauf von Fotos mit nackten Kindern generell unter Strafe zu stellen, plädiert aber auch für eine Unterscheidung: Fotos, die zum Alltagsleben gehören, etwa Strandfotos vom Familienurlaub, sollten nicht kriminalisiert werden. Aber wie konkret ist diese Unterscheidung zu treffen? Wann wird ein Foto verdächtig - aufreizend?

Nach bisheriger Gesetzeslage gibt es ein eindeutiges Kriterium für Straffälligkeit, wenn Geschlechtsteile "reißerisch" zur Schau gestellt werden (Kategorie 1). Posingfotos, z.B. von unbekleideten Kindern im Freibad, werden von Strafrechtlern als Grenzfälle zitiert. Zur bislang anderen, nicht-kriminellen Seite werden Nacktfotos gezählt, in denen die Genitalien "nicht im Fokus" sind und auch keine sexuellen Handlungen gezeigt werden (Kategorie 2).

Wie sich an der Diskussion über die "lüsternen Fotos des Malers Balthus" (Die Zeit) zeigt, ist die Unterscheidung auch im Bereich der Kunst von unterschiedlichen Herangehensweisen getragen. Unterschiedlich erwogen werden auch die rechtlichen Konsequenzen, die daraus zu ziehen wären. Ein Bild, das manche wegen der Farbgebung und Komposition interessiert, hat für andere unerträgliche sexuelle Untertöne, selbst wenn der abgebildete junge Mensch bekleidet ist. Die Empfindung eines sexuellen Reizes, wie auch das gegenteilige Gefühl des Abgestoßenseins von der Absicht des Fotografen oder Malers hängt sehr vom Betrachter ab.

Bild: Red.

In der "Grauzone" zwischen Kategorie 1 und 2 allgemein verbindliche Grenzen zu ziehen, dürfte letztlich darauf hinauslaufen, dass Richter das letzte Wort in Einzelfällen sprechen. Bis zur Verhandlung kann aber bereits viel Schaden für einen Verdächtigen entstanden sein. Hausdurchsuchungen einhergehend mit genauer Durchsuchung des Rechners und dessen Beschlagnahme, womit er dann nicht mehr für die Arbeit zur Verfügung steht, können schneller erfolgen, als angenommen wird, berichtete beispielsweise die Welt:

"In diesem sensiblen Deliktsbereich werden die Durchsuchungsanträge manchmal schnell und als Teil eines Massenverfahrens unterschrieben", meint Rechtsanwalt Amann. "Da reichen mitunter zwei, drei grenzwertige Bilder aus."

Außer einer Menge neuer Arbeit für die Staatsanwaltschaften und die Polizei führt eine Verschärfung der Gesetze zu einer Ausweitung der Verdachtsmomente. Wer Nacktfotos von "Tadzio-Jünglingen" nach dem Vorbild der Erzählung Tod in Venedig von Thomas Mann aus einer FKK-Zeitung hat und dies mit anderen austauscht -, will - nach der Logik etwa eines Amazon-Algorithmus - unbedingt auch Härteres?

Die Möglichkeiten zu Denunzierungen werden durch eine Verschärfung der Gesetze zum Handel von Nacktbildern größer. Ausweichmöglichkeiten der "Szene", gegen die man mit neuen Straftatbeständen vorgehen will, werden sich anderseits auch finden. Staatsanwälte werden sich möglicherweise damit beschäftigen müssen, ob eine Aufklärungsbroschüre, die für bestimmte Augen reizvolle Blicke eröffnet, unter den neuen Tatbestand fällt.

Was bringt eine Verschärfung der Gesetze gegen Kinderpornografie?

Ob Gesetzeslücken tatsächlich so geschlossen werden können, damit die Würde der Kinder bewahrt wird, ist fraglich, auch vor dem Hintergrund, dass viele Missbrauchsfälle von Kindern aus der Familie kommen: Wie leicht ist es, von eigenen Kindern Fotos zu machen, die bestimmte Gelüste bedienen, ohne dass sie in die kriminellen Kategorien fallen? Wie schwer ist es anderseits für einen Vater, der Nacktfotos von Kindern auf dem Rechner hat, zu beweisen, dass dies ohne die unterstellte lüsterne Verwertungsabsicht geschah? Das Sorgerecht ist schnell weg, aber sehr schwer wiederzuerlangen, wenn man bereits in Verdacht geraten ist.

Nimmt man hinzu, dass in der Diskussion über Kinderpornografie die Vertreter härterer Vorgehensweisen oft mit pauschalen, wenig überprüften Grundlagen argumentieren - z.B. mit dem Milliardengeschäft, das mit dem Handel von kinderpornografischen Bildern einhergehen soll, das aber genauerer Überprüfung nach Recherchen von Alvar Freudenicht standhält - , so drängt sich der Eindruck auf, dass der Ruf nach mehr Verboten noch einiges mehr an Begründung braucht als die bloße, verständliche Empörung. Nach Stand der Dinge nützt die Forderung nach neuen Gesetzen zunächst nur den Rufern, die sich damit Applaus holen.