Produkthaftung von Spieleherstellern?

Nach dem Amoklauf von Erfurt wird auch an ein juristisches Vorgehen gegen Hersteller von Computerspielen gedacht - die damit verbundenen Schwierigkeiten sind groß

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Am 3.5.2002 erschien im "Tagesspiegel" der Artikel Wer haftet für die Gewalt? Neben Hinweisen zur Beschreibung gesundheitlicher Gefahren durch elektronische Spiele und zu einer Studie der Universität Münster geht es darin auch um die persönliche Befindlichkeit des Rechtsanwalts Witti aus München. Der Kollege möchte gerne klagen, nur die Mandanten fehlen noch. Ziel eines Verfahrens - so wird berichtet - sei die Spiele- und Waffenindustrie. Der Ansatz sei die Produkthaftung.

Bei einer Produkthaftung müssten aber die Umstände, dass überhaupt ein Fehler des Spiels vorliegt sowie der Schaden und die Kausalität, vom Geschädigten bewiesen werden. Auch die Abgrenzung der Verantwortlichkeit der Spielehersteller bei der Benutzung mehrerer Spiele wäre vom Geschädigten zu leisten. Aufgrund der Tötung kann nach dem Produkthaftungsgesetz in diesem Fall Ersatz nur für die Kosten der Beerdigung und die Ansprüche der Unterhaltsberechtigten gefordert werden. Die Haftung ist dabei auf 80 Millionen Euro begrenzt. Ein Anspruch erlischt 10 Jahre nach Inverkehrbringen des Spiels, und das Gesetz gilt nicht für Spiele, die vor dem 01.01.1990 in Verkehr gebracht worden sind. All diese Aspekte sollen hier keine weitere Erläuterung erfahren. Was hier interessiert, ist vielmehr die Sorglosigkeit, mit der mit solchen Ideen gespielt wird.

Über mangelnde Logik in der Diskussion

Produkthaftungsprozesse gehen meist verloren. Das ist Allgemeinwissen und erhöht die Anforderungen an die Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels. Hierüber ist ein Mandant aufzuklären.

Irgendwann während oder nach der individuellen Verarbeitung der Ereignisse in Erfurt kommt der Gedanke an eine juristische Aufarbeitung des Sachverhalts. Die damit verbundenen Schwierigkeiten sind unübersehbar. Wie auch in anderen Fällen liegt hier ein Sachverhalt vor, der sich mit juristischen Mitteln nicht greifen lassen wird. Mittlerweile gibt es viele Ansätze zur Prävention. Der juristische ist sicherlich der schlechteste. Der Grund liegt darin, dass die prozessuale Aufbereitung des Sachverhalts keine präventive Funktion hat. Diese hat auch nicht das im Raum stehende Schmerzensgeld der Angehörigen, das bereits durch die Vermögenslage der Erben des Täters und die Rechtsprechung des BGH limitiert wäre. All dies verbietet an sich ein vorweggenommenes Angebot anwaltlicher Dienstleistung in dieser Hinsicht.

Hat sich da also jemand zu Wort gemeldet, ohne groß nachzudenken? Vielleicht unter dem Druck der Ereignisse und dem, überhaupt etwa sagen zu müssen? Dafür könnte die Logik folgenden Satzes sprechen (zitiert nach Spiegel Online: "Es sei erwiesen, dass brutale Videos und -spiele ein bestehendes Gewaltpotenzial anheizen und Nachahmertaten auslösen könnten, erklärte Witti.." An sich schildert der Konjunktiv immer eine Eventualität. Hier wird daraus allerdings ein Beweis konstruiert. Logisch hingegen sind für sich betrachtet Behauptungen wie diese: "Ziel von Spielen wie 'Doom' oder 'Quake' ist es zu überleben" oder "Ziel von Spielen wie 'Doom' oder 'Quake' ist es zu töten".

Wer will diesen Widerspruch wohl auflösen? Aber selbst dann, wenn man die zitierte Behauptung bejahen wollte, dass Computerspiele Nachahmertaten auslösen könnten, stellt sich die Frage, ob sich diese Eigenschaft des Spiels konkret verwirklicht hat? Insofern steht man vor dem Problem der doppelten Kausalität: Der Spielhersteller muss verantwortlich dafür sein, dass

  1. der Spieler durch das Spielen aggressiv und gewaltbereit wurde und
  2. diese Aggression und Gewaltbereitschaft sich dann in der konkreten Tat niederschlug.

Der Blick in die andere Richtung

Lohnenswert ist auch der Blick auf die Reform des Schuldrechts. Wer der Meinung ist, bestimmte Spiele seien schädlich oder bergen Gefahren, der berufe sich doch auf das neue Kauf- bzw. Gewährleistungsrecht. Erfasst sind hierdurch bekanntlich auch sogenannte Mangelfolgeschäden. Dadurch ist die klassische Trennung von Äquivalenz- und Integritätsinteresse mit in das Kaufrecht verschoben. Das Äquivalenzinteresse betrifft das Verhältnis Kaufgegenstand - Kaufpreis, während das Integritätsinteresse das Interesse des Käufers daran betrifft, dass der Gegenstand u.a. keine Gefahr für Leib oder Leben birgt. Ist das doch der Fall, kann Schadensersatz verlangt werden, der zumindest gesetzlich nicht limitiert ist. Bekanntlich können auch Dritte in den Schutzbereich von Kaufverträgen miteinbezogen werden.

Das alles entbindet jedoch nicht von der Voraussetzung, dass den Spielhersteller ein Verschulden treffen muss. Dieses Merkmal diesbezüglich zu bestimmen, ist deshalb so schwierig, weil die unmittelbare Wirkung von PC-, Video- oder Konsolenspielen auf den Benutzer völlig indifferent ist. Die mögliche Eigenbeobachtung geht dabei von Aggressionsabbau bis zu Aggressionsaufbau. Zu differenzieren ist dann auch, wer Anspruchsteller ist.

Geht es hingegen um die Rückabwicklung eines Kaufvertrags für ein Spiel, so zwingt allein der Rücktritt des Käufers den Verkäufer zu einer Stellungnahme, welchen Zweck das Spiel habe. Diese Annahme resultiert aus dem sogenannten subjektiven Fehlerbegriff. Ein Kaufgegenstand ist danach dann fehlerhaft, wenn er nicht die nach dem Vertrag vereinbarte Eigenschaft besitzt. Da es an einer solchen Vereinbarung beim Kauf eines Spiels regelmäßig fehlt, gilt es, die Eignung zwecks gewöhnlicher Verwendung und die übliche, vom Käufer zu erwartende Beschaffenheit zu beurteilen. Die substantiierte Behauptung des Käufers, ein Spiel sei mangelhaft, da es aggressiv und gewaltbereit mache, genügt zunächst. Es ist dann an dem Verkäufer, Gründe vorzutragen, die dagegen sprechen. Auf ein mögliches Verschulden des Verkäufers kommt es hier nicht an.

Problematisch ist allerdings der Umstand, dass der Fehler bereits bei Gefahrübergang (Übergabe der Sache) vorliegen muss. Unterstellt, ein Spiel habe negative Auswirkungen auf den Benutzer, so werden sich diese sukzessive und nicht sofort zeigen. Der Gesetzgeber hat nunmehr die Beweislast beim Verbrauchsgüterkauf für diesen Zeitumstand begrenzt dem Verkäufer zugewiesen: Zeigen sich spielbedingte negative Eigenschaften binnen 6 Monaten nach Kauf, so gilt die gesetzliche Vermutung, der Fehler habe bereits bei Gefahrübergang vorgelegen.

Die Opfer von Erfurt und ihre Familien befinden sich jedoch jenseits der Verkaufskette, die vom Hersteller bis zum Käufer läuft und dort endet. Involviert sind dann an dieser Stelle höchstens noch die Eltern des Täters.

Der Blick auf das Recht der Mängelansprüche mag dabei wie eine Verharmlosung des durchaus verständlichen Repressionsgedankens erscheinen; letztendlich geht es aber darum, einen alternativen Ansatz zu bieten, der präventiv wirkt. Um es deutlich zu machen: Es steht den Parteien eines Kaufvertrags frei, eine Vereinbarung über mögliche negative Eigenschaften eines Spiels zu treffen.

Die Spielehersteller praktizieren das derzeit zum Teil mit Warnhinweisen, die Epilepsie betreffen. Würde dieses Krankheitsbild während eines Spiels auftreten, läge kein Fehler des Spieles vor, da diese negative Eigenschaft vertraglich "vereinbart" wäre. Treten andere Fehler auf, stehen dem Käufer sämtliche Mängelansprüche - zum Teil kumulativ - zu. Sollten diese erfolgreich sein, so wird der Verkäufer bei seinem Lieferanten und dieser beim Hersteller Rückgriff nehmen. Auf diese Weise wird letztendlich der Spielhersteller finanziell belastet. Das würde dem Repressionsgedanken zumindest geringfügig Genüge tun.

Sollten die anfangs erwähnten Pressemitteilungen nicht mangelnder Logik, sondern einer Akquisestrategie entspringen, gilt es, sich davon zu distanzieren. Zu prozessieren, um "juristisches Neuland" zu betreten, kann nicht genügen. Im Übrigen bedarf es in jedem Fall zuvor einer sozio-psychologischen Aufbereitung der unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen solcher Spiele. Nicht zu erwarten ist, wie die Diskussion schon jetzt zeigt, dass sie zu einer übereinstimmenden Auffassung der verschiedenen Disziplinen gelangen wird und die Betroffenen letztendlich eine Antwort auf die Frage nach dem "Warum?" erhalten werden.

Elmar Liese ist Rechtsanwalt in Berlin.