Propagandakrieg in und um Äthiopien
Einschüchterungen, Verhaftungen, Cyber-Mobbing und Diffamierung sind an der Tagesordnung
Wer in diesen Tagen den Konflikt in Äthiopien öffentlich kommentiert, sei es als unabhängiger Journalist, sei als engagierter Teilnehmer in sozialen Medien oder als Wissenschaftler; wer in diesem Konflikt eine andere Position als die der Regierung Abiy Ahmed Ali vertritt, bekommt teils harsche Reaktionen zu spären.
Kritisiert er die Regierung von ausländischem Territorium aus, wird er es schnell mit einer Armee von Internet-Trollen, offenbar amharischer Nationalisten, zu tun bekommen. Man muss sich beschimpfen lassen als Fake-News-Verbreiter, oder einem wird unterstellt, man werde von der Tigray People's Liberation Front (TPLF) bezahlt. Im schlimmsten Fall wird man bedroht.
Und doch ist man im Ausland ist einer komfortablen Situation verglichen mit der Lage, in der sich im Moment regierungsunabhängige Journalisten, Aktivisten oder Wissenschaftler in Äthiopien befinden. Hat man es als kritischer Berichterstatter etwa in Europa lediglich mit Hatespeech oder Trollangriffen zu tun, so setzt jeder, der es in Äthiopien wagt, Kritik an der Regierung Abiy Ahmed Ali zu äußern, seine Freiheit, sein Leben oder das seiner Familie aufs Spiel.
Auch wenn von offizieller Seite vor allem die TPLF als das Böse schlechthin und als Ursache allen Übels und aller Probleme in Äthiopien dargestellt wird, trifft die Unterdrückung der freien Meinungsäußerung genauso Aktivisten und Journalisten aus anderen Teilen Äthiopiens, etwa der Oromo-Region.
Mittlerweile ist Äthiopiens Presselandschaft weitgehend auf Linie gebracht. Durch die Inhaftierung und Bedrohung kritischer Journalisten und ihrer Familien ist bei den verbleibenden Medien die Botschaft ankommen: Es ist gefährlich, sich dem autokratischen Regime zu widersetzen. Eine Kultur des vorauseilenden Gehorsams und der Hofberichterstattung ist bei den verbliebenden Medien eingekehrt.
Heftige Kritik auch an kritischen Stimmen im Ausland
Die Repression trifft nicht nur Äthiopier sie trifft auch ausländische Journalisten in Äthiopien, die lediglich versuchen, im Land an Informationen zu kommen, um eine halbwegs objektive Berichterstattung zu gewährleisten. So wurde ein Team des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, das in der Oromo-Region unterwegs war, massiv bedroht. Die Journalisten wollten nichts weiter tun, als Menschen zu interviewen, die nicht dem Regierungslager angehören.
Ebenso werden unabhängige westliche Wissenschaftler bedroht, eingeschüchtert und Hatespeech ausgesetzt, die sich seit Jahrzehnten mit Äthiopien befassen und denen die Entwicklung dieses Landes ein Herzensanliegen ist. Öffentlich gemacht wurde dieser Druck kürzlich durch den norwegischen Anthropologen Kjetil Tronvoll. Der Druck auf ihn wurde so groß, dass er sich eine zeitlang aus den sozialen Medien zurückgezogen hat.
Dabei geht aus seinem offenen Brief hervor, dass er in den letzten Jahrzenten auch deutlich die Politik der TPLF kritisiert hat. Allerdings lehnt er auch deutlich die Unterdrückung durch die Regierung Abiy Ahmed Ali ab. Diese Tatsache und der Umstand, dass er von der TPLF ein differenziertes Bild zeichnet, reicht aus, um von Unterstützern Abiy Ahmed Alis massiv unter Druck gesetzt zu werden.
In seinem Bericht erwähnt Tronvoll auch, dass nicht nur er, sondern auch andere Journalisten und Wissenschaftler von der äthiopischen Regierung diffamiert und and den Pranger gestellt werden. In seiner Stellungnahme hebt er hervor, dass die TPLF trotz allem durchaus offen war für seine Kritik, während die Regierung Abiy Ahmed Ali auch die kleinste Abweichung sanktioniert. Für die Internethetze macht er vor allem amharische Nationalisten und regierungstreue Eritreer verantwortlich.
Mit zunehmender Dauer des Krieges in dem Bundesland Tigray dringen mehr und mehr Informationen aus dieser von der Regierung abgeschotteten Region. Da unabhängigen Journalisten in Äthiopien eine freie Recherche und Berichterstattung verwehrt sind und Einreise, Internet und andere Kommunikationskanäle weiterhin blockiert sind, ist die Öffentlichkeit auf Informationen von Flüchtlingen angewiesen. In seltenen Fällen gelingt es ausländischen Journalisten allen Widrigkeiten zum Trotz, einen Weg in die Region zu finden und die Lage vor Ort zu dokumentieren.
Anhaltende Auseinandersetzungen in Tigray
Entgegen der Behauptung der Regierung dauern die Kämpfe zwischen der TPLF auf der einen und den Regierungstruppen sowie amharischen Fano-Milizen auf der anderen Seite an.
Augenzeugen berichten, dass eritreische Soldaten in Tigray militärisch aktiv waren. Anscheinend ziehen sie sich jetzt Richtung Eritrea zurück, nachdem sie Fabriken und Privathaushalte geplündert und zerstört haben. Darüber hinaus gibt es Berichte, dass eritreische Flüchtlinge aus Flüchtlingslagern in Tigray von eritreischen Regierungssoldaten verschleppt wurden. Die äthiopische Regierung bestreitet dennoch nach wie vor, dass eritreisches Militär auf äthiopisches Territorium vorgerückt ist.
Mittlerweile dringen auch immer mehr Informationen zum Massaker an Zivilisten in Mai-Kadra an die Öffentlichkeit. Dieses Massaker mit mehreren hundert toten Zivilisten hat zu Beginn des Einmarsches stattgefunden. Die Regierung Abiy Ahmed Ali hatte behauptet, dass die TPLF für die Morde verantwortlich sei. Berichte von Flüchtlingen aus dieser Region, die sich in den Sudan gerettet haben, legen eine ganz andere Deutung nahe.
Das Nachrichtenmagazin Vice hat tigrayanische Flüchtlinge im Sudan interviewt, die detailliert über das Massaker berichtet haben. Laut diesen Berichten sind amharische Fano-Milizen für diese Massaker verantwortlich, während Regierungstruppen zugeschaut haben. Es ist davon auszugehen, dass dies nur die Spitze des Eisberges ist, und dass nicht nur in Mai-Kadra Zivilisten ermordet wurden.
Für das Bundesland Tigray hat Abiy Ahmed Ali mittlerweile eine ihm genehme provisorische Regierung eingesetzt.
Anstehende Wahlen und Konflikte im restlichen Äthiopien
Während im Norden Äthiopiens der Konflikt unvermindert weitergeführt wird, nehmen auch im Westen Äthiopiens in Benishangul-Gumuz Konflikte zu. Bei Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Gruppen kamen über 200 Menschen ums Leben. Hintergründe sind noch unklar.
Die Regierung Abiy Ahmed Ali hat nun angekündigt, dass am 5. Juni kommenden Jahres die verschobenen Wahlen stattfinden sollen. Allerdings ist die Region Tigray davon ausgenommen, begründet wird diese Sonderregelung mit dem Ausnahmezustand. Es ist zu erwarten, dass Oppositionsparteien wie etwa die TPLF nicht zu den Wahlen zugelassen werden.
Die wichtigste Oppositionspartei der größten Bevölkerungsgruppe Oromo, die Oromo Liberation Front (OLF), stellt eine Teilnahme an den Wahlen von sich aus in Frage, da alle ihre Führungspersönlichkeiten inhaftiert wurden. Darüber hinaus gibt es Stimmen aus der Oromo-Community, die eine freie und faire Wahl vor dem Hintergrund der Inhaftierung von Oppositionspolitikern und der in Äthiopien verbreiteten Atmosphäre der Angst und Einschüchterung nicht für möglich halten.
Nicht nur innerhalb von Äthiopien, sondern auch mit Nachbarstaaten nehmen die Spannungen zu. So verschärfen sich die Konflikte an der äthiopisch-sudanischen Grenze. Es ist bereits zu militärischen Konfrontationen zwischen sudanesischem und äthiopischem Militär gekommen. Gleichzeitig hat die sudanische Armee Land erobert, das seit vielen Jahrzehnten von äthiopischen Bauern besetzt und bewirtschaftet wurde. Abiy Ahmed Ali ist bemüht, den Konflikt mit Sudan nicht eskalieren zu lassen. Er befürchtet möglicherweise, dass ansonsten über den Sudan logistische Unterstützung für die TPLF organisiert werden könnte.