Prostitutionsverbot? Ein Plädoyer für die freie Liebe!

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Mädchenblüte im Schatten durchtriebener Frauen: Francois Ozons "Jung und schön"

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Mit Filmen wie "8 Frauen", "Swimming Pool", "Unter dem Sand" und "Die Zeit die bleibt" wurde er berühmt: Der Franzose Francois Ozon, geboren 1967, ist ein Meister der Vielseitigkeit, der sich immer wieder an neuen Genres versucht. Seit inzwischen 15 Jahren ist er einer der Vielfilmer seines Landes - jetzt kommt sein neuestes Werk ins Kino: "Jung und Schön". Darin packt Ozon das Tabuthema Prostitution an und begibt sich zugleich auf die Spuren seiner Vorbilder Fassbinder und Bunuel.

Isabelle, ein Mädchen aus gutem Hause, gutbürgerlichen Verhältnissen, ist 17. Die Sommerferien verbringt man in Südfrankreich am Meer. Von einem deutschen Touristen wird Isabelle entjungfert, eher achselzuckend nimmt sie das Ereignis zur Kenntnis - jetzt ist auch das vorbei.. Sie fühlt dabei einfach nichts. Und vielleicht ist dieses fehlende Gefühl der tiefere Grund für das, was nun folgt.

Denn wieder zurück in Paris beginnt sie zu arbeiten - als Edel-Prostituierte, klammheimlich, ohne ersichtlichen Grund. Ihre Verabredungen schließt sie per Internet, ihre Freier - zumeist ältere Männer, trifft sie nach der Schule - für 300 Euro pro Treffen. Die vielen Hunderter, die sie verdient, hortet sie im Kleiderschrank.

Warum tut sie das alles? Vielleicht will sie einfach experimentieren, vielleicht gefällt ihr die Macht über die Männer. Erst als ein Freier stirbt, bekommt diese Fassade kühler Jugend kleine Risse.

Ozon nutzt bei dieser Geschichte zunächst einmal die Gelegenheit, Maskeraden und Heucheleien der Bourgoisie, die kleinen Lügen und Geheimnisse der braven Bürger zu entlarven. Zudem ist dies eine weitere seiner Hommagen an starke Frauenfiguren des klassischen Autorenkinos, die von Fassbinder bis Bunuel immer schmutzige Heilige und edle Huren zugleich waren.

Die Angst der Erwachsenen vor ihren Kindern

Diesmal steht eindeutig Luis Bunuel Pate: Ozons Isabelle ist eine zeitgemäße Variante von jener "Belle de Jour", in der die marmorne Schöne Catherine Deneuve einst wortwörtlich mit Schlamm beworfen wurde - ungerührt und klug bleibt auch die von der Modellschönheit Marine Vacth verkörperte Isabelle fast jederzeit Herrin der Situation.

Bis zum Ende des Films ist es aber eine Frage unserer eigenen Haltung, auf welche Seite der Moral - Hedonismus oder Anstand - wir uns bei dieser Geschichte schlagen. Weise verkörpert diesen Doppelsinn Charlotte Rampling in einem tollen Auftritt als Witwe des toten Freiers, die Sympathien für seine Ex-Geliebte entwickelt.

"Jeune et Jolie" ("Jung und schön") handelt von der uneingestandenen Angst der Erwachsenwelt vor ihren Kindern, vor deren Sünden namens Drogen, Sex, Ungehorsam und Freiheit, vor deren Ungreifbarkeit in den sozialen Netzwerken mit deren merkwürdigen Stammesritualen, in denen sie verschwinden.

Ozon erzählt auch von Jugend, von der Einsamkeit und Verlassenheit junger Menschen. Am ehesten scheint sich der Regisseur selbst mit Isabelles jüngerem Bruder zu identifizieren. Das erste Bild dieses Films ist sein Blick auf die Schwester, im Sommer, am Strand, durchs Fernglas.

Ein männlicher Blick und die Angst der Frauen

Es ist ein klassischer Voyeursblick, der auch den Zuschauer gleich zum Komplizen macht. Ein männlicher Blick. Aber der Bruder ist die einzige männliche Figur, der nicht selbst als Voyeur auf die schöne Schwester schaut.

Er teilt mit der Schwester vielmehr eine intime Vertrautheit, deckt ihre kleinen Vergehen gegen die elterliche Ordnung. Er ist ein Bruder und der Schwester beste Freundin. Er berät sie beim Schminken, und erst nach einer Viertelstunde begreift man als Zuschauer, dass deren Geschwisterverhältnis gar nicht das Thema des Films ist. "Du siehst aus wie eine Hure", hatte er schon gesagt, als sie sich für den Jungen, der sie entjungfern wird, schön gemacht hat.

Ozon erzählt von Blicken, von den Blicken aller anderen auf die Prostituierte. Die Männer kommen in Versuchung. Aber sie sind auch arme Trottel. Dumm, harmlos, gutmütig. Isabelle spielt mit ihnen mit äußerstem Geschick. Gerade dies, die Macht, die sie über die Männer hat, macht auch den anderen Frauen ihnen suspekt.

Prostitutionsverbot? Ein Plädoyer für die freie Liebe! (10 Bilder)

Es liegt sehr viel Neid und sehr viel Aggression im Verhalten aller anderen Frauen gegenüber Isabelle - die erwähnte Witwe ausgenommen. Sehr weise fängt Ozon die Angst dieser Frauen ein, ihr Verdacht und die Ahnung, dass Isabelle etwas über ihre Männer, über alle Männer wissen könnte, das sie nie wissen werden.

Zugleich sind diese Frauen sämtlich durchtrieben. Sie haben sämtlich etwas zu verbergen.

Ungeachtet all dessen verfällt "Jung und schön" gegen Ende ein wenig selbst jener bürgerlichen Moral, die der Film doch kritisieren will, und gönnt gerade dem konservativen Teil des Publikums den bequemen Ausweg: Indem er Isabelle beim Tod des Freiers erschüttert sein lässt, beim Therapeuten verletzlich, oktroyiert Ozon seiner Figur bestimmte Gefühle auf, und schwächt sie dadurch. Sie wird wieder vom Netz der Moral eingefangen, das sie zuvor schon zerrissen hatte.

Trotzdem ist "Jung und Schön" ein Film, der außerordentlich gut passt in diesen Tagen, in denen bei den Koalitionsbverhandlungen auch über Einschränkungen von Prostitution verhandelt wird. Denn dies ist keineswegs ein Plädoyer für Prostitution. Aber unbedingt eines für freie Liebe und für die Freiheit aller Frauen. Aller Menschen.