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Proteste, Bremser und Herkules-Aufgaben

Windpower in Liu'ao/China. Bild (2015): Vmenkov/CC BY-SA 4.0

Die Energie- und Klimawochenschau: Ein alles andere als vollständiger Rückblick auf 2021 (Teil 1)

Was für ein Jahr. Es begann mit der bis dahin schlimmsten Corona-Welle, in der zeitweise um die tausend Menschen pro Tag starben, es endet mit den bisher höchsten Infektionsraten und in der Erwartung eines neuen weiteren Höhepunktes, obwohl die Menschen in den Krankenhäusern schon jetzt längst am Limit arbeiten und immer mehr kündigen, weil sie sich selbst schützen müssen.

Als sei das alles noch nicht genug, hat auch die Klimakrise keine Pause gemacht. Mancherorts, vom Ahrtal ("Es war der Klimawandel" [1]) über Malta, die türkische Schwarzmeerküste [2], das chinesische Zhengzhou [3], bis nach Sibirien, Westkanada, Haiti und Kentucky in den USA, haben Überschwemmungen, schwere Stürme, Hitzewellen und dramatische Waldbrände die Not noch vergrößert.

Atempause in Lützerath

Aber bevor wir einen etwas intensiveren Blick auf das zu Ende gehende Jahr richten, eine gute Nachricht: Am rheinländischen Braunkohletagebau Garzweiler 2 droht im Dorf Lützerath (Stadt Erkelenz) vorerst keine Räumung.

Der Braunkohlekonzern RWE hatte beantragt, noch vor Abschluss des Enteignungsverfahrens, den Hof des Landwirts Eckardt Heukamp abreißen zu dürfen. Die zuständige Bezirksregierung in Arnsberg hatte dem zugestimmt, aber Heukamp sowie zwei Mieter aus den betroffenen Gebäuden hatten Beschwerde eingelegt.

Anfang Januar hätte über diese entschieden werden sollen, doch nun hat das Oberverwaltungsgericht bekanntgegeben [4], dass wegen einer Erkrankung und "der Komplexität des Verfahrens" vorerst nicht mit einer Entscheidung zu rechnen ist.

Dennoch wird es am 8. Januar eine Demonstration in Lützerath geben, wo inzwischen ein Protestcamp erreichtet wurde. Telepolis hatte [5] mehrfach [6] berichtet [7].

Vandalismus

Doch nun zum ersten Teil unseres Rückblicks auf 2021. Begonnen hatte das Jahr mit einer Meldung aus besagtem Lützerath, wo RWE Häuser und Stallungen abriss, um die verbleibenden Bewohner unter Druck zu setzen.

"Vandalismus unter Polizeischutz" [8] haben wir das genannt. Im Herbst konnten wir uns davon überzeugen, dass auf den betroffenen Grundstücken [9] (im Vordergrund) inzwischen reichlich Unkraut wächst, aber ansonsten nichts weiter geschehen ist.

Fridays for Future

Bei den verschiedenen Protesten, die übers Jahr immer wieder an den Tagebaukanten in Lützerath und anderswo stattfanden, waren auch Mitglieder von Fridays for Future [10] dabei, die hierzulande vor wenigen Wochen den dritten Jahrestag ihrer Schulstreiks und anderen Aktionen begannen.

Trotz Corona waren sie auch 2021 weiter aktiv – manchmal auf der Straße, oft aber auch im Netz, was es sicherlich nicht einfacher macht, die Interessierten bei der Stange zu halten. Aus vielen Orten wird ein Schrumpfen der Gruppen berichtet.

Dennoch gab es auch in diesem Jahr von März bis November acht internationale Aktionstage [11]. Die größte Beteiligung gab es am 24. September, als in 1.335 Städten in 102 Ländern Menschen zu Demonstrationen und anderen Aktionen auf die Straße gingen.

In Deutschland beteiligten sich zwei Tage vor der Bundestagswahl nach Zählung [12] der hiesigen Fridays-for-Future-Koordination rund 620.000 Menschen in über 470 Orten.

Ein Kohleausstieg bis spätestens 2030, ein Stopp aller Autobahnprojekte, Investitionen in ÖPNV und Fahrrad und "ein festes Datum für ein sozialverträgliches Ende der Neuzulassung von Verbrennungsmotoren bei PKWs" waren die Forderungen an die Parteien.

Entsprechend groß ist der Frust über das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen, weshalb die Proteste weitergehen sollen, wobei unter anderem auch die Banken im Visier [13] genommen werden, die immer noch Investitionen in fossile Infrastruktur unterstützen. Die letzten größeren Demos gab es am 22. Oktober, als in Berlin zum Beispiel nach Angaben der Veranstalter [14] 20.000 Menschen auf die Straße gingen.

Klimaneutralität bis 2045 sei zehn Jahre zu spät und es fehle ein Datum für den Gasausstieg ebenso wie ein Moratorium für Autobahnen, heißt es bei den jungen Klimaschützerinnen und -schützern in einer Kritik des von SPD, Grünen und FDP abgeschlossenen Vertrages.

Deutschlands Rückstand

International läuft es mit dem Klimaschutz ein klein wenig besser. Global war 2021 ein weiteres Rekordjahr für die erneuerbaren Energieträger.

Hierzulande kann davon jedoch keine Rede sein. In Deutschland stand in den letzten Jahren die Bundesregierung mit beiden Füßen auf der Bremse. Nach den Daten [15] des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme wurden zwischen Rhein und Oder bis Ende November nur 1,6 Gigawatt (GW) neuer Windkraftleistung an Land installiert.

In den besten Jahren ist die Leistung der an Land installierten Windkraftanlagen um rund fünf GW gewachsen, und nötig wären für das Erfüllen der in der Pariser Klimaübereinkunft eingegangen Verpflichtungen die Installation von deutlich über zehn GW jährlich. Zumal auch zunehmend alte Anlagen ersetzt werden müssen, sodass nicht jeder Neubau die Kapazitäten erhöht.

Noch schlechter sieht es auf See aus, wo 2021 bisher kein neues Windrad ans Netz ging. Auch der Ausbau der Biomasseanlagen ist fast zum Stillstand gekommen.

Allerdings ist das bei den gegenwärtigen Rahmenbedingungen, wo diese meist mit Mais oder anderem Getreide aus der Intensiv-Landwirtschaft betrieben werden nicht so bedauerlich. Hier wäre endlich ein Umstieg auf Blühpflanzen oder ähnlichem [16] sowie auf die ausschließliche Nutzung in der Kraft-Wärme-Kopplung notwendig, bei der auch die Abwärme genutzt wird.

Der Ausbau der Solarenergie hat sich hingegen in den letzten Jahren aufgrund der stark gefallenen Anlagenpreise wieder etwas erholt und beträgt in den ersten Hälften 2021 rund 4,4 GW, womit dieses Jahr circa 60 Prozent des 2012 erreichten Höchstwertes installiert würden.

Global bietet sich hingegen ein ganz anderes Bild und für die Deutschen wird es vielleicht wirklich einmal Zeit, sich von der Vorstellung zu verabschieden, Energiewende und Klimaschutz fände nur hierzulande statt.

Das Gegenteil ist der Fall. Deutschland ist unter der Regierung von Union und SPD inzwischen weit zurückgefallen. Auch die Politprofis der FDP hatten 2011 beim Strangulieren der Solarindustrie schon das ihre dazu beigetragen.

Schnell, aber nicht schnell genug

Die Internationale Energieagentur IEA meldet für 2021 einen neuen Rekord beim Ausbau der erneuerbaren Energieträger, wie die britische Zeitung Guardian berichtet [17]. Demnach wurden 290 GW neue Leistung installiert. Hauptsächlich handele es sich um neue Windräder und neue Solaranlagen.

In den kommenden Jahren bis 2026 würden weltweit die Erneuerbaren 96 Prozent des Zuwachses bei den Stromerzeugungskapazitäten ausmachen. Die Hälfte davon gehe allein auf das Konto der Solarenergie.

Der starke Zuwachs 2021 sei ein weiteres Zeichen für die Geburt einer neuen globalen Energiewirtschaft, so IEA-Direktor Fatih Birol laut Guardian. Die hohen Rohstoffpreise seien eine Herausforderung für die neuen Branchen, zugleich bekämen sie aber einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den fossilen Energieträgern, deren Preise ebenfalls steigen.

Wenn aber die Menschheit bis zur Mitte des Jahrhunderts tatsächlich so gut wie ohne CO2-Emissionen auskommen soll, reicht das bisherige Ausbautempo noch lange nicht. Es müsste nach Ansicht der IEA noch einmal verdoppelt werden.

Schneller als geplant

In China arbeitet man daran. Das Land war zwar auch 2021 der größte CO2-Verusacher – ein Titel den es erst seit circa 15 Jahren hält, zuvor waren es etliche Jahrzehnte lang die erheblich kleineren USA – aber es ist auch Weltmeister im Ausbau der Wind- und Solarenergie. Wie berichtet wird in der Volksrepublik für dieses Jahr allein bei der Sonnenenergie von einem Zubau von 55 bis 65 GW gerechnet [18].

In der Windkraft werden ähnliche Werte erreicht, zumal es inzwischen auch auf See losgeht. Vor den Küsten weht es meist deutlich mehr, als an Land und Chinas flache Küstengewässer sind für den Bau von Offshore-Anlagen bestens geeignet. Außerdem sind sie den Verbrauchszentren in den Küstenprovinzen deutlich näher als die meisten großen Windparks im Inland.

Die IEA rechnet entsprechend damit, dass China sein Ausbauziel bei den Erneuerbaren mit 1.200 GW Leistung schon 2026 statt erst 2030 erreichen wird. Das wäre durchaus typisch für die chinesischen Klimaziele.

Herkules-Aufgabe

Diese sind in den vergangenen rund zehn Jahren stets vorzeitig erreicht worden. Aktuell hat die Volksrepublik im Rahmen der Pariser Klimaübereinkunft versprochen, dass ihre Treibhausgas-Emissionen 2030 ihren Höhepunkt überschreiten. Fatih Birol geht laut Guardian allerdings davon aus, dass dies schon erheblich früher der Fall sein könnte.

Vermutlich wird er recht haben. In den vergangenen Jahren sind die chinesischen Emissionen kaum noch gewachsen. Im ersten Halbjahr 2021 sind sie im Zuge der wirtschaftlichen Erholung nach dem Corona-Einschnitt zwar deutlich angestiegen, aber schon ab der Jahresmitte gab es im Vergleich zum Vorjahr kaum noch weiteres Wachstum.

Doch ein Ende des Wachstums ist natürlich erst der Anfang. Deutlich über 50 Prozent des Stroms wird in China immer noch von Kohlekraftwerken erzeugt. Die mit Windrädern und Solaranlagen zu ersetzen ist eine Herkulesaufgabe, die unter anderem den Ausbau von verlustarmen Übertragungsnetzen und Speichern erfordert.

Auch darüber hat Telepolis in diesem Jahr mehrfach [19] berichtet [20].


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-6304049

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/news/Ahr-Hochwasser-Es-war-der-Klimawandel-6173320.html
[2] https://www.heise.de/tp/news/Kein-Ende-in-Sicht-Waldbraende-und-schwere-Ueberschwemmungen-6166590.html
[3] https://www.heise.de/tp/news/Hochwasser-Nur-alle-5000-Jahre-6145573.html
[4] https://www.ovg.nrw.de/behoerde/presse/pressemitteilungen/75_211220/index.php
[5] https://www.heise.de/tp/news/Braunkohle-Vorerst-kein-Abriss-6234439.html
[6] https://www.heise.de/tp/news/Braunkohle-Enteignung-vor-der-Enteignung-6227048.html
[7] https://www.heise.de/tp/features/Den-Kohlebagger-vor-der-Tuer-6237210.html
[8] https://www.heise.de/tp/features/2020-Neuer-Hitzerekord-5004563.html?seite=2
[9] https://www.heise.de/tp/news/Braunkohle-Enteignung-vor-der-Enteignung-6227048.html
[10] https://fridaysforfuture.de/
[11] https://fridaysforfuture.org/what-we-do/strike-statistics/list-of-towns/
[12] https://fridaysforfuture.de/fridays-for-future-bundesweit-demonstrieren-620-000-vor-der-bundestagswahl-fuer-mehr-klimaschutz/
[13] https://www.heise.de/tp/news/Fridays-for-Future-Die-Banken-im-Visier-6163773.html
[14] https://fridaysforfuture.de/
[15] https://energy-charts.info/charts/installed_power/chart.htm?l=de&c=DE&stacking=grouped&legendItems=00000000000001&year=-1
[16] https://www.hallo-energiewende.de/bluehpflanzenprojekt-vielversprechendes-zweites-jahr/
[17] https://www.theguardian.com/environment/2021/dec/01/renewable-energy-has-another-record-year-of-growth-says-iea
[18] https://www.heise.de/tp/news/China-Speicher-fuer-die-Energiewende-6289728.html
[19] https://www.heise.de/tp/news/China-Speicher-fuer-die-Energiewende-6289728.html
[20] https://www.heise.de/tp/features/Forencheck-Antikoerpertherapien-spanische-Corona-Zahlen-und-Speicherkapazitaeten-in-China-6293414.html