Pssst, Solidarnosc hört mit!

Polens Innenministerium will allen Netz- und Serviceanbietern teure Abhörsysteme aufzwingen

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Im polnischen Netz wurde es richtig heiß: das Innenministerium der rechtskonservativen Regierung von Jerzy Buzek hat den Entwurf einer neuen Verordnung vorgelegt, die eine Art polnischen Großen Lauschangriff ermöglichen würde. Jeder Anbieter, ob klein oder groß, muss entsprechende Systeme einkaufen, installieren und instandhalten, damit "berechtigte Staatsorgane" alles komfortabel abhören und archivieren können.

Ob eine Telefongesellschaft, ein ISP oder nur ein Speicherplatzanbieter - alle müssten dafür sorgen (und bezahlen), dass die "traurigen Herren", wie man in Polen Geheimdienstmitarbeiter nennt, rund um die Uhr unbemerkt an jede beliebige Nachricht gelangen können. Nicht nur die Inhalte selbst, sondern auch sogenannte "assoziierte Daten", d.h. alle Angaben über eine - selbst wenn nur versuchte - Verbindung im jeweiligen Netz müssen, laut dem Entwurf, für die Abhörenden zur Verfügung stehen.

Der Entwurf basiert auf dem Telekommunikationsgesetz vom 21.07.2000 und ist insofern legitim, allerdings lachen sich die einen Anbieter bereits jetzt kaputt, während andere um die Zukunft ihrer Firmen bangen. Denn alle, die davon wenigstens ein bisschen etwas verstehen, wissen, dass man heutzutage etwas mehr als ein Stück Kupferdraht und einen Telefonhörer braucht, um als Dritter eine Netzverbindung abzuhören. Selbst in Polen, das bei weitem kein Hightech-Land ist, werden Sekunde für Sekunde Unmengen von Daten transferiert. Dafür braucht man aber moderne und sehr teure Abhöranlagen, die oft mehr wert sind, als alle Geräte, die die kleineren Internetfirmen bisher überhaupt besitzen. Ein Kauf- und Betriebszwang wäre für sie also gleichbedeutend mit einer Pleite, meinen daher manche Fachleute.

Andererseits ist es auch klar, dass es nicht genügend viele "traurigen Herren" gibt, um alles unter Kontrolle zu halten. Es habe also, laut einigen ISP's, keinen Zweck, überall Geräte zu installieren, die ja nur selten gebraucht werden würden. Das wäre so, als ob man an jeder Straßenecke eine Videokamera installieren würde: kein Land auf dieser Welt hätte genügend Polizisten, um so viele Bildschirme, ob live oder vom Tape, zu beobachten.

Die Themen "Geld" und "Technik" überwiegen zurzeit in der Kritik, die man im polnischen Inter- und vor allem im Usenet lesen kann. Weniger oft spricht man von Menschenrechten. Das ist wohl erklärbar: in Polen fehlt es an entsprechenden Traditionen, und der nahezu Orwellsche Entwurf stammt von denselben Menschen, die vor 20 Jahren gegen Beobachten und Abhören der Bürger gekämpft haben wollen. Sie oder ihre Nachfolger sind es, die jetzt in der von "Solidarnosc" gebildeten Regierung sitzen.

In Polen gibt es auch keine so lauten und wirksamen Menschenrechtsorganisationen, wie in manchen westeuropäischen Ländern und in den USA. Auch die Presse, die die allgegenwärtige sozialwirtschaftliche Krise miterlebt und mehr oder weniger mutig beschreibt, beschäftigt sich nur ungern mit solch heiklen Themen. Im Moment hat sie übrigens anderes für die Seite 1 - z.B. die verzweifelten Krankenschwestern, die monatlich umgerechnet 300-400 Mark verdienen und jetzt auf den Straßen und in besetzten Regierungs- sowie Krankenkassengebäuden für ihr Recht auf ein menschenwürdiges Leben kämpfen.

Unter solchen Umständen wäre es vielleicht relativ mühelos, die Netz- und Serviceanbieter mit einer einfachen Verordnung in Polizeistellen zu verwandeln - doch gerade in diesem Punkt ist die polnische Armut ein Vorteil. Es ist nämlich einfach unvorstellbar, dass so viele ultramoderne Abhörgeräte gekauft und installiert werden. Das verkraften weder die Betroffenen noch ihre Kunden, die ja im Endeffekt selbst dafür bezahlen müssten, dass man sie abhören kann. Der Staat finanziert das auch nicht, selbst von einem Teil der Kosten will er nichts hören.

Doch selbst die schärfsten Gegner des totalen Abhörens geben eines zu: Der Staat muss in der Lage sein, für seine Sicherheit zu sorgen und Kriminalität wirksam zu bekämpfen. Gewisse Abhörmöglichkeiten muss er also auch besitzen - zum Schutz von sich selbst und seiner Bürger. Allerdings: alles in Maßen. Was aber für eine gute Lösung fehlt, ist nicht nur das Geld oder der Wille, sondern wohl auch ein paar gute Beispiele. In der Zeit von ENFOPOL, Echelon, Carnivore u.ä. sind eher die negativen Vorbilder im Umlauf ...