Psychologie der Krise
Die G7-Staaten gehen mit schönen Worten und ohne konkrete Maßnahmen gegen Finanzkrise vor, die auch Japan oder Spanien schon erfasst hat
Im japanischen Tokio kamen am Samstag die sieben führenden Industrieländer (G-7) zusammen. Die Finanzminister und Notenbankchefs haben dabei über die Turbulenzen an den Finanzmärkten und die Risiken für die Weltwirtschaft beraten, die von der US-Kreditkrise ausgehen. Doch außer Beschwichtigungsformeln war nicht viel vom Krisengipfel zu vernehmen, konkrete Maßnahmen wurden erneut nicht beschlossen. Die Märkte reagierten zurückhaltend und auch Profioptimisten an den Börsen geht langsam die Puste aus. Dass die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen in der vergangenen Woche nicht gesenkt hat, ließ die Börsen erneut auf Talfahrt gehen.
Dass Psychologie einen großen Einfluss auf die Entwicklungen der Weltwirtschaft haben kann, ist bekannt. Deshalb haben sich die G7-Staaten USA, Japan, Deutschland, Kanada, Großbritannien, Frankreich und Italien nun in Tokio darauf geeinigt, negative Begriffe zu vermeiden, um die Lage nicht weiter zu verschlimmern. Das war schon das Signal, dass vom Mini-Gipfel in London ausging. Nicht einmal von einer drohenden Rezession in den USA, vor der deutlich auf dem Davoser Weltwirtschaftsgipfel gewarnt wurde, ist gesprochen worden. Die hätte Konsequenzen für die gesamte Weltwirtschaft. Es gäbe "Unsicherheiten" wegen der Schwäche der US-Konjunktur, hat man sich auf eine beschönigende Sprachregelung geeinigt. In der gemeinsamen Erklärung heißt es hoffnungsvoll weiter, die Eckdaten der Weltwirtschaft seien noch immer solide. Gesprochen wird von einer Wachstumsverlangsamung, die in einzelnen Ländern unterschiedliche Ausmaße haben können. In den USA habe sich das Wachstum "beträchtlich abgeschwächt". Es gäbe zudem Risiken, wie hohe Rohstoffpreise, die Ausdehnung der Probleme am US-Hypothekenmarkt oder Inflationsgefahren.
"Wir stehen bereit, darüber hinaus weitere notwendige Maßnahmen zu ergreifen, um den Finanzmarkt zu stabilisieren und sicherzustellen, dass die internationale Integration von Finanzmärkten und Finanzinstrumenten weiter zum Wohle der Weltwirtschaft wirkt", liest man im Abschlusskommunique. Gefordert wird die Verbesserung des Liquiditäts- und Risikomanagements der Banken und mehr Transparenz. Die Risiken müssten nun lückenlos offen gelegt werden, es soll eine bessere Zusammenarbeit bei den Aufsichtsbehörden geben und die Rolle des Internationalen Währungsfonds (IWF) als Warneinrichtung gestärkt werden. Konkret einigte man sich auf keine Schritte. Jedes Land habe geld- und fiskalpolitische Aktionen zu ergreifen, "die den jeweiligen Bedingungen angemessen sind", heißt es nebulös.
Dabei hatte der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück noch im Vorfeld von rezessiven Tendenzen in der US-Wirtschaft gesprochen. Gefahren sah er auch bei Kreditkartenfinanzierungen oder bei Autokrediten. Kein Mensch wisse, wie hoch diese Risiken seien und ob sie sich realisierten. Er bezifferte allein den Abschreibungsbedarf der US-Hypothekenkrise mit 400 Milliarden US-Dollar. Da davon erst etwa 200 Milliarden in die Bücher der Banken übernommen wurden, ist trotz der schönen Worte aus Tokio mit anhaltenden Schreckensmeldungen über das gesamte Jahr zu rechnen.
Um die zur Schau gestellte Einheit nicht zu gefährden, durften einzelne G7-Staaten nicht zu konkreten Maßnahmen aufgefordert werden. Weder der extreme Kursverfall des Dollar noch der des Yen werden in der Abschlusserklärung erwähnt. Dass auch in Japan eine Rezession droht, zeigt sich am Kursverfall der japanischen Währung. Der Yen hat fast die Hälfte seines Wertes seit der Jahrtausendwende gegenüber dem Euro verloren - allein in den letzten zwölf Monaten betrug das Minus zwölf Prozent. Weise Ratschläge hatte man in Tokio nur für andere parat. So wurde China angesichts seines weiter steigenden Leistungsbilanzüberschusses und wegen seiner hohen Inflation dazu gedrängt, eine schnellere Aufwertung des Yuan zuzulassen. Auch die erdölproduzierenden Länder wurden aufgefordert, "ihre Fördermengen zu erhöhen", um den hohen Preis zu senken.
Europäische Zentralbank unter Druck
Auch der Pessimismus des Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) Jean-Claude Trichet schlägt sich in der Erklärung nicht wieder. Zwar hatte die EZB vergangene Woche die Leitzinsen für den Euro-Raum für weitere vier Wochen auf 4 Prozent belassen, doch hatte Trichet dabei die Tür für baldige Zinssenkungen geöffnet. Anders als im Vormonat schloss er trotz der hohen Inflation Zinssenkungen nicht mehr kategorisch aus. Auf der Pressekonferenz nach dem Zinsentscheid betonte er auffällig häufig, dass die Konjunkturrisiken deutlich gewachsen seien. "Die wirtschaftliche Abkühlung bei den wichtigsten Handelspartnern wird das Wachstum in der Euro-Zone bremsen", sagte er.
Er steht nicht nur unter dem Druck der Märkte und der Politik, sondern am Donnerstag ist mit der Bank of England ein wichtiger Verbündeter gefallen. Nach den zwei großen Zinssenkungen der US-Notenbank auf inzwischen 3 Prozent, hat die britische Zentralbank ebenfalls den Leitzins um einen Viertel Prozentpunkt gesenkt und damit den Forderungen nachgegeben, die schwächelnde Konjunktur in Großbritannien zu stimulieren. Allerdings hat, anders als die EZB, die Bank of England deutlich mehr Spielraum. Schließlich ist das Zinsniveau mit auf 5,25% weiter auf einem hohen Niveau und die Inflationsrate im Dezember von 2,1 Prozent nahe an der Zielmarke von 2 Prozent.
Davon kann Trichet nicht sprechen. Das EZB-Inflationsziel von 2 Prozent rückt ständig weiter in die Ferne. Im Vergleich zum Vorjahr errechnete die Europäische Statistikbehörde Eurostat Ende Januar 3,2 Prozent Inflation aus. Damit erreichte die Teuerung zum Jahresbeginn den höchsten Wert seit der Einführung des Euro. Die EZB müsste, wenn sie sich an ihre Aufgabe hält, für Geldwertstabilität zu sorgen, den Zinssatz eigentlich anheben. Dass die EZB und Trichet nicht einmal mehr davon sprechen, zeigt, anders als der nach außen zur Schau gestellte Positivismus, ihre Angst davor, dass auch die Konjunktur im Euroraum in den Abwärtsstrudel gerät. Allgemein hatten die Finanzmärkte zwar keine Zinssenkung von der EZB erwartet, allerdings gingen die Börsenkurse nach der Zinsentscheidung der EZB in den Keller. Denn auf dem Parkett sieht man die Gefahren und erwartet deutliche Schritte, um den negativen Entwicklungen zu begegnen. Schöne Worte wie in London oder Tokio helfen da wenig. Allgemein wird erwartet, dass die eigentliche Krise noch bevorsteht. Deshalb macht die Abschlusserklärung der G-7 den Investoren nur wenig Mut. Ryohei Muramatsu von der Commerzbank in Tokio, forderte dringende Lösungen für seine beiden größten Sorgen, die ganz anders klingen als die der G7-Staaten: "Ein Zusammenbruch des Finanzmarkts und eine US-Wirtschaft auf dem Weg in die Rezession".
Spanien in der Krise: 4,4 Prozent Inflation
In Tokio wurde behauptet, man werde in Europa keine Konjunkturprogramme wie in den USA auflegen und sehe dafür auch keine Notwendigkeit. Doch das stimmt nicht. Spanien hat längst damit begonnen. Die Inflation feierte in dem Land mit offiziellen 4,4 Prozent im Januar erneut einen neuen Rekord. Dabei, so ermittelte die Caixa-Bank, liegt für den Durchschnittsspanier die Inflation auf dem Basiswarenkorb schon bei 7,9 Prozent. Treibstoff und Milch führten die Liste mit einer Verteuerung von 31 Prozent an, der Brotpreis stieg um mehr als 16 Prozent, Eier um fast 10 Prozent und Früchte um fast 8 %.
Trotz angeblich hohem Wirtschaftswachstum von stolzen 3,8 Prozent 2007 steigt die Arbeitslosigkeit seit letztem Sommer kontinuierlich an. Im Januar kamen erneut 132.000 Arbeitslose hinzu. Das sind gleich 6,2 Prozent mehr als im Vormonat und es ist die höchste Steigerung, die jemals seit dem Ende der Diktatur 1975 verzeichnet wurde. Offiziell sind nun wieder 2,3 Millionen Menschen ohne Job. Dass die überwiegende Mehrheit der neuen Arbeitslosen aus dem Dienstleistungssektor kommt, zeigt, dass die Immobilienkrise und die Preissteigerungen längst auf den allgemeinen Konsum durchgeschlagen haben.
So ist es nicht nur Wahlkampftaktik, dass Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero jedem Lohnsteuerzahler im Juni eine Steuergutschrift von 400 Euro zukommen lassen will. Es handelt sich zwar auch um Stimmenkauf, denn um das Gesetz zu beschließen, müssen die Sozialisten (PSOE) am 9. März die Wahlen gewinnen, aber eben auch um gezielte Konjunkturpolitik. Die Summe entspricht in etwa den 600 US-Dollar, die auch den Verbrauchern in den USA über das Konjunkturprogramm erhalten werden, um den Konsum angesichts einer Rezession ankurbeln. Inzwischen hat Zapatero angekündigt, die Maßnahme noch auszuweiten. Auch Selbstständige sollen durch Steuerermäßigungen in den Genuss der Geldspritze kommen. Damit sollen weitere 700 Millionen Euro zu den geschätzten fünf Milliarden hinzukommen, welche das verdeckte Konjunkturprogramm kosten soll.
Er gibt inzwischen offen zu, dass die ökonomischen Daten des Landes, das 2008 nach Angaben der Regierung noch ein Wachstum von 3,1 Prozent erwartet, nicht gut sind. Deshalb sollen weitere Milliarden über öffentliche Ausgaben in die darbende Baubranche gepumpt werden. Was eigentlich seit Jahren absehbar war, will Wirtschaftsminister Pedro Solbes, einst EU-Kommissar für Wirtschaft, nicht gesehen haben: "Es ist wahr, dass wir nicht vorhergesehen haben, dass die Immobilienfinanzierung so stark betroffen werden würde", sagte er. Allein im vergangenen Jahr haben 30.000 – 40.000 Immobilienmaklerbüros dicht gemacht, gab der Fachverband bekannt. Das macht deutlich, welche Ausmaße die Immobilienkrise in Spanien schon angenommen hat. Vor vier Jahren haben es auch die Sozialisten zugelassen, dass sich die Menschen auf Lebenszeit verschulden müssen, um an eine Wohnung zu kommen. Es ist zu erwarten, dass Spanien damit nur den Anfang macht und ähnliche Programme demnächst auch in anderen EU-Ländern aufgelegt werden.