Puigdemont: "Die gesamte Anklage ist widersinnig"
Nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts in Schleswig-Holstein sieht der Verteidiger von Carles Puigdemont Chancen, dass die Rebellionsanklage in Spanien fällt und die Gefangenen freikommen
Es sind entscheidende Tage in Spanien in Bezug auf den Konflikt mit Katalonien. So hat es, nachdem die rechte Volkspartei (PP) wegen ihrer Korruption auch mit Hilfe der Katalanen aus der Regierung gehebelt wurde, erste Entspannungssignale gegeben. Der neue Regierungschef Pedro Sánchez hat den vor Jahren abgebrochenen Dialog wieder aufgenommen, geltendes spanisches Recht umgesetzt und die katalanischen Gefangenen nach Katalonien verlegt.
Sánchez hat jetzt auch die Möglichkeit, sich über seine Generalstaatsanwaltschaft aus der Sackgasse zu manövrieren, in die die PP-Regierung mit einer politisierten Justiz den Vorgang gebracht hatten. Vor dem Oberlandesgericht in Schleswig-Holstein holten sich die Hardliner und ihre juristischen Erfüllungsgehilfen eine blutige Nase - und das ist die Steilvorlage für die neue Generalstaatsanwältin von Sánchez, absurde Anschuldigungen wegen einer angeblichen Rebellion und Aufruhr fallen zu lassen. Denn die unabhängigen deutschen Richter konnten nichts davon feststellen.
Über das anstehende Verfahren, die Schritte der Verteidiger, die auch bereit sind, in Deutschland gegen eine mögliche Auslieferung von Puigdemont vor das Verfassungsgericht in Karlsruhe zu ziehen und auch den Gang vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht ausschließen, sprach Telepolis mit seinem katalanischen Anwalt Jaume Alonso-Cuevillas.
Wie stellt sich die Situation für Carles Puigdemont nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts in Schleswig dar?
Jaume Alonso-Cuevillas: Die deutschen Richter haben den Auslieferungsantrag mit dem Vorwurf der Rebellion gemäß des spanischen Europäischen Haftbefehls abgelehnt, lassen ihn aber wegen Veruntreuung zu. Wir haben allerdings Kenntnis davon, dass am spanischen Obersten Gerichtshof darüber debattiert wird, ob die Auslieferung nur wegen Veruntreuung überhaupt akzeptiert wird. Je nachdem wie der Gerichtshof entscheidet, werden wir reagieren.
Wie wirkt sich der deutsche Beschluss auf die katalanischen Politiker und Aktivisten aus, die sich schon in der Hand der spanischen Justiz befinden?
Jaume Alonso-Cuevillas: Formal hat das erst einmal keine Auswirkung auf sie. Der Prozess läuft in Spanien weiter, denn in Deutschland wurde ja nur über Carles Puigdemont entschieden, der sich nicht im Land befindet. Entschieden wurde, ob er ausgeliefert wird und unter welchen Bedingungen das geschieht. Allerdings befinden wir uns gerade in Spanien in einer sehr delikaten Situation. Denn es gab mit dem Regierungswechsel auch einen Wechsel des Generalstaatsanwalts. Und das passiert genau zu einem Zeitpunkt, in dem die Staatsanwaltschaft ihre Anschuldigungen formuliert. Es wäre also nun ein ausgezeichneter Zeitpunkt für die neue Generalstaatsanwältin, die Vorwürfe zurückzuziehen. Das gilt sowohl für Rebellion und Aufruhr, da die deutschen Richter in ihrem Beschluss diese Vorwürfe mit aller Klarheit ablehnen.
Wäre das nun also die Chance, dass sich die spanische Justiz und die neue Regierung die "groteske Situation" vom Hals schafen, wie ihr Kollege Andreu van den Eynde es nennt? Es wäre ja sehr absurd, den Präsidenten nur wegen Veruntreuung anzuklagen und gleichzeitig seine Untergebenen wegen Rebellion für bis zu 30 Jahre Haft zu verurteilen.
Jaume Alonso-Cuevillas: Ja, das ist widersinnig, aber tatsächlich ist die gesamte Anklage widersinnig. Der vorherige Generalstaatsanwalt hatte schon in der zweiten Oktoberhälfte 2017 eine Anklage wegen Ungehorsam und Veruntreuung formuliert. Er sagte dann aber, dass man das auf Rebellion ausweiten werde, wenn die Regierung am 27. Oktober schließlich die Unabhängigkeit erkläre, wie es dann auch geschah. Das heißt, dass es für den Generalstaatsanwalt bis zu diesem Tag keine Rebellion gegeben hat, wie sie im Europäischen Haftbefehl angeführt hat. Die entsprechende Anschuldigung formulierte er auch erst danach.
Das würde dann bedeuten, dass eine friedliche Erklärung der Unabhängigkeit in einem Parlament eine Rebellion darstellen würde. Klar ist, dass damit gegen spanisches Recht verstoßen wurde. Aber es ist kein Delikt und schon gar keine Rebellion. Die neue Generalstaatsanwältin hat nun die Chance, diesen Schlamassel zu beenden. Denn in Bezug auf eine angebliche Rebellion oder einen Aufruhr ist die Lage mehr als klar.
Und in Bezug auf die Veruntreuung möchte ich daran erinnern, dass der frühere Finanzminister, ja sogar der frühere Regierungschef Mariano Rajoy erklärt haben, dass nicht ein Euro an Steuergeldern für die Durchführung des Referendums am 1. Oktober ausgegeben wurde. Ich erinnere daran, dass die Zentralregierung längst zuvor interveniert und die Kontrolle über die Finanzen in Katalonien übernommen hatte. Es wäre also nur logisch, wenn die neue Generalstaatsanwältin die Anweisung gibt, auch die Anschuldigung wegen Veruntreuung zurückzuziehen.
Ist es nicht erstaunlich, dass der Ermittlungsrichter am Obersten Gerichtshof Pablo Llarena nun plötzlich auf die technisch-buchhalterische Untersuchung der Vorgänge verzichtet?
Jaume Alonso-Cuevillas: Das ist noch so ein Widersinn. Erst macht Finanzminister Montoro die Angabe, dass kein Euro für das Referendum ausgegeben wurde. Danach fordert dieser Ermittlungsrichter den Finanzminister auf zu belegen, dass kein Geld geflossen ist. Er fordert einen negativen Beweis, den es für Juristen nicht geben kann. Daraufhin wiederholt Montoro seine Angaben, schickt Llarena neue Informationen und die Rechnungen der katalanischen Regierung aus dieser Zeit. Dann fordert der Richter vom Ministerium eine Untersuchung, ob sich darin eine Veruntreuung nachweisen lässt. Und jetzt, alles spricht dafür, dass ihm das Ergebnis intern gesteckt wurde, verzichtet er dann plötzlich mit der Ausrede darauf, es sei Eile geboten.
Spanien ist zwar auf dem Papier ein Rechtsstaat, aber in der Praxis sind keinerlei Garantien gegeben
Welche Schritte plant die Verteidigung von Puigdemont in Deutschland? Werden Rechtsmittel gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts eingelegt? Es hat ja entschieden, Puigdemont wegen möglicher Untreue an Spanien auszuliefern.
Jaume Alonso-Cuevillas: Das hängt natürlich von dem ab, was der Oberste Gerichtshof nun tut. Der muss in dieser Woche entscheiden, ob der Europäische Haftbefehl aufrechterhalten oder zurückgezogen wird. Das hat damit zu tun, was Sie vorher schon erwähnt haben, dass es widersinnig ist, die übrigen Angeklagten wegen Rebellion anzuklagen und nur den Präsidenten wegen Veruntreuung. Zudem weiß der Gerichtshof in Madrid auch, da wir es ihm gegenüber schon angekündigt haben, dass wir vor das Verfassungsgericht in Karlsruhe ziehen, wenn der Haftbefehl aufrechterhalten bleibt und wegen Veruntreuung ausgeliefert werden soll.
Es gibt große Chancen, dass Karlsruher Richter in die Materie einsteigen, was das Gericht in Schleswig nicht getan hat. Wir haben sehr gut vorgearbeitet, um zu zeigen, dass Spanien zwar auf dem Papier ein Rechtsstaat ist, aber in der Praxis in den Fällen der katalanischen Angeschuldigten sind keinerlei Garantien gegeben. Das lässt sich an Beispielen einfach erklären. Wir wurden für eine Anklage, mit einer Anklageschrift mit 116 Seiten, mit vielen Anhängen und Links, die sich zudem nicht öffnen ließen, an einem Feiertag vorgeladen. Wir sollten am nächsten Morgen um 9 Uhr im 700 Kilometer entfernten Madrid sein. Mir haben sie sogar verweigert, in den Fall intervenieren zu dürfen, weil mein Mandat nicht greifbar sei. Später, als der Vorgang schon weit fortgeschritten war, wurde ich dann doch wieder zugelassen.
Das sind nur zwei Beispiele wie Verteidigerrechte beschnitten wurden. Ein weiteres klares Beispiel ist, dass Jordi Turrull nach dem ersten Wahlgang, bevor er im zweiten zum katalanischen Präsidenten gewählt werden konnte, plötzlich inhaftiert wurde. Ihm wurde dann verweigert, wie schon Puigdemont und Jordi Sànchez zuvor, sich zur Wahl ins Parlament zu begeben …
… was sogar das UN-Menschenrechtskomitee scharf kritisiert hat, da seine zivilen und politischen Rechte verletzt wurden.
Jaume Alonso-Cuevillas: Ja, wir haben viele Argumente für das deutsche Verfassungsgericht. Wir werden dort über die Verletzung von Grundrechten in Spanien sprechen und offen legen, dass sich Spanien im Fall Puigdemont nicht wie ein Rechtstaat benimmt. Am Obersten Gerichtshof ist all das bekannt. Deshalb überlegt man derzeit, den Haftbefehl auch wegen Veruntreuung zurückzuziehen.
Sehen Sie Chancen, dass die Generalstaatsanwalt, ein Ministerium der Regierung, nun seine Meinung ändert und nach dem Regierungswechsel die Anklagen ganz oder teilweise zurückzieht?
Jaume Alonso-Cuevillas: Ja, wir sehen Chancen und dafür gibt es zwei Gründe. Ein wichtiger Grund ist, die Klarheit mit der die deutschen Richter in Schleswig die Anschuldigungen wegen Rebellion und Aufruhr abgewiesen haben. Und darin spielt auch eine wichtige Rolle, dass Deutschland international besonders auf der Ebene von Strafrecht anerkannt ist. Und dazu gibt es auch noch deutliche Hinweise, dass die neue Generalstaatsanwältin nicht mit dem Vorgehen ihres Vorgängers einverstanden ist.
Es gibt auch noch die verschiedenen Anzeigen gegen den Richter Llarena und die drei Richter der Berufungskammer, die seine Anklagen bestätigt haben. Die Anzeige des katalanischen Parlaments wegen Rechtsbeugung und illegaler Verhaftung hat sein Oberster Gerichtshof praktisch sofort abgelehnt. Dazu gibt es einen neuen Versuch von 3500 Bürgern, die Anzeige gegen ihn wegen Rechtsbeugung gestellt haben. Sehen Sie Chancen, Llarena und seine Anklagen darüber zu kippen?
Jaume Alonso-Cuevillas: Ich bin an diesem Vorgang von Anwälten, die anonyme Personen vertreten, nicht beteiligt. Wir haben sie sogar aufgefordert, diese Anzeigen nicht zu stellen.
Warum?
Jaume Alonso-Cuevillas: Wir verfolgen eine ausgearbeitete Prozessstrategie. Ich erinnere, dass in Belgien Europäische Haftbefehle gestellt worden waren, die inzwischen dort wegen Formfehlern abgelehnt worden sind. Aber neben dem Haftbefehl in Deutschland gibt es noch einen gegenüber Großbritannien. Und wir gehen davon aus, dass diese Anzeige sie beeinflussen kann.
Es gibt ja zudem noch die Klage gegen Llarena in Belgien. Gehen wir mal davon aus, dass der spanische Ermittlungsrichter in Belgien verurteilt werden würde. Welche Bedeutung hätte das für die Verfahren in Spanien?
Jaume Alonso-Cuevillas: In Belgien läuft ein zivilrechtliches Verfahren gegen diesen Richter. Denn er hat sich auf einer akademischen Veranstaltung zu den Verfahren geäußert, womit er gegen die Unschuldsvermutung gegenüber den von uns vertretenen Beschuldigten verstoßen hat. Bis zu einem rechtskräftigen Urteil hat jeder Mensch in einem Rechtstaat aber als unschuldig zu gelten, wogegen der Richter mit seinen Aussagen vor Kommunikationsmedien verstoßen hat. Es wird im Prozess nur eine symbolische Strafe von einem Euro für den Verstoß verlangt.
Direkt hätte eine Verurteilung keine Auswirkungen auf das Verfahren in Spanien. Das Strafrecht hier ist so konzipiert, dass alles was außerhalb Spaniens geschieht, keinen Einfluss darauf hat. Sollten aber die belgischen Richter Llarena dafür verurteilen, dass er gegen die Unschuldsvermutung verstoßen hat, hätte das nicht nur einen deutlichen Einfluss auf die öffentliche Meinung, sondern natürlich auch auf spätere Verfahren vor internationalen Gerichten. Würden unsere Mandanten verurteilt, werden wir vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ziehen. Dort hätte die Verurteilung aus einem Mitgliedsstaat wie Belgien wiederum eine große Bedeutung.
Kürzlich haben Sie erklärt: "Demnächst werden positive Sachen passieren und dabei belasse ich es zunächst." Können Sie nun etwas konkreter werden?
Jaume Alonso-Cuevillas: Es wird viele positive Vorgänge geben. Zunächst schauen wir aber einmal, ob der Oberste Gerichtshof den Haftbefehl gegen Puigdemont zurückzieht. Und hier wird es dann die diversen Reaktionen geben. Die Verteidiger haben längst die Freilassung derer gefordert, die sich in Haft befinden. Dazu wird sich die Staatsanwaltschaft äußern. Es wird also einiges an Bewegung in den nächsten Tagen geben.
Wäre es nicht logisch, dass sie alle nun freikommen, nachdem in Deutschland die Rebellion verworfen wurde?
Jaume Alonso-Cuevillas: Logisch wäre es, nun die Anschuldigungen wegen Rebellion und alle daran untergeordneten Anschuldigungen komplett zurückzuziehen. Zudem stützt sich der Richter in seiner Anschuldigung wegen Veruntreuung allein auf polizeiliche Annahmen. Es gibt nicht eine bezahlte Rechnung für das Referendum, mit der sie bewiesen werden könnte. Deshalb jongliert man nun damit herum, was es gekostet haben könnte, die Wahllokale zu mieten. Nur, das sind öffentliche Einrichtungen, sie werden nicht angemietet. Deshalb ist das auch keine Veruntreuung öffentlicher Gelder.