Spanische Ultras von Deutschland "erniedrigt", wollen Schengen-Raum aufkündigen
Rechte spanische Parteien sind empört, dass Deutschland weder Rebellion noch Aufstand in Katalonien sieht, und fürchten, dass die spanische Staatsanwaltschaft diese Vorwürfe nun fallenlassen könnte
Heute Abend sind in Barcelona wieder Hunderttausende für die Freiheit der katalanischen politischen Gefangenen auf die Straße gehen. Man darf man sich dort jetzt leise Hoffnungen auf eine mögliche baldige Freilassung der politischen Gefangen machen. Es ist nicht auszuschließen, dass sie demnächst, nachdem sie schon aus spanischen Gefängnissen in katalanische verlegt wurden, alsbald freikommen.
Zu verdanken hätte man das vor allem den Richtern im norddeutschen Schleswig. Denn die haben die spanischen Anschuldigungen ins Märchenreich verbannt, dass die ehemaligen Mitglieder katalanischen Regierung, Mitglieder des Parlamentspräsidiums und Aktivisten der großen zivilgesellschaftlichen Organisationen, eine "Rebellion" angeführt haben sollen. Damit wird es noch schwieriger, die Vorwürfe gegen die übrigen Exilierten und die Gefangenen aufrecht zu erhalten. Zumal es eine völlig absurde Situation wäre, wenn der Chef der Märchen-Rebellion nur wegen angeblicher Veruntreuung angeklagt würde, seine Untergebenen aber für einen angeblichen Putsch. Deshalb sehen die Verteidiger eine "groteske Situation" auf den Obersten Gerichtshof zukommen.
Worauf diese erfundenen Anschuldigungen von Ermittlungsrichter Pablo Llarena basieren, der stets die Vorkommnisse vor dem katalanischen Finanzministerium am 20. September dafür anführt, wird in diesem Video genau zerlegt, das nun auch in englischer Sprache vorliegt. So ist es kein Wunder, dass die Auslieferung des "legitimen" katalanischen Präsidenten Carles Puigdemont wegen Rebellion abgelehnt wurde, der deshalb dafür auch in Spanien nicht mehr angeklagt werden kann.
Dem Oberlandesgericht fehlte sogar die nötige Gewalt für einen eher simplen Landfriedensbruch, um von einer "öffentlichen gewaltsamen Erhebung" gar nicht erst zu sprechen, die der Rebellionsparagraph in Spanien mit Blick auf Putschversuche vorsieht. Deshalb war Puigdemont (und damit analog seine Untergebenen) für die deutschen Richter auch kein "geistiger Anführer" von Gewalttätigkeiten. Sie haben alle stets auf strikte Gewaltlosigkeit gepocht.
Spanische Nationalisten sind empört über die deutschen Richter
Dass man in Europa die von Richter Llarena herbeifabulierte Rebellion nicht sehen kann (auf die bis zu 30 Jahre Haft stehen), ja nicht mal einen "Aufruhr", empört vor allem die spanischen Ultras. So sprach der Sprecher der "Ciudadanos" (Bürger) von einer "Schurkerei", von einem "Raum der Straffreiheit" und einem "Schaden" durch die deutschen Richter. "Eines Tages muss man diese Schurkerei untersuchen, warum es sie gab, und wer dahinter steht", bastelt er an einer Verschwörung.
Da die Einflussnahme von "Ministern" und des ehemaligen Regierungschefs Rajoy bis zum Verfassungsgericht in Spanien normal sind, die den Richtern vor Entscheidungen zu Puigdemont oder Katalonien "die schwerwiegende Lage für den Staat" erklären, können Ultras wie Girauta sich nicht vorstellen, dass es sich um eine souveräne Entscheidung von unabhängigen Richtern handeln kann.
Doch nicht nur die ultranationalistischen Ciudadanos empören sich. Auch die rechte Volkspartei (PP) echauffiert sich. Pablo Casado, der nächste Woche Chef der großen Partei werden will, spricht von "Erniedrigungen". Die werde er als PP-Chef "nicht tolerieren", sollte er sich gegen die bisherige Vizeministerpräsidentin Soraya Sáenz Santamaría auf dem Parteikongress durchsetzen. "Mit diesen Entscheidungen des deutschen Gerichts fühlen sich die Unabhängigkeitsbefürworter auf internationaler Ebene unterstützt", schreibt er auf Twitter. Sein Kollege Esteban González Pons, Europaparlamentarier und früherer PP-Sprecher, fordert vom neuen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez, die Schengen-Vereinbarungen aufzukündigen. Beide zeigen deutlich ihren europäischen Geist. Wessen Geistes Kind Casado ist, hat er schon mehr als deutlich mit wenig versteckten Morddrohungen gegen Puigdemont gemacht.
Sánchez: "Richterliche Entscheidungen sind nicht zu bewerten, sondern zu respektieren"
Doch der neue spanische Ministerpräsident, der per Misstrauensantrag den bisherigen Chef der Korruptionspartei PP an der Regierungsspitze abgelöst hat, denkt nicht daran, diesen Forderungen der Ultras nachzukommen. Pedro Sánchez hat erklärt: "Richterliche Entscheidungen sind nicht zu bewerten, sondern zu respektieren. Das macht diese Regierung: Entscheidungen respektieren - egal ob sie in Spanien, Belgien, Deutschland oder wo auch immer getroffen werden." Für Sánchez ist entscheidend, dass Puigdemont vor spanischen Richtern erscheinen soll. Die deutschen Richter wollen Puigdemont schließlich wegen möglicher Untreue auszuliefern, obwohl sie das Vergehen stark anzweifeln. Da sie das als Katalogstraftat sehen, können sie die Auslieferung dafür nicht ablehnen, ohne Spanien politische Verfolgung vorzuwerfen. Das haben sie sich nicht getraut, obwohl sich dieser Eindruck nun sogar einer breiten Medienöffentlichkeit in Deutschland aufdrängt.
Aber ob Puigdemont überhaupt ausgeliefert werden kann, ist mehr als unklar. Dass das niemals schnell gehen wird, hatte Telepolis gleich nach der Festnahme im März deutlich gemacht. Die Verteidigung hat nun Widerspruch vor dem Verfassungsgericht angekündigt. Aussichten auf Erfolg gibt es, denn stets war klar, dass sogar der spanische Finanzminister abgestritten hat, dass Steuergeld für das Referendum geflossen sind, wie Llarena gerne behauptet.
Und das Verfassungsgericht sollte sich nun doch mit den abstrusen Anschuldigungen von Llarena auch im Fall der angeblichen Veruntreuung befassen. Denn der Richter räumt selber ein, dass er auch die nicht beweisen kann. Er spricht von der "Schwierigkeit staatlicher Stellen", um die nötigen Dokumente zur Veruntreuung beizubringen. (https://www.elnacional.cat/es/politica/llarena-malversacio-proves_287217_102.html) Er verzichtet nun eilig auf die "technisch-buchhalterische Untersuchung" durch das Finanzministerium und will sich nur noch auf dubiose Berichte der Guardia Civil beziehen. Es drängt sich der Verdacht auf, dass der Richter nur deshalb verzichtet, da das Finanzministerium die Version ihres ehemaligen Chefs bestätigen dürfte. Dann würde auch sein Vorwurf der Veruntreuung wie ein Kartenhaus zusammenbrechen.
Im Obersten Gerichtshof von Llarena werden nun offensichtlich zwei Varianten für das weitere Vorgehen debattiert. Eine ist, den Europäischen Haftbefehl gegen Puigdemont zurückzuziehen, weil man ihn nicht allein wegen Veruntreuung zu einer relativ niedrigen Haftstrafe verknacken will. (http://www.elmundo.es/espana/2018/07/12/5b4777aa22601d63748b4659.html) Wegen Aussichtslosigkeit hatte Llarena den Haftbefehl in Belgien schon einmal im vergangenen Herbst zurückgezogen, da Belgien die Auslieferung von drei exilierten Ex-Ministern abgelehnt.
Eine weitere Möglichkeit ist, darüber berichtet El Periódico, sich Puigdemont wegen Veruntreuung ausliefern zu lassen, um ihn zunächst dafür abzuurteilen. Erst danach würde man ihm dann einen neuen Prozess machen, um ihn doch wegen Rebellion oder anderer schwerer Verbrechen anzuklagen. "Nach dem Prozess für dieses Delikt und dem Vollzug der Strafe, wenn sich die ausgelieferte Person 42 in Spanien befindet, kann sie für andere Delikte angeklagt werden, als die, für die die Auslieferung gestattet wurde", schreibt die Zeitung. Das dies möglich erscheint, sollte ein weiterer Grund für das deutsche Verfassungsgericht sein, die Auslieferung abzulehnen. Ein fairer Prozess für Puigdemont und seine Mitstreiter ist in Spanien kaum zu erwarten, weshalb sich eine Auslieferung verbietet.
Unruhig sind der Oberste Gerichtshof und die Staatsanwaltschaft offensichtlich aber darüber, dass angesichts der "Prügel", die Spanien in Deutschland bezogen hat, nun das Ministerium für Staatsanwaltschaft die Rebellionsanklage nicht weiter unterstützt. Damit könnte man der grotesken Situation entgehen. Ohnehin ist allen klar, auch wenn sie es nicht zugeben wollen, dass es nie eine Rebellion in strafrechtlicher Hinsicht gab, deshalb wollte Sánchez den entsprechenden Artikel sogar schon reformieren, um ihn auf die Katalanen passgenau abzustimmen. Die Voraussetzungen für den Rückzug sind nun da, da Sánchez mit dem Regierungswechsel nun ebenfalls der Chef der Staatsanwaltschaft ist. Ohne die Unterstützung der Staatsanwaltschaft ist es, allein auf Basis der Nebenklage der faschistoiden Vox-Partei, kaum möglich, die Gefangenen Minister und Aktivisten weiter in Haft zu halten und fraglich, ob es für einen Prozess mit dieser Anschuldigung reicht.
Dass Sánchez die Entscheidung der deutschen Richter akzeptiert hat, lässt Spekulationen ins Kraut schießen, dass seine Staatsanwälte die groteske Rebellionsanklage beerdigen könnten. Dazu kommt, dass für seine Regierungsfähigkeit auf katalanische und baskische Unterstützer angewiesen ist und er inzwischen auch einen Dialog mit dem katalanischen Regierungschef begonnen hat. Es wäre eine Entspannungsgeste, nach neun Monaten die politischen Gefangenen endlich freizulassen, die nie hätten eingesperrt werden dürfen.
Das fordert auch die Schwesterpartei der spanischen Sozialdemokraten in Portugal. Die sozialistische Europaparlamentarierin Ana Gomes hofft, dass die Gespräche mit dem katalanischen Regierungschef Quim Torra nicht nur zur Verlegung der Gefangenen nach Katalonien führen, sondern "ihre Freiheit bedeuten". Für Gomes ist es "verheerend", dass es in Spanien "politische Gefangene" gibt.