Putin legt Veto gegen Zensurgesetz ein

Das nach der Geiselnahme schnell vom Parlament verabschiedete Mediengesetz muss zurück in den Vermittlungsausschuss, aber das heißt noch nicht, dass die Pressefreiheit deswegen gesichert wäre

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Immerhin hat der russische Präsident Putin dem Druck aus dem In- und Ausland erst einmal nachgegeben und gegen das bereits von der Duma und dem Föderationsrat im Eilverfahren gebilligten Zusätze im Mediengesetz sein Veto eingereicht. Jetzt müssen die verschärften Zusätze, die eine Berichterstattung etwa über den Tschetschenienkrieg oder auch eine Darstellung des politischen Anliegens von tschetschenischen Rebellen und Kritikern verhindert hätten, vom Vermittlungsausschuss noch einmal überarbeitet werden.

Nach der spektakulären Geiselnahme durch tschetschenische Terroristen in Moskau haben regierungsorientierte Politiker schnell die Gunst der Stunde zu nutzen gesucht, das Mediengesetz zu verschärfen (Der Mediencoup im Theater). Medienberichte über Antiterrormaßnahmen, die diese behindern, deren Vorgehen oder Techniken mitteilen oder das Leben von Menschen gefährden können, werden darin verboten. Das Vorgehen der russischen Militärs in Tschetschenien gilt beispielsweise als Antiterror-Maßnahme. Überdies wird jede Wiedergabe von Äußerungen verboten, die sich gegen die Durchführung von Antiterrormaßnahmen richten oder einen Widerstand gegen diese rechtfertigen. Verboten ist den Medien auch die Veröffentlichung von Informationen über die Mitglieder von Spezialeinheiten. Veröffentlicht werden dürfen auch keine Informationen mehr über die Herstellung von Waffen, Munition und Sprengstoffen und Staatsgeheimnisse.

Ganz allgemein soll durch das Gesetz jede "Propaganda" für "Terrorismus und Extremismus" untersagt werden. Damit könnte jede Art von Äußerung zensiert werden, die staatlicherseits unerwünscht ist, da sich unter diesen dehnbaren Begriffen viel unterordnen lässt. So heißt es denn auch, dass Medien nicht mehr über "extremistische Aktivitäten" berichten sollen. Das Gesetz würde natürlich auch dem Geheimdienst FSB gestatten, nicht nur jede Untersuchung des Vorgehens seiner Spezialeinheiten zur Befreiung der Geiseln an sich zu reißen, wobei 129 Menschen durch ein Betäubungsmittel vergiftet wurden, sondern auch jede kritische Berichterstattung darüber zu verbieten.

Vermutlich wollte Putin, der ansonsten die Antiterror-Rhetorik von Präsident Bush gerne übernimmt, um die Haltung der russischen Regierung zu rechtfertigen, mit dem Zensurgesetz keinen allzugroßen Imageverlust im Westen bewirken. Dass Putin, der ehemalige Geheimdienstchef, die freien Medien nicht besonders schätzt, hat er schon vielfach demonstriert. Erst einmal hat er durch sein Veto das Mediengesetz in den Vermittlungsausschuss verlagert, wo es vermutlich etwas gedämpft, aber nicht sehr viel verändert werden dürfte.

"Terrorism -- first of all, I've got a good friend in the fight against terrorism in Vladimir Putin. He understands the stakes. And so do I. He understands that as you embrace freedom and embrace change and -- that there will be people who resent that and want to impose their will.

Secondly, I thought that at the theater that he was confronted with a very difficult situation. Eight hundred people were -- were going to lose their lives. Clearly, these people were killers, just like the killers that came to America. There's a common -- a common thread, that any time anybody is willing to take innocent life for a so-called cause, they must be dealt with. And he made some very tough decisions. And people tried to blame Vladimir; they ought to blame the terrorists. They're the ones who caused the situation, not President Putin." - Präsident Bush zeigte sich vor dem Nato-Gipfel mit Putin solidarisch.

Unmittelbar reagierte Putin auf eine Petition von wichtigen russischen Medien, in der zugegeben wurde, unbeabsichtigte "Fehler" bei der Berichterstattung über die Geiselnahme begangen zu haben, aber vor der verschärften Zensur gewarnt wurde. Gefordert wurde, dass die Medien sich einer Selbstkontrolle unterwerfen sollen. Unterschrieben haben den Brief 22 führende Medienvertreter von Fernsehanstalten, Radiosendern oder Zeitung. Putin hat am Montag die Vertreter von 11 Medien zu einer Besprechung eingeladen. Darunter auch den Herausgeber der Prawda, der die Petition nicht unterschrieben hatte. Nicht eingeladen zum Date mit dem Präsidenten war allerdings Boris Jordan von NTV, dem einzigen noch verbliebenen großen privaten Fernsehsender.

Die Medienvertreter betonten, dass sie selbst Richtlinien für die Berichterstattung über Krisensituationen wie die Geiselnahme entwickeln und in einen Entwurf des Mediengesetzes einarbeiten wollen. Schuld an den begangenen Fehlern seien auch die mangelhaften und ungenauen Richtlinien der Polizei und des Geheimdienstes gewesen. Putin kritisierte jedoch noch einmal scharf das Verhalten mancher Medien, vor allem von NTV, den er aber nicht bei Namen nannte, und warf ihnen vor, ganz bewusst die Anordnungen des Presseministerium missachtet zu haben, um mehr Quote und mehr Geld zu erzielen. So wurden beispielsweise unmittelbar vor der Erstürmung des Theaters von NTV noch Bilder von den Spezialeinheiten gezeigt. Bekanntlich konnten die Geiselnehmer im Theater die Berichterstattung im Fernsehen verfolgen.

Putin gab zu, dass das Gesetz in der vorliegenden Form nicht die Kampf gegen den Terrorismus effizienter machen würde, und dass es Möglichkeiten "für unbegründete Begrenzungen des rechts der Bürger auf Information" enthielte. Man müsse ein "besseres Gleichgewicht zwischen der Begrenzung der Medienberichterstattung bei konkreten, definierten Situationen und einer freien Berichterstattung für die Gesellschaft über die staatlichen Aktivitäten finden, so dass der Staat nicht beginnen kann, sich als unfehlbar zu empfinden."

Der Präsident rief die Meiden dazu auf, sich ihrer Rolle im Kampf gegen den Terrorismus bewusst zu sein und gegen die "terroristische Ideologie" zu kämpfen. Da aber bekanntlich alle Autonomiebestrebungen für Putin als Terrorismus gelten, wird sich etwa an einer unzensierten Berichterstattung über Tschetschenien nicht viel ändern. Interessanterweise fügte Putin noch hinzu, warum die Medien im Kampf gegen den Terrorismus, was immer dieser genauer auch sein sollte, eine so wichtige Rolle spielen:

"Die Hauptwaffe der Terroristen sind nicht Kugeln, Granaten oder Maschinengewehre, sondern die Erpressung des Staates und der Bürger. Und die Beste Möglichkeit, dies zu machen, besteht darin, den Terroranschlag in eine Live-Show zu verwandeln."