Quecksilberbelastung senkt in der EU den IQ

Die vor allem in Süd- und Nordeuropa hohe Quecksilberbelastung der Menschen wirkt sich nach einer Studie negativ auf die kognitive Leistung und die Wirtschaftskraft aus

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Quecksilber ist hochgiftig, kann tödlich wirken und das Gehirn schädigen. Europäische Wissenschaftler haben nun mal versucht auszurechnen, welche positiven Folgen es haben könnte, die Quecksilberbelastung der Bevölkerung, besonders der Kinder vor der Geburt, so weit wie möglich zu reduzieren. Welche Auswirkung hätte das auf den IQ und letztlich auf die Produktivität eines Landes, so die Fragestellung.

Der Studie, die in der Zeitschrift Environmental Health erschienen ist, liegen Daten des Human-Biomonitoring DEMOCOPHES-Projekts zugrunde, im Rahmen dessen aus Urin- und Haarproben von 1.875 Kindern und Müttern in 17 europäischen Ländern 2011 du 2012 eruiert wurde, welchen Giften - neben Quecksilber auch Cadmium, Cotinin und Phthalate - sie ausgesetzt waren. Dazu wurden Daten von 6.820 aus acht Ländern hinzugezogen. Die Neurotoxität wurde so abgeschätzt, dass ein Mikrogramm pro Gramm zusätzliche Quecksilberbelastung in den Haaren von Müttern den IQ des Kindes um 0,465 sinken lässt, wodurch auch die schulische Ausbildung beeinträchtigt werde. Eine Belastung von unter 0,58 Mikrogramm pro Gramm (μg/g) gilt mit Verweis auf andere Studien als sicher.

Geht man davon aus, dass die Stichproben repräsentativ sind, dann werden jedes Jahr 1,866 Millionen Kinder mit einer Quecksilberbelastung von mehr als 0,58 per μg/g in den Haaren geboren. Und 232.000 Kinder liegen jährlich über dem von der WHO empfohlenem Grenzwert von 2,5 per μg/g. Allerdings ist der Osten geringer belastet. 89 Prozent der spanischen, 91 Prozent der portugiesischen oder 78 der griechischen Kinder haben etwa eine Belastung über 0,58 per μg/g, aber nur weniger als 5 Prozent der in Ungarn, Tschechien, Polen, der Slowakei und Slowenien geborenen Kinder. In Spanien liegen 74,4 Prozent über dem Wert 1,0 und 31,7 Prozent über 2,5, in den osteuropäischen Ländern finden sich die höheren Werte bei 0 Prozent.

In Deutschland haben 6.7 Prozent der Kinder einen Wert über 0,58, 0,8 Prozent über 1,0 und 0 Prozent über 2,5. In Schweden haben 10 Prozent einen Wert über 0,58, in Frankreich 44 Prozent, in Belgien 28,7 Prozent, in Norwegen 27,7 Prozent oder in Irland 10,8 Prozent, während in Großbritannien 0 Prozent belastet sind. Die unterschiedliche Belastung ist, so die Wissenschaftler, vor allem auf den Fischkonsum zurückzuführen, durch den am meisten Quecksilber in den Körper gelangt.

1,8 Millionen der jährlich geborenen Kinder in der EU haben nach den Schätzungen der Wissenschaftler Quecksilberwerte von mehr als 0.58 μg/g, 200.000 von mehr als 2,5. Wenig erstaunlich würden die großen Ländern, in denen die Menschen wie in Spanien, Italien oder Frankreich am stärksten durch Quecksilber belastet sind, am meisten von einer niedrigeren Konzentration profitieren.

Würden die Quecksilberwerte in den Menschen auf 0.58 μg/g und weniger gesenkt, würden EU-weit nach den auf US-amerikanischen Studien fußenden Berechnungen mehr als 600.000 IQ-Punkte "gerettet" werden. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass jeder IQ-Punkt einem wirtschaftlichen Wert von 13.579 Euro entspricht, womit produktivitätsbereinigt 8 Milliarden Euro mehr erwirtschaftet werden könnten. Würde die Quecksilberverschmutzung reduziert werden, so würde dies, wie Martine Bellanger, Wirtschaftsprofessorin an der Ecole des hautes études en santé publique (EHESP), sagt, vor allem den südeuropäischen Ländern zugutekommen.

Die Wissenschaftler gehen allerdings davon aus, dass die ökonomischen Vorteile einer Reduktion der Quecksilberbelastung noch deutlich höher liegen, vor allem wenn weitere Aspekte von dessen Neurotoxität und langfristige Erkrankungen berücksichtigt würden. Solche Abschätzungen lassen sich für viele Gifte machen (Altersdemenz durch Bleibelastung?). Dass sie überhaupt durchgeführt werden, spricht schon dafür, dass die Menschen solche Risiken nicht mehr einfach hinnehmen wollen und die Politiker sich genötigt sehen, Überwachungsprogramme zu starten. Ob dies eine Folge haben wird, ist eine andere Sache (Deutsches Quecksilber kein Problem), schließlich handelt es sich nicht nur um diskutable Schätzungen mit vielen Variablen, sondern auch stets um Folgen für wirtschaftliche Interessen. Die Ergebnisse der Studie werden auf der Konferenz des UN-Umweltprogramms Unep präsentiert und diskutiert werden, die derzeit in Genf stattfindet. Es ist die fünfte Sitzung des Intergovernmental Negotiating Committee, das ein global gültiges Abkommen über die Reduzierung der Quecksilberbelastung anstrebt