Quote macht sinnlich
Seite 2: Aufklärung und Gegenaufklärung
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Eine Zensur findet nicht statt, aber das alte Bild von der "Schere im Kopf" der Journalisten, der freiwilligen Gleichschaltung, ist technisch aktualisiert worden durch die strukturelle Macht der Marktmechanismen. Gleichwohl findet noch eine politische Lenkung der Berichterstattung statt, aber nicht, weil die Bundeskanzlerin die Regieanweisungen schreibt, sondern vielmehr dort, wo sich Politik und Journalismus auf einer Ebene treffen: Man kennt sich, man tauscht sich aus in Hintergrundgesprächen, und man tut sich nicht weh.
Wolfgang Herles, der unter anderem das ZDF-Studio Bonn und die Sendung "aspekte" leitete, beklagt die zunehmende Verdrängung aufklärerischer Sendungen durch Krimis, Fußball und Talk. Seine Verbesserungsvorschläge leitet er meist mit den Worten ein, dass früher alles besser war. Mit diesem nostalgischen Wertkonservativismus erreicht er nichts. Indem er, siehe vorne, politische Einflussnahmen wittert, glaubt er an die Macht politischer Instanzen, die es zu kritisieren gelte.
Das ist nach wie vor gerechtfertigt, aber Herles übersieht den globalen Trend zur Entmachtung, zur Säkularisierung der Politik durch den Neoliberalismus. Das rückt die Gesellschaft in den Mittelpunkt, sei es Klatsch und Tratsch, sei es die zunehmende soziale Spaltung. Auf diesem schmalen Grat bewegt sich Journalismus heute. Die Seite 3 seriöser Zeitungen beschäftigt sich schon lange mehr mit sozialen als mit politischen Phänomenen. Soziale Konflikte lassen sich durchaus angemessen personalisieren. Kritischer Journalismus heißt heute wie in den Zwanziger Jahren, denen, die im Dunkeln leben, eine Stimme zu geben. Ist das Lügenpresse?
Zu Recht weist Herles darauf hin, dass dem Journalismus die Aufklärungshoheit abhanden gekommen ist. Der Nutzer sucht sich im Internet selbst zusammen, was er möchte. Für ihn wählt kein Stellvertreter mehr die Nachrichten aus und sortiert sie vor. Die Dämme sind gebrochen, und die verschatteten Seiten der Phantasie wandeln auf den subversiven Kanälen des Netzes, um sich bei Anti-Öffentlichkeiten einzufinden. Dort endet die Selbst-Ermächtigung. Der Vorwurf der Lügenpresse verdeckt nur den Selbstbetrug.
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