Rajoy ist zunehmend isoliert - abgesehen von Merkel

Seite 2: CSU macht sich für Katalanen stark und rügt Madrid

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Derweil wächst auch die Kritik in Deutschland an Spanien. Zunächst hatte sich nur Justizministerin Katarina Barley (SPD) zurückhaltend kritisch gezeigt, die Puigdemont-Freilassung gelobt und "politische Komponenten" in der Katalonienfrage erwähnt, über die gesprochen werden müsse. Das führte dazu, dass rechtsradikale spanische Journalisten auf die Frau - und auf Deutschland - eingeschlagen haben. Von Deutschen als "Geiseln" auf den Baleareninseln oder von "explodierenden Brauereien in Bayern" und anderen "Aktionen" träumten sie. . Doch nun bleibt in der Regierung und dem rechten Blätterwald erstaunlich still, nachdem der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sogar einen ganz anderen Ton zu Katalonien angeschlagen hat. Dobrindt geht weit über das hinaus, was Barley bestenfalls leise anzudeuten versuchte. Wachsweich hatte sie ihre Aussagen ja sogar wieder halbwegs dementiert. "Es gab kein Interview oder sonst wie autorisierte Statements meiner Ministerin", erklärte der Sprecher Justizministeriums. Dass sie die Worte nicht gesagt hat, dementierte er aber nicht. Die Süddeutsche Zeitung will sich nicht dazu äußern, ob die Sätze in einem Hintergrundgespräch fielen, also nicht hätten im Blatt hätten erscheinen dürfen.

Während Barleys Äußerungen in Madrid als Affront gewertet wurden, kuscht man nun in Spanien, obwohl Dobrindt sogar die katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen legitimiert: "Was den Schotten als Recht auf Selbstbestimmung zugestanden wurde, darf den Katalanen nicht als Putschistentum ausgelegt werden", weist er die absurden Rebellionsanschuldigungen ins spanische Märchenreich. Er erklärt, dass in Europa jeder das Recht haben muss, über seine Identität zu diskutieren. "Freiheitsbewegungen wie in Katalonien kann man nicht apodiktisch als illegitim bezeichnen", watscht er die Postfaschisten der Volkspartei (PP) und deren Kopie Ciudadanos (Bürger) ab.

Das sind wohl die ersten klaren Worte von einem hochrangigen Politiker aus Deutschland auf Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Denn in der Charta der Vereinten Nationen ist schon in Artikel 1 definiert: "Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung." Diese Charta ist für Deutschland und Spanien verbindlich, da beide Länder sie ratifiziert haben.

Dobrindt geht mit seinen Aussagen auch über die Die Linke hinaus, die sich mit einer realen Unabhängigkeit und der Gründung neuer Staaten in Europa schwer tut. Ihre Vertreter betonen stets, keine "Anhänger der Unabhängigkeit" zu sein. Doch es macht es besonders lobenswert, dass sich die Partei trotz der Widersprüche stark und dauerhaft für die Rechte der Katalanen einsetzt und die faschistoide Repressionspolitik angreift und Spanien "vordemokratisch" nennt. Sie bekommt dafür sogar immer wieder Schelte der spanischen Schwesterpartei Vereinte Linke (IU), obwohl auch die IU das Selbstbestimmungsrecht der Katalanen im gemeinsamen Wahlprogramm mit Podemos großmäulig vertritt, wie Podemos allerdings nichts zur Umsetzung tut.

Dobrindt verknüpft unter anderem die Lösung von Konflikten wie in Katalonien mit einem Fortbestand der EU: "Die Europäische Union wird nur zusammenbleiben, wenn man die Traditionen und Besonderheiten einer jeden Region in Europa respektiert", erklärt er richtig. Ansonsten redet er im Interview ziemlich viel rechten Unsinn, wenn er sich zum Islam, Familiennachzug, einer "konservativen Revolution" und "Bewahrung der Schöpfung" auslässt.

Sogar einen positiven Bezug auf das Ungarn unter Viktor Orbán fehlt nicht, der "ein enger Partner und Freund der CSU" sei. Er habe "erheblich dazu beigetragen, dass in der Flüchtlingskrise europäisches Recht an den Grenzen durchgesetzt worden ist", geht er auf Stimmenfang bei AfD-Anhängern. Mit solchen Vorstellungen steht er aber diametral im Widerspruch zu einer progressiven offenen Gesellschaft, wie sie sich die weltoffene katalanische Unabhängigkeitsbewegung vorstellt, weshalb Puigdemont, Sànchez, die Linksrepublikaner Oriol Junqueras und Rovira und schon gleich gar nicht die linksradikale Anna Gabriel von der CUP Freunde und enge Partner der CSU sind.

Merkel-CDU unterstützt Rajoy und ist gegen das Selbstbestimmungsrecht

In der Katalonien-Frage steht Dobrindt jedenfalls im krassen Gegensatz zur weit verbreiteten Meinung in der Merkel-CDU, die bekanntlich den repressiven Kurs des spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy stützt. Merkel spricht wie Rajoy den Katalanen ein Selbstbestimmungsrecht ab. Sie lässt immer wieder betonen, dass eine Lösung nur auf der Basis der spanischen Verfassung möglich sei. Die, so meint das Verfassungsgericht, schließe aber das Selbstbestimmungsrecht aus. Doch auch Spanien hat die UN-Charta ratifiziert, womit das Selbstbestimmungsrecht zu respektieren ist.

Nur mit Zustimmung Merkels ist zu erklären, dass in Deutschland die Festnahme des von Rajoy geschassten katalanischen Präsidenten Carles Puigdemont möglich war, nachdem sich Schweden und Dänemark verweigert hatten. Beim Versuch, ihrem Kumpel Rajoy einen weiteren Gefallen zu tun, hat Berlin aber dazu beigetragen, eine vernünftige Öffentlichkeit in Deutschland in der Frage herzustellen. Dazu war der Versuch der weisungsgebundenen Staatsanwaltschaft besonders geeignet. Denn die hat einfach die absurden Anschuldigungen der spanischen Regierungsjustiz übernommen, was deutlich zur Aufklärung einer bis vor kurzen noch reichlich verwirrte deutsche Öffentlichkeit beigetragen hat.

Der Generalstaatsanwalt wollte zum Teil sogar noch darüber hinausgehen und hätte damit praktisch das Demonstrationsrecht geschleift. Doch das Gericht in Schleswig machte klar, dass es Gewalt von Seiten der Unabhängigkeitsbewegung nicht gab, schon gar nicht in der drastischen Form, wie sie für Hochverrat notwendig wäre. Am Oberlandesgericht zweifelt man auch, dass eine Auslieferung angesichts unhaltbarer Korruptionsvorwürfe möglich sind, die in Untreue umgedeutet werden müssten.

Die Merkel-CDU bezieht sich mit ihrem Vorgehen vermutlich auf "Analysen", wie sie der Direktor der Konrad-Adenauer-Stiftung in Madrid vornimmt. Im Gegensatz zu Dobrindt will Wilhelm Hofmeister die UN-Charta vollkommen ignorieren. Er meint, dass "über das Verhalten in Deutschland gegenüber dem katalanischen Separatismus" wohl der Keim zur Zerstörung der EU gelegt wird:

Wenn zu Beginn des nächsten Jahrhunderts Historiker den Verfall der Europäischen Union und der sich daran anschließenden Konflikte auf dem Kontinent beschreiben, werden sie gewiss in der Tradition von Thukydides nach den wahren Ursache (prophasis) und den unmittelbaren Gründen (aitiai) für das neuerliche Desaster suchen. Es ist unschwer vorauszusehen, dass das Verhalten in Deutschland gegenüber dem katalanischen Separatismus als einer der Gründe (aitiai) für den Verfall der EU erkannt werden wird.

Wilhelm Hofmeister

Man muss schon über dicke Scheuklappen verfügen, um Vorgänge wie den Brexit vollständig zu ignorieren, die längst den Bestand der EU in Frage stellen. Man muss aber auch noch beide Augen zudrücken und sich dazu Ohren zuhalten, um die Tatsache zu ignorieren, dass Großbritannien mit seinem demokratischen Vorgehen in Schottland die Fliehkräfte im Königreich zumindest verringern konnte. In der EU nehmen sie angesichts immer repressiver, zentralistischer und undemokratischer Vorgehensweisen aber immer weiter zu.

Nach den letzten Wahlen hat die schottische SNP jedenfalls ein neues Referendum, das sie für 2018 oder 2019 angestrebt hatte, auf Eis gelegt. Anders als erwartet wurde, stehen die Chancen auf einen Sieg nicht sonderlich gut, obwohl eine klare Mehrheit der Schotten gegen den Brexit war. Eigentlich wollten sie in der EU bleiben, die sie nun mit Großbritannien verlassen. Vielleicht haben die Ereignisse in Katalonien vielen Schotten die Augen geöffnet, was die Verfasstheit der EU angeht und ihnen die Lust auf Verbleib ausgetrieben.

Hofmeister geht bestenfalls von einer Wunschvorstellung aus, dass die Europäische Union "unter anderem auf der Idee fußt, dass sie eine Gemeinschaft freiheitlicher und rechtsstaatlicher Demokratien ist". Die Realität sieht anders aus und das müsste der Mann wissen, der in Madrid lebt. Denn es ist angesichts der Vorgänge in Spanien derzeit mehr als fraglich, ob man es noch mit einer Demokratie zu tun hat, wie auch internationale Rechtsexperten die "fehlende Gewaltenteilung" und eine politisierte Justiz anprangern.