Rassismus im Grundgesetz? Die Rassenidee ist nicht auszurotten

Seite 2: Der Begriff der "Rasse"

Zur Zeit des Nationalsozialismus wurden Menschen aufgrund von Äußerlichkeiten millionenfach ausgegrenzt, verfolgt, gedemütigt, beleidigt, verletzt und getötet. Zu keiner Zeit gab es eine einheitliche und verbindliche Lehre davon, wie viele Menschenrassen es gibt und wie sie zu erkennen sind.

Die Unterscheidung der Menschen nach äußeren Merkmalen diente keinem anderen Zweck als der Aufrechterhaltung von Herrschaft. In den überseeischen Kolonien war eine Kategorie der Unterwerfung und Unterordnung deutlich sichtbar und anwendbar geworden.

Sie sollte nun auf die heimische Bevölkerung übertragen werden. Es waren überwiegend junge, aufstrebende Wissenschaftler, die in der Rassenkategorie eine Möglichkeit sahen, gegenüber der älteren Generation Deutungsmacht zu erringen.

Das Wort selbst war ursprünglich frei von missbräuchlicher Anwendung. Als "Rasse" wurde übersetzt, was Dante Alighieri (1265-1321), der Förderer der italienischen Volkssprache, als "la gente" bezeichnete – das Geschlecht, die Familie im erweiterten Sinn, einschließlich der Vorfahren.

Erst im 17. Jahrhundert erhielt "Rasse" sein unverwechselbares Gesicht. Die Zeit des Merkantilismus, des Kolonialismus und des Warenhandels verlieh Äußerlichkeiten bestimmendes Gewicht. Der französische Reisende François Bernier (1620-1688) verbrachte zehn Jahre seines Lebens nach 1656 als Arzt am Hof des Großmoguls von Indien. Der Blick auf ein Großreich von imperialem Ausmaß verband sich mit seiner Kenntnis des indischen Kastensystems.

Berniers Reisebericht wurde in alle europäischen Sprachen übersetzt. Auch Karl Marx nutzte ihn als Quelle zu orientalischen Herrschaftsverhältnissen.

1684 verfasste Bernier eine programmatische Schrift, in der er die Einteilung der Erde nicht nach "Ländern und Regionen", sondern nach den "Rassen oder Arten" der Menschen forderte, die auf ihr leben. Zur Unterscheidung der Rassen schlug er die Hautfarbe und die Form des Gesichts vor. "Varna", das Sanskritwort für "Kaste", bedeutet ursprünglich "Farbe".3

Intellektuelles Gesellschaftsspiel

Wie viele Menschenrassen es gibt und wie sie zu erkennen wären, entwickelte sich zu einem intellektuellen Gesellschaftsspiel der Gelehrten im Zeitalter der Aufklärung. Als das Sklavereisystem zu Beginn des 19. Jahrhunderts vor allem in Europa Widerspruch erregte, wurde der Begriff der Rasse seines Realitätsbezugs entkleidet; er wurde zu einem Kampfbegriff.

Angeblich wurden mit der Hautfarbe bestimmte körperliche, geistige und moralische Eigenschaften vererbt, welche die Träger dieser Merkmale privilegierten oder ihrer Rechte beraubten. Recht und Gerechtigkeit wurden mit biologisch motivierten Argumenten ausgehebelt.

Der Arzt und Sohn eines karibischen Plantagenbesitzers William-Frédéric Edwards (1776–1842) verzichtete 1841 in einem viel beachteten öffentlichen Brief darauf, von allen Angehörigen einer Bevölkerung dieselben Rassenmerkmale zu fordern.

Es würde genügen, wenn sich die "Rassen" in einem einzigen, besonders prägnanten "Typ" unterscheiden: "Ein Jude (…) ist immer ein Jude nach der Gestalt (…); das heißt, dass alle dieselben Merkmale der Form und der Proportion besitzen, in einem Wort alles, was wesensmäßig einen Typ ausmacht".4

Durch diesen pseudowissenschaftlichen Akt wurde der jüdischen ethnischen Gemeinschaft das Recht entzogen, sich selbst als Juden zu identifizieren. Die Selbstidentifikation unterscheidet eine Ethnie im wissenschaftlichen Sprachgebrauch von der "Rasse".

Der Rassebegriff konnte nun auf grundsätzlich jede Gruppe von Menschen mit ähnlichen Körpermerkmalen übertragen werden. Mit diesem Kunstgriff wurden auch Menschen, die sich deutlich vom Idealtyp einer Rasse unterschieden, einer Menschenrasse zugeschlagen.

Das menschliche Individuum konnte sich einer solchen Kategorisierung von außen und nach äußerlichen Merkmalen nicht entziehen. Je umfangreicher die Kataloge von Rassemerkmalen wurden, desto mehr verflüchtigte sich der Rassebegriff.

In dieser gefährlichen Unschärfe wurde er im deutschen Faschismus zum Mordinstrument. Das Grundgesetz sollte uns vor einer solchen Entgleisung bewahren.