Rassismus im Grundgesetz? Die Rassenidee ist nicht auszurotten

Werbung "Grundgesetz feiern" an einem Zaun

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Die gefährliche Kontinuität eines überflüssigen Begriffs. Ein Schritt zurück aus Ignoranz. Mit Folgen für die Gesellschaft.

Eigentlich war es eine ausgemachte Sache. Vor einem Vierteljahrhundert verpflichteten sich die europäischen Staaten, den Begriff der "Rasse" aus ihren Gesetzestexten zu entfernen.

Mit zunehmender Globalisierung hat sich der letzte Rest an Realitätsbezug des inhaltsleeren Worts verflüchtigt. Es gefährdet den sozialen Frieden, weil es die universelle Geltung der Menschenrechte und den Grundsatz der Gleichbehandlung verneint.

In Deutschland wird seit 2008 gefordert, den Begriff der "Rasse" aus dem Grundgesetz zu streichen. Die Große Koalition aus SPD und CDU/CSU hatte es im Sommer 2021 versäumt, die bereits beschlossene Änderung als Gesetz einzubringen.

Rechtzeitig zum Jubiläum des Grundgesetzes begräbt nun die Regierungskoalition das überfällige Vorhaben erneut.

Hohes Maß an Unwissen

Erschreckend ist nicht nur die Begründung für diese Entscheidung, sondern auch das hohe Maß an Unwissen und Unbildung, die diesen Rückschritt ermöglichen.

Es gibt kein zweites Wort in der deutschen Sprache, dessen Bedeutung bereits im Schulunterricht restlos klar sein müsste, wie das Wort "Menschenrasse". Sechs Millionen vernichtete Menschenleben beweisen, welch grauenhafte Folgen Unwissenheit haben kann.

Der ehrenwerte Versuch, Fehler von historischem Ausmaß nicht zu wiederholen, führt jedoch dazu, dass der inhaltsleere Begriff in der aktuellen Diskussion wieder mit Bedeutung gefüllt wird. Bei dem Versuch, die Existenz von Menschenrassen auch genetisch zu widerlegen, übersieht man, dass dadurch nur die soziale Kategorie am Leben erhalten wird.

Als Wissenschaft getarnte Irrlehre

Als Wissenschaftler der Deutschen Zoologischen Gesellschaft 2019 in Jena erklärten, dass der Begriff der Menschenrasse "ein reines Konstrukt des menschlichen Geistes" sei, dann erregte das zunächst Erstaunen, denn zu eben demselben Schluss kam bereits 1950 ein Komitee der UNESCO, dem die bedeutendsten Gelehrten der Nachkriegszeit angehörten. Weil die Ähnlichkeiten der Menschen größer als ihre Unterschiede seien, solle der Begriff "Rasse" als "sozialer Mythos" gänzlich fallen gelassen werden.

In der UNESCO Erklärung zum Begriff der Rasse bestimmten die Wissenschaftler die Fähigkeit des Menschen, immer größere Gruppen zu bilden, als das Wesensmerkmal des Menschen, das unter anderem für die Entwicklung seiner geistigen Fähigkeiten verantwortlich ist.

Trotz dieser Einmütigkeit war der Rassenbegriff nicht auszurotten. Die Teilnehmer an der Weltkonferenz der Vereinten Nationen gegen Rassismus von 2001 verpflichteten sich deshalb, Institutionen einzurichten und Aktionspläne aufzustellen, um alle Formen der Rassendiskriminierung im Rechtssystem und in der Zivilgesellschaft zu eliminieren.

"Schockierende" Unbestimmtheit

Abgeordnete in Frankreich, dem Land mit dem höchsten Anteil farbiger, jüdischer und muslimischer Bürger in Europa, brachten 2004 als erste einen entsprechenden Gesetzesantrag ein. Der wegen seiner "schockierenden" Unbestimmtheit "gefährliche Begriff" wurde allerdings erst 14 Jahre später auf Betreiben Präsident Macrons mit der Begründung aus der Verfassung gestrichen, dass er die ideologische Grundlage für die Ausrottung ganzer Völker bietet.

Norwegen war mit diesem Schritt 2010 vorausgegangen.

Langsames Deutschland

In Deutschland vollzog sich die Entwicklung langsamer. Das umstrittene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) von 2006 sollte unter anderem auch die Antirassismus-Richtlinie der Europäischen Union aus dem Jahr 2000 umsetzen, in deren Einleitung es heißt: "Die Europäische Union weist Theorien, mit denen versucht wird, die Existenz verschiedener menschlicher Rassen zu belegen, zurück."

Dennoch spricht das AGG an vier Stellen von Benachteiligungen "aus Gründen der Rasse". Erst 2023 werden Pläne publik, den affirmativen Begriff durch die Formulierung "aufgrund rassistischer Zuschreibungen" zu ersetzen.

Am Grundgesetz orientieren sich alle anderen Gesetze, so auch das Verbot der Volksverhetzung in § 130 des Strafgesetzbuchs. Dort ist von Hass auf "rassische Gruppen" die Rede, als handelte es sich um dasselbe wie eine nationale oder religiöse Gemeinschaft.

Im selben positiven Sinn verwendet das Diskriminierungsverbot in § 3 des Grundgesetzes das Wort "Rasse" in einem Atemzug mit Merkmalen wie Geschlecht, Abstammung, Sprache, Heimat und Herkunft, Glaube, religiöse oder politische Anschauungen, die alle von Benachteiligung oder Bevorzugung ausgenommen sein sollen.

Diese Aufzählung im Gleichbehandlungsartikel des Grundgesetzes ist immerhin so umfassend, dass Fälle von "Rassendiskriminierung" unschwer durch die Begriffe "Abstammung", "Sprache", "Heimat und Herkunft" abgedeckt werden können. Auf den Begriff "Rasse" kann im Grundgesetz verzichtet werden.

Worauf zu achten ist

Die Benachteiligung von Menschen mit nicht-deutscher Abstammung oder Herkunft wird in der Presse häufig als "Rassendiskriminierung" bezeichnet, ist es aber nicht. Eher wäre es sinnvoll, die Aufzählung von Diskriminierungsgründen um andere Merkmale wie Lebensalter, Hautfarbe oder sexuelle Orientierung zu erweitern.

Die Sensibilität für Diskriminierung muss geschärft werden, nicht das falsche Bewusstsein unüberbrückbarer Unterschiede.

Revision auf Länderebene am erfolgreichsten

Die Revision des Rassenbegriffs war auf Landesebene noch am erfolgreichsten. Brandenburg strich 2013 den Begriff aus der Landesverfassung, später folgten Sachsen-Anhalt und das Saarland, wo SPD und CDU gemeinsam den Änderungsantrag einbrachten.

In die Verfassung des Freistaats Thüringen von 1993 wurde das Wort gar nicht erst aufgenommen. In Berlin versuchte man 2014 und in Hessen 2018 vergeblich, das Wort aus der Landesverfassung zu streichen, scheiterte aber daran, dass man sich nicht auf eine Formulierung einigen konnte.

Nach den Mordanschlägen von Hanau und Halle erreichte das Thema die Bundesebene. Im Frühjahr 2020 brachten die Parteien der Grünen und der Linken fast identische Gesetzesanträge zur Streichung des Begriffs ein. Auch ein umfassender Aktionsplan der Grünen gegen "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" findet breite Unterstützung bei fast allen Parteien

Die Große Koalition aus SPD und CDU/CSU wollte es sich nicht nehmen lassen, im November 2020 ihrerseits Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und Rassendiskriminierung, zu entwickeln.

Die geplante Korrektur des Gesetzestextes und das Scheitern

Die geplante Korrektur des Gesetzestextes scheiterte vorhersehbar daran, dass für eine Grundgesetzänderung eine Dreiviertelmehrheit der Stimmen in Bundestag und Bundesrat erforderlich ist, was bis zum Ende der Legislaturperiode nicht mehr zu schaffen war.

Mit frischem Elan verpflichtete sich die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP im November 2021, die Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus "fort(zu)setzen, inhaltlich weiter(zu)entwickeln und nachhaltig finanziell ab(zu)sichern". Der Begriff "Rasse" solle im Grundgesetz "ersetzt" werden.

Als "Paukenschlag" (Rheinische Post), "Kehrtwende" (Morgenpost) "symbolische Rolle rückwärts" (Legal Tribune Online) kommentierte die Öffentlichkeit die Agenturmeldung vom Februar dieses Jahres, dass sich die drei Regierungsparteien einig seien, nun doch am Rassebegriff im Grundgesetz festzuhalten. Man wolle damit den "Bedenken" des Zentralrats der Juden in Deutschland Sorge tragen.

Der Zentralrat hatte gegen eine Tilgung des Rassebegriffs argumentiert, weil er "an die Verfolgung und Ermordung von Millionen Menschen, in erster Linie Jüdinnen und Juden", erinnere. Streiche man den Begriff, so streiche man auch die Erinnerung an die Schrecken der Schoa.

Wenn die Regierungsparteien daraufhin die Verantwortung für ihre eigene Entscheidung auf die Opfer abwälzen, schüren sie genau jene Ressentiments, die ihnen einen "feigen Verzicht" auf souveränes Handeln unterstellen und die jüdische Gemeinschaft zum Ziel von Hassgefühlen machen.

Rassendiskriminierung nur für sein eigenes Schicksal zu reklamieren, wie dies auf jüdischer Seite offenbar geschieht, beraubt andererseits den Begriff seiner Geschichte und ist historisch falsch. In einem Beitrag zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung schreibt Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, im Juni 2023:

Der Begriff wurde von den Verfassungsvätern vielmehr bewusst gewählt, um die Diskontinuität zur völkischen Ideologie der Nationalsozialisten zu untermauern. Josef Schuster, Faz

Rassismus im Grundgesetz?

Dieses offenbar weitverbreitete Missverständnis entspricht leider nicht den Tatsachen. Der Nazi-Jurist Hermann von Mangoldt (1895-1953) war als Vorsitzender des Ausschusses für Grundsatzfragen und Grundrechte im Parlamentarischen Rat mit der Abfassung des Gleichbehandlungsartikels des Grundgesetzes befasst.

Als Begründer des meistzitierten Grundgesetzkommentars Mangoldt-Klein wird ihm ein "erheblicher Einfluss" auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nachgesagt.

Bereits 1934 trat Mangoldt dem Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen bei. Es folgte eine steile Karriere mit Professuren in Königsberg, Tübingen, Jena und Kiel. 1939 verfasste er eine Verteidigung der Nürnberger Rassengesetze unter dem Titel "Rassenrecht und Judentum".

Die "Vermischung des eigenen mit stark artfremdem Blute" bezeichnete er darin als das "Rassenproblem". Noch in den letzten Kriegsmonaten schrieb Mangoldt im Vorgriff auf die zu erwartenden Kriegsverbrecherprozesse eine Apologie des Massenmords, indem er das Führen eines Angriffskriegs oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht zu den strafbaren "Kriegsverbrechen im engeren Sinne" zählen wollte.

Als Apologie seiner rassistischen Überzeugung ist auch die Aufnahme des Begriffs der "Rasse" in den Gleichbehandlungsartikel des Grundgesetzes zu werten. Zwar geht es um den Schutz vor Diskriminierung, aber im selben Atemzug wird der "Rasse" eine reale Existenz zugesprochen.

Im Ausschuss-Protokoll zur Abfassung des Artikels 3 unseres Grundgesetzes sind die folgenden Gedanken Mangoldts festgehalten:

"Wenn man sagt: Alle Menschen sind gleich, so zeigt sich eben, daß sie praktisch nicht vollkommen gleich sind, sondern daß es gewisse Dinge gibt, die auf Grund der bei den Menschen nun einmal naturgegebenen Nuancierungen zu einer anderen Regelung führen müssen. Zum Beispiel könnte der Zigeuner, der herumwandert, gewissen gesetzlichen Sonderregelungen unterliegen."1

Es geht Mangoldt nicht um den Schutz von Minderheiten oder um kulturelle Diversität, sondern um die "Sonderbehandlung" einer Menschengruppe.

Ein Faschist, der mit seinen Veröffentlichungen dazu beigetragen hat, dass unsägliches Leid über Millionen Menschen vergossen wurde, ein "Vater" unseres Grundgesetzes?

Wie soll man sich gegen Texte im Internet wehren, in denen es wieder heißt: "Und es gibt sie doch, die Rassen!", wenn der Begriff bereits im Grundgesetz Geltung besitzt?

Erschreckende Unbildung

Die Streichung des Unbegriffs "Rasse" aus allen Gesetzestexten ist keine "zwanghafte Symbolpolitik" (Ansgar Heveling, Justiziar der CDU/CSU-Fraktion). Der Begriff muss auch nicht "im Lichte seiner Zeit gesehen werden" (Dirk Wiese, stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender).

Der freiwillige Verzicht auf die nötige Revision des Grundgesetzes ist nicht an einzelnen Personen oder politischen Parteien festzumachen. Der Verzicht offenbart vielmehr eine erschreckende Unbildung.

Erkenntnisse zur Geschichte der Menschheit müssten anstelle mythologischer Schöpfungsberichte Teil des allgemeinen Schulunterrichts sein. Eine schlichte Verbannung des Worts aus der Umgangssprache reicht nicht aus und erzeugt Unwillen gegenüber einer vermeintlichen "Cancel Culture".

Die Behauptung, dass es keine Rassen gibt, stößt sich bereits am Augenschein, wonach es selbstverständlich Menschen mit vererbbaren Unterschieden der Hautfarbe gibt. Wie wenig die Hautfarbe Menschengruppen zusammenschweißt, beweist aber die unsichtbare Tatsache, dass beispielsweise das Vorherrschen einer bestimmten Blutgruppe nicht mit der vorherrschenden Hautfarbe korreliert.

Nicht die Biologie, sondern die Bildung bestimmt das Zusammenleben der Menschen. Alle Menschen können miteinander fruchtbaren Nachwuchs zeugen. Das Gefühl der Liebe hält die Menschheit zusammen, nicht der Hass.

Aus genetischen Untersuchungen wissen wir, dass Teile der Menschheit im Verlauf ihrer Geschichte sogar mehrmals ihre vorherrschende Hautfarbe gewechselt haben. Der Einfallswinkel der Sonnenstrahlen und die relative Isolierung einer Bevölkerung entscheiden darüber, wie viele Pigmente sich in der Haut bilden und vererbt werden.

Gene zur Vererbung einer ausgeprägt hellen ("weißen") Hautfarbe wurden erst vor etwa 57.000 Jahren konstant, solche zur Vererbung einer blauen Augenfarbe sogar erst vor ca. 4.500 Jahren in Südeuropa. Die ersten Europäer hatten nach dem heutigen Stand der Forschung eine dunkle Hautfarbe.2

Wissenschaft beraubt sich selbst ihrer Überzeugungskraft, wenn sie schlicht behauptet, dass es keine Rassen gibt. Haustierrassen, die jeder kennt, sind ein schlagendes Gegenbeispiel. Im Alltag spricht man von "Rassen" bei gezüchteten Lebewesen.

Weil Züchtung beim Menschen nicht vorkommt, gibt es auch keine Menschenrassen. Mehr Theorie braucht es nicht.

Welche Begriffe in einer Wissenschaft sinnvoll sind, wird in sogenannten Nomenklaturen international geregelt. "Rasse", oder gar "Menschenrasse", ist kein wissenschaftlich anerkannter Begriff. Statt von "Menschenrassen" spricht man von "geographischen Varianten" als Ergebnis der Anpassung an unterschiedliche Lebensbedingungen, nachdem sich die Menschengattung über die Erde verbreitet hat.

Die Vielzahl der Anpassungsformen verbürgt den Reichtum und die Überlegenheit der Menschheit. Den Wert dieser Vielfalt leugnen zu wollen, beraubt die Menschheit ihrer Menschlichkeit.

Der Begriff der "Rasse"

Zur Zeit des Nationalsozialismus wurden Menschen aufgrund von Äußerlichkeiten millionenfach ausgegrenzt, verfolgt, gedemütigt, beleidigt, verletzt und getötet. Zu keiner Zeit gab es eine einheitliche und verbindliche Lehre davon, wie viele Menschenrassen es gibt und wie sie zu erkennen sind.

Die Unterscheidung der Menschen nach äußeren Merkmalen diente keinem anderen Zweck als der Aufrechterhaltung von Herrschaft. In den überseeischen Kolonien war eine Kategorie der Unterwerfung und Unterordnung deutlich sichtbar und anwendbar geworden.

Sie sollte nun auf die heimische Bevölkerung übertragen werden. Es waren überwiegend junge, aufstrebende Wissenschaftler, die in der Rassenkategorie eine Möglichkeit sahen, gegenüber der älteren Generation Deutungsmacht zu erringen.

Das Wort selbst war ursprünglich frei von missbräuchlicher Anwendung. Als "Rasse" wurde übersetzt, was Dante Alighieri (1265-1321), der Förderer der italienischen Volkssprache, als "la gente" bezeichnete – das Geschlecht, die Familie im erweiterten Sinn, einschließlich der Vorfahren.

Erst im 17. Jahrhundert erhielt "Rasse" sein unverwechselbares Gesicht. Die Zeit des Merkantilismus, des Kolonialismus und des Warenhandels verlieh Äußerlichkeiten bestimmendes Gewicht. Der französische Reisende François Bernier (1620-1688) verbrachte zehn Jahre seines Lebens nach 1656 als Arzt am Hof des Großmoguls von Indien. Der Blick auf ein Großreich von imperialem Ausmaß verband sich mit seiner Kenntnis des indischen Kastensystems.

Berniers Reisebericht wurde in alle europäischen Sprachen übersetzt. Auch Karl Marx nutzte ihn als Quelle zu orientalischen Herrschaftsverhältnissen.

1684 verfasste Bernier eine programmatische Schrift, in der er die Einteilung der Erde nicht nach "Ländern und Regionen", sondern nach den "Rassen oder Arten" der Menschen forderte, die auf ihr leben. Zur Unterscheidung der Rassen schlug er die Hautfarbe und die Form des Gesichts vor. "Varna", das Sanskritwort für "Kaste", bedeutet ursprünglich "Farbe".3

Intellektuelles Gesellschaftsspiel

Wie viele Menschenrassen es gibt und wie sie zu erkennen wären, entwickelte sich zu einem intellektuellen Gesellschaftsspiel der Gelehrten im Zeitalter der Aufklärung. Als das Sklavereisystem zu Beginn des 19. Jahrhunderts vor allem in Europa Widerspruch erregte, wurde der Begriff der Rasse seines Realitätsbezugs entkleidet; er wurde zu einem Kampfbegriff.

Angeblich wurden mit der Hautfarbe bestimmte körperliche, geistige und moralische Eigenschaften vererbt, welche die Träger dieser Merkmale privilegierten oder ihrer Rechte beraubten. Recht und Gerechtigkeit wurden mit biologisch motivierten Argumenten ausgehebelt.

Der Arzt und Sohn eines karibischen Plantagenbesitzers William-Frédéric Edwards (1776–1842) verzichtete 1841 in einem viel beachteten öffentlichen Brief darauf, von allen Angehörigen einer Bevölkerung dieselben Rassenmerkmale zu fordern.

Es würde genügen, wenn sich die "Rassen" in einem einzigen, besonders prägnanten "Typ" unterscheiden: "Ein Jude (…) ist immer ein Jude nach der Gestalt (…); das heißt, dass alle dieselben Merkmale der Form und der Proportion besitzen, in einem Wort alles, was wesensmäßig einen Typ ausmacht".4

Durch diesen pseudowissenschaftlichen Akt wurde der jüdischen ethnischen Gemeinschaft das Recht entzogen, sich selbst als Juden zu identifizieren. Die Selbstidentifikation unterscheidet eine Ethnie im wissenschaftlichen Sprachgebrauch von der "Rasse".

Der Rassebegriff konnte nun auf grundsätzlich jede Gruppe von Menschen mit ähnlichen Körpermerkmalen übertragen werden. Mit diesem Kunstgriff wurden auch Menschen, die sich deutlich vom Idealtyp einer Rasse unterschieden, einer Menschenrasse zugeschlagen.

Das menschliche Individuum konnte sich einer solchen Kategorisierung von außen und nach äußerlichen Merkmalen nicht entziehen. Je umfangreicher die Kataloge von Rassemerkmalen wurden, desto mehr verflüchtigte sich der Rassebegriff.

In dieser gefährlichen Unschärfe wurde er im deutschen Faschismus zum Mordinstrument. Das Grundgesetz sollte uns vor einer solchen Entgleisung bewahren.