"Rebound-Effekt": Wie aus dem "Mini" ein Maxi wurde
Woran Klimaschutz im Kapitalismus scheitert: Der britische Philosoph und Ökonom William Stanley Jevons beschrieb vor mehr als 150 Jahren den Grund, warum später Autos immer größer wurden. Eine Spurensuche.
Erinnern Sie sich noch an das Auto von Mr. Bean? Der Schauspieler Rowan Atkinson spielte in der gleichnamigen britischen Comedy-Serie zwischen 1989 und 1995 mit stummfilmhaftem Humor die fiktive Figur Mr. Bean, die immer in einem gelben Mini mit schwarzer Kühlerhaube vorfuhr . Den Mini gibt es heute immer noch, nur dass er nicht mehr mini ist, sondern laut Eigenschreibweise des BMW-Konzerns MINI heißt – und maxi ist, nämlich doppelt so groß, lang und schwer wie einst zu Mr. Beans Zeiten.
Eine Entwicklung, die logisch erscheint im Kapitalismus, aber selten betrachtet wird: Früher wurde dieses Phänomen "Jevons-Paradoxon" genannt. Technischer Fortschritt, der es erlaubt, effizienter mit einem Rohstoff umzugehen, führt demnach überraschend nicht dazu, dass weniger von diesem Rohstoff verbraucht wird, sondern im Gegenteil – der Verbrauch steigt. 1865 beschrieb William Stanley Jevons dieses Phänomen zum ersten Mal. Heute nennen wir es "Rebound-Effekt".
Der Entdeckung ging pures Mühsal voraus: Der britische Philosoph und Ökonom hatte die technologischen Verbesserungen bei der Kohlenutzung studiert. Dabei konstatierte er, immer weniger Kohle werde nötig sein, um dieselbe Energiemenge zu gewinnen. Doch das führte nicht etwa dazu, dass weniger Kohle in der englischen Industrie verfeuert wurde, sondern mehr.
Genauso wie zum Beispiel später der Kraftstoffverbrauch bei den PKW: Zwar sind die Motoren unserer Autos heute effizienter als in den 1990er-Jahren. Siehe Mini versus MINI: Die Autos sind mittlerweile nur so schwer, dass sie trotzdem mehr Treibstoff brauchen. Zwar sind unsere Häuser heute besser gedämmt, weil wir aber doppelt so viele Quadratmeter bewohnen wie unsere Eltern vor 30 Jahren, verbrauchen wir ähnlich viel Heizenergie.
Natürlich sind die Kühlschränke heute effizienter als vor einer Generation! Allerdings sind sie doppelt so groß, weshalb sie in Summe mehr Strom verbrauchen. Für den Klimaschutz sind diese Effekte ernüchternd: Trotz milliardenschwerer Investitionen in energetische Sanierung und Effizienz im Brennwertkessel ist der Heizenergieverbrauch in Deutschland seit 2010 kaum gesunken.
Trotz Elektromobilität und CO2-Grenzwerten stößt der Lastverkehr beispielsweise heute mehr Treibhausgase aus als 1995. Dank Netflix, Zweitlaptop oder Handy-App nicht anders im Stromsektor: Mit knapp 518 Milliarden Kilowattstunden wurden 2021 in Deutschland zehn Prozent mehr Strom verbraucht als vor gut drei Jahrzehnten.
Gerissene Klimaziele seit 1990
Damals, am 7. November 1990, beschloss das Kabinett von Helmut Kohl (CDU) das erste deutsche Klimaziel: minus 25 Prozent Treibhausgas bis 2005. Dafür sollten die Bundesministerien Vorschläge erarbeiten, für "die rationelle und sparsame Energieverwendung" oder die "verstärkte Nutzung umweltfreundlicher Energiesysteme", wie es in der Pressemeldung zum Kabinettsbeschluss hieß.
Der größte Teil der Reduktion sollte über Effizienzsteigerungen erzielt werden. Das ging krachend schief, 2005 lagen die deutschen Emissionen lediglich 20,5 Prozent unter dem Niveau von 1990. Ein Grund: schlechte Politik. Der andere: der nicht bedachte Rebound-Effekt.
Wer diesen weiter denkt, trifft auf das Kernproblem des Klimaschutzes: Unsere Eltern brachten ihre kaputten Radios noch zur Werkstatt, heute kaufen viele von uns alle zwei Jahre ein neues Smartphone, weil das mehr kann, als das alte. Früher war es Usus, abgelaufene Schuhe neu zu besohlen. Heute ist das oft teurer als ein Schuhneukauf. Damals befragte man den Stadtplan, heute sagt das "Navi" wo es lang geht. Dass dabei Treibhausgase entstehen, interessiert uns nicht.
Dazu kommt der "Sonntagsbraten" jeden Tag, Biokartoffeln aus Marokko und beim Durchschnittsdeutschen zweimal Urlaub pro Jahr (geflogen wird wegen des Klimaschutzes aber nur einmal, ist ja klar!): Wenig verwunderlich, hat Deutschland auch sein zweites Klimaziel verpasst. Geplant war, 40 Prozent weniger Treibhausgase ab 2020. Tatsächlich lagen die Emissionen 2021 trotz Corona-Lookdown nur 38,7 Prozent unter dem Niveau von 1990.
Und nach allen Einschätzungen der Experten stieg die deutsche Treibhausgasproduktion 2022 weiter an: Weil billiges russisches Erdgas nicht mehr zur Verfügung stand, wurden abgeschaltete Kohlekraftwerke – oft die besonders klimaschädlichen – wieder ans Netz genommen.
Mit viel Komfort in Richtung Abgrund
Sicherlich: Die Entwicklung hat unser Leben bereichert, vieles erleichtert und uns großen Wohlstand gebracht. Allerdings war diese Entwicklung rücksichtslos und unverantwortlich: Weder die planetaren Grenzen noch die Solidarität mit Menschen im Globalen Süden spielten eine Rolle, nicht einmal die Warnungen der Wissenschaft stoppten unsere Gier.
Eine neue Studie, die Anfang November erschien, besagt, dass der Grönländische Eisschild im Norden sechsmal schneller abtaut, als bislang berechnet. Wohlgemerkt im deutlich kälteren Norden, als im bereits schmelzenden Süden! Damit häufen sich die Warnungen: Dieser Eispanzer gilt als Kippelement: Einmal angetaut, lässt sich die Schmelze nie wieder stoppen.
Die in der Spitze 3.300 Meter hohe Oberfläche taut nach unten in immer wärmere Schichten ab. Schmilzt das Grönlandeis komplett, steigt der Meeresspiegel um sieben Meter! Wir könnten das noch stoppen, wenn wir sofort aus der fossilen Verschwendung aussteigen. Aber wir haben uns derart eingerichtet in diesem Leben, dass nicht einmal ein Krieg vor der Haustür zur Bereitschaft führt, auf 22 Grad Zimmertemperatur zu verzichten.
Ohne Systemwechsel kein Kurswechsel in Sicht
Immer mehr, immer besser, immer größer – dass William Stanley Jevons den Rebound-Effekt am Anfang des Kapitalismus entdeckte, kommt nicht von ungefähr: Er ist eine seiner Grundlagen, der kleine Bruder des Wachstums. Ohne Rebound-Effekt und Wachstum funktioniert dieses Wirtschaftssystem nicht. Deshalb wird es ohne Systemwechsel immer so weitergehen.
Der Expertenrat der Bundesregierung für Klimafragen kam gerade zu dem Schluss: Steuert die Bunderegierung jetzt nicht massiv um, wird Deutschland auch sein neues Klimaziel für 2030 verfehlen. Und zwar deutlich.