Rechte ohne Leinenzwang

Ein Jahr nach dem Scheitern der Schill-Partei werben in Hamburg wieder Rechtspopulisten um Wähler

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Wer dachte, dass sich mit dem Scheitern der Hamburger Schill-Partei auch der Rechtspopulismus in der Hansestadt erledigt habe, wurde am vergangenen Montag eines besseren belehrt. Ein Jahr nach der Auflösung der „Rechtsstaatlichen Offensive“ und einen Monat nach seinem Ausstritt aus der CDU stellte der ehemalige Justizsenator Roger Kusch ein vergleichbares politisches Projekt vor. HeimatHamburg soll seine neue Partei heißen, die unter dem Motto „Der rechte Weg für unsere Stadt“ für sich wirbt. Zwar ist die Gruppe vom Bundeswahlleiter noch nicht zugelassen und hat auch noch kein präsentables Programm. Doch die Pläne sind groß. Bei den nächsten Bürgerschaftswahlen im Jahr 2008 will Kusch, der wegen der illegalen Weitergabe von Akten seines Amtes als Justizsenator enthoben wurde, wieder in die Hamburger Bürgerschaft einziehen. Dann könne man ja auch wieder mit der CDU koalieren, sagt er.

Gut eine Woche zuvor hatte Kusch sich noch ganz anders angehört. Die CDU in Hamburg und auch die Bundespartei seien in den letzten Jahren zum persönlichen Problem für ihn geworden, sagte er in einem Interview. In beiden Fällen sei ein Linksruck auszumachen:

Zum Beispiel den Ausbau des Kita-Systems: Hamburg ist auf dem Weg zu einer Vollversorgung nach DDR-Vorbild.

Roger Kusch

Die eigentlichen Gefahren sieht der 51-jährige Jurist aber durch die CDU auf Bundesebene. Angela Merkel „führt Deutschland spürbar in eine sozialistische Gesellschaft“, warnt Kusch. Wer das wolle, der könne seine Stimme gleich den Urhebern dieser Idee geben. Die so kritisierte Partei reagierte zunächst gelassen. Die These eines Linksrucks in der CDU sei „absurd und abenteuerlich“, konterte der Landesvorsitzende Dirk Fischer.

„HeimatHamburg“ – ein Schnellschuss

So harsch die Angriffe des einstigen Senators sind, so dünn sind die Inhalte. Anfang der Woche präsentierte Kusch der Presse ein eher wirres 5-Punkte-Programm. Seine Forderungen reichen von der Abschaffung des Jugendstrafrechts über die Einführung der aktiven Sterbehilfe („verantwortungsvolle Sterbehilfe“) bis hin zur Abschaffung des Leinenzwangs für Hunde. Letzterer Programmpunkt taucht auf der Internetseite in einer unfreiwillig komischen Formulierung auf. Dort nämlich besteht Kusch auf „die Abschaffung des generellen Leinenzwanges für Hundehalter“.

Die offensichtliche Eile, mit der er versucht, wieder politisch Fuß zu fassen, hat zwei Gründe. Zum einen will Kusch seinen noch bestehenden Bekanntheitsgrad nutzen. Zum anderen droht ihm Konkurrenz. Denn Funktionäre der rechtspopulistischen Schill-Partei haben ebenfalls angekündigt, eine neue Gruppe zu gründen. Beide wollen nun das Thema innere Sicherheit für sich beanspruchen. Kusch versucht zudem, den rechten Rand der CDU an sich zu binden. Dabei setzt er auf die Enttäuschung über eine vermeintlich mangelnde rechtskonservative oder neoliberale Profilierung der Christdemokraten in der großen Koalition auf Bundesebene. So bezeichnet er den Unionsvorschlag für eine Gesundheitsreform als „DDR-Gesundheitssystem light“. Es dauere nun nicht mehr lange, bis der erste CDU-Politiker die Verstaatlichung des Bankenwesens fordere, warnt Kusch. Was der Unionsfraktionsvorsitzende Volker Kauder in der Gesundheitspolitik beabsichtige, sei „links von der SPD“.

Er freue sich daher auf jeden, der aus der CDU austrete, um bei der neuen Gruppe mitzumachen. Bislang stößt dieser Appell aber nur auf mäßige Resonanz. Die Mitgliederzahl liegt nach Angaben des „Partei“-Gründers bei zehn Aktivisten.

Parallelen bei rechtspopulistischen Projekten

Weder bei den etablierten Parteien noch in der Presse wurde Kuschs Vorstoß daher sonderlich ernst genommen. Bei den hanseatischen Christ- und Sozialdemokraten führte man Kuschs neue Initiative auf dessen „verletzte Eitelkeit“ zurück. Doch es wurden auch warnende Stimmen laut. So gab Christa Goetsch, die Vorsitzende der GAL-Fraktion in der Bürgerschaft, zu bedenken, dass sich der Druck von rechts negativ auf die CDU in Hamburg auswirken könnte.

Tatsächlich hat man mit einem allzu bedenkenlosen Umgang mit Rechtspopulisten in Hamburg negative Erfahrungen gemacht. Im Wahlkampf 2001 wurde die Partei des ehemaligen Richters Ronald Schill zu lange vernachlässigt. Nur so war es der Neugründung damals gelungen, das Thema innere Sicherheit für sich zu vereinnahmen. Bei den Wahlen im September 2001 erreichte sie 19,4 Prozent.

Zwar ist die Schill-Partei inzwischen von der Bildfläche verschwunden. Doch gibt es auch andere Beispiele. Die rechtsradikalen Republikaner etwa sind 1983 als Abspaltung der CSU entstanden und konnten sich seither durchaus etablieren. Auch ihre Gründung durch die damaligen Bundestagsabgeordneten Ekkehard Voigt und Franz Handlos ging auf eine punktuelle, rechtskonservative Kritik an der Herkunftspartei zurück. Voigt und Handlos opponierten in erster Linie gegen die ihrer Meinung nach zu nachgiebige Ostpolitik von Franz Joseph Strauß. In einer umfassenden Untersuchung des neuen Rechtspopulismus weist der Bonner Politologe Frank Decker daher auf „eine gewisse Reputierlichkeit“ hin, die die Republikaner damals im bürgerlichen Lager genossen. Erst die allmähliche Unterwanderung durch Rechtsextremisten habe ihr diesen Bonus genommen.

Oft Ein-Punkte-Bewegungen

Ähnlich wie die Republikaner und Kuschs Initiative konzentrierten sich auch andere rechtspopulistische Projekte auf eine oder einige wenige Forderungen. Die „STATT-Partei“ etwa kritisierte die Subventionierung der politischen Parteien. Der aus der FDP hervorgegangene „Bund Freier Bürger“ wandte sich mit seiner Gründung 1993 gegen die Einführung einer einheitlichen Währung in der Europäischen Union. Ähnlich wie die „Freiheitliche Partei“ in Österreich war es der Schill-Partei 2001 in Hamburg erstmals gelungen, neben einem zentralen Thema eine gewisse Bandbreite politischer Forderungen der bürgerlichen Rechten abzudecken. Trotz des misslungenen Starts könnte es Roger Kusch gelingen, an dieses Erfolgsmodell anzuknüpfen.

Zugute kommt ihm per se das Verhältniswahlrecht in Hamburg. Weil es keine einzelnen Wahlkreise gibt, genügt zunächst eine Integrationsfigur, mit der die öffentliche Aufmerksamkeit gebunden wird. Darauf setzt Kusch: Seine Partei soll neben einem Vorstand nur von einem Parteitag kontrolliert werden. Ein Funktionärsapparat, aus dem gegen den Gründer Widerstand entstehen könnte, ist nicht vorgesehen. Zudem setzt der ehemalige Justizsenator offensichtlich auf eine wachsende Unzufriedenheit über die Bundespartei CDU. Trotz dieser vorgeblichen Orientierung auf ein konservatives Wählerpotential lassen die Erfahrungen mit vorherigen rechtspopulistischen Projekten eine Sogwirkung bis in das rechtsradikale Spektrum hinein erwarten.