Rechtliche Zweifel an "Lex Garzweiler"
Die Energie- und Klimawochenschau: Wiederaufbau muss grüner werden, Polen gräbt Nachbarn das Wasser ab, Sommertrockenheit historisch einmalig
Deutschland konnte sein Klimaziel für das Jahr 2020 gerade so einhalten, weil die Emissionen aufgrund der Corona-Pandemie im letzten Jahr stark zurückgingen. Um das deutsche wie auch das europäische Klimaziel von mindestens 55 Prozent weniger CO2-Ausstoß im Jahr 2030 einzuhalten, sind noch große Anstrengungen nötig.
Vielfach wurde im Laufe des Jahres die Forderung laut, beim Wiederbeleben der Wirtschaft darauf zu achten, dass die Weichen jetzt auf emissionsfreie und nachhaltige Technologien gestellt werden. Der Europäische Rat hat sich im vergangenen Sommer darauf verständigt, dass die Programme zum Wiederaufbau nach der Pandemie im Einklang mit einer grünen und digitalen Transformation stehen sollen oder die Transformation zumindest nicht behindern dürfen. 672,5 Milliarden Euro sollen für Aufbau- und Resilienzpläne zur Verfügung stehen, die von den Regierungen der Mitgliedsländer erarbeitet werden.
Inwieweit die Vorhaben der Staaten mit den Zielen des grünen Wiederaufbaus in Einklang stehen, lässt sich in Zukunft im Green Recovery Tracker ablesen ablesen. Das Online-Tool wurde vom Wuppertal-Institut und der E3G-Third Generation Environmentalism GmbH entwickelt. Im Tracker lässt sich beispielsweise erfahren, dass der Anteil "grüner" Ausgaben in Deutschlands Wiederaufbaupaket von 130 Milliarden Euro mit 34 Prozent das von der EU vorgegebene Ziel von mindestens 37 Prozent verfehlt.
22 Milliarden der von Deutschland veranschlagten Ausgaben dürften sich auf eine nachhaltige Transformation eher negativ auswirken und ein großer Teil der Ausgaben hat weder positive noch negative Auswirkungen oder die Folgen lassen sich noch nicht abschätzen. Besonders kritisch sehen die Maßnahmen der Bundesregierung bei der Mobilität aus. Zwar wurden allgemeine Kaufprämien für Pkw nicht durchgesetzt, aber mit Plug-In-Hybriden werden dennoch Autos mit Verbrennungsmotor subventioniert.
Von den 8 anderen Ländern, die bereits Wiederaufbaupläne beschlossen haben, erreicht nur Spanien mit 53 Prozent das vorgegebene Ziel an "grünen" Ausgaben. Einen großen Teil der von den einzelnen Staaten beschlossenen Maßnahmen bewerten die Analysten als weder positiv noch als negativ oder in den Auswirkungen noch nicht abzuschätzen. Osteuropäische Länder, die oft als Bremser beim Klimaschutz gelten, würden dabei nicht schlechter dastehen als westeuropäische.
Garantien für Garzweiler II verfassungswidrig?
Mit dem Kohleausstiegsgesetz (Kohleverstromungsbeendigungsgesetz KVBG) hat sich Deutschland noch auf lange Jahre der Kohleverstromung verschrieben. Das Abschalten erster Kohlekraftwerke führt aktuell paradoxerweise dazu, dass das Energieunternehmen RWE wieder höhere Gewinne in seiner Kohlesparte verzeichnet. Wie der Fachinformationsdienst IWR berichtet, erzielte RWE im Jahr 2020 559 Millionen Euro Gewinn in der Sparte Kohle- und Kernenergie. Dies sei auf höhere Strompreise und Stromverkaufserlöse zurückzuführen.
Mit dem Abschalten der letzten Steinkohlekraftwerke und erster Braunkohlekraftwerke sinkt das Stromangebot, daher können wieder höhere Preise an der Strombörse erzielt werden. Für das laufende Jahr wird eine weitere Gewinnsteigerung bei der Kohle- und Kernenergie erwartet.
RWE kann also gleichzeitig von Entschädigungszahlungen für die Stilllegung von Kraftwerken als auch von dadurch wieder steigenden Strompreisen profitieren. Und nicht nur was die nackten Zahlen angeht, ist das große Energieunternehmen aus dem Rheinland begünstigt. Mit dem Konstatieren der "energiewirtschaflichen Notwendigkeit" des Tagebaus Garzweiler II, erhielt es im Kohleausstiegsgesetz besondere Garantien.
Nun sind älteren Passagen aus einem Gutachten aufgetaucht, laut denen die Dörfer Keyenberg, Kuckum, Ober- und Unterwestrich sowie Berverath auch abgebaggert werden sollten, wenn Garzweiler nicht vollständig ausgekohlt würde. Auf diese Weise könnte RWE Mutterboden gewinnen, um Teile des Tagebaus zu verfüllen und dessen steile Böschungen zu stützen sowie einen Teil der Autobahn A61 wiederherzustellen.
Eine Passage hierzu stand in der ersten Version des Gutachtens "Ermittlung von Folgekosten des Braunkohletagebaus", das vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegeben wurde. In der im Dezember 2020 veröffentlichten Fassung des Gutachtens findet sich diese Passage allerdings nicht mehr. Greenpeace konnte nun Einsicht in das Originalgutachten erwirken.
Die auch "Lex Garzweiler" genannte Garantie für den Tagebau Garzweiler II wurde im § 48 des KVBG festgeschrieben. Dieser Paragraf könnte allerdings verfassungswidrig sein. Das stellt jedenfalls der Jurist Georg Hermes in einem von der Bundestagsfraktion der Grünen beauftragten Rechtsgutachten fest. In Absatz 1 des § 48 KVBG heißt es:
Die energiepolitische und energiewirtschaftliche Notwendigkeit und der vordringliche Bedarf zur Gewährleistung einer sicheren und zuverlässigen Energieversorgung wird für den Tagebau Garzweiler II in den Grenzen der Leitentscheidung der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen zur Zukunft des Rheinischen Braunkohlereviers/Garzweiler II vom 5. Juli 2016 festgestellt.
Georg Hermes, Rechtsgutachten
Eine solche Feststellung könne aber nur dann erfolgen, meint Hermes, wenn sie "auf einer Prüfung und Bewertung der energiewirtschaftlichen Notwendigkeit aller relevanten Braunkohletagebaue in Deutschland" beruhen würde. Außerdem weise sie "keinerlei Bezug zu dem gesetzlichen Konzept der Gewährleistung von Energieversorgungssicherheit" auf. Hermes kommt zu dem Schluss, dass § 48 "mangels Gesetzgebungskompetenz des Bundes nichtig" ist.
Diese Beurteilung bleibt zunächst ohne Konsequenzen. Die Grünen wollen nun an die Linke und die FDP herantreten, um das nötige Quorum von 25 Prozent der Bundestagsabgeordneten für eine Normenkontrollklage zu gewinnen.
Tagebau Turów gefährdet Grundwasserversorgung
Geklagt wird auch gegen den polnischen Tagebau Turów, und zwar vom Nachbarn Tschechien. Dieses ist wegen der geplanten Ausweitung des Tagebaus vor den Europäischen Gerichtshof gezogen, weil es fürchtet, dass dadurch die Wasserversorgung der Region Liberec gefährdet würde. Tschechien wirft Polen vor, gegen EU-Recht zur grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung verstoßen zu haben, sowie Umweltinformation zurückgehalten zu haben.
Deutsche Umweltverbände fordern auch Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer auf, die Bundesregierung zum gemeinsamen Rechtsweg gegen Polen zu bewegen. Sachsen grenzt ebenso an den im Dreiländereck gelegenen Tagebau Turów.
"Der Kohleabbau im Dreiländereck gefährdet die Gesundheit von Menschen in Polen, Tschechien und Deutschland", so der Energieexperte von Greenpeace Karsten Smid. "Der Tagebau Turów gräbt in der gesamten Grenzregion das Wasser ab."
Im Offenen Brief an Ministerpräsident Kretschmer ist von langfristigen Schäden für die Grundwasserversorgung, Bodensenkungen im Zittauer Stadtgebiet und schlimmstenfalls einem Durchbruch der Neiße ins Tagebaugebiet die Rede. Die Stadt Zittau hatte im Januar Beschwerde gegen die Fortführung von Turów bei der EU-Kommission eingereicht.
Dabei sind weitere Grundwasserabsenkungen keine gute Idee. Ein Blick auf den Dürremonitor des Helmholtz Zentrums für Umweltforschung verrät, dass gerade der Osten Sachsens von außergewöhnlicher Dürre in tieferen Bodenschichten betroffen ist wie auch der Süden Brandenburgs, dessen Wasserhaushalt ebenfalls vom Braunkohletagebau beeinträchtigt ist.
Die Dürrejahre 2018 bis 2020 haben gezeigt, dass die Region ebenso wie weite Teile Europas mit stärkerer Trockenheit im Sommer zu tun haben wird. Dabei sind nicht nur ausbleibende Niederschläge das Problem, sondern die stärkere Verdunstung aus Seen und Flüssen bei höheren Temperaturen, was natürlich auch auf künstliche Seen in ehemaligen Tagebauen zutrifft.
Historisch einzigartige Sommertrockenheit
Nach Untersuchungen der Universitäten Cambridge und Mainz erlebt Europa seit 2015 die schlimmste Sommertrockenheit in über 2100 Jahren. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler rekonstruierten das Klima anhand von Isotopen aus dem Holz europäischer Eichen. Die Holzproben wurden sowohl aus lebenden Bäumen als auch aus historischen Bauwerken und Ufersedimenten entnommen. Aus den Proben konnten sie Rückschlüsse auf die Wasserversorgung der Bäume ziehen.
Zwar habe es auch historisch in den Jahren 40, 590, 950 und 1510 sehr trockene Sommer gegeben, die seit 2015 herrschende Trockenheit sei aber beispiellos.
"Auf Jahrhunderte mit einem langsamen, deutlichen Rückgang folgte ein steiler Abfall, was für die Land- und Forstwirtschaft besonders alarmierend ist. Das noch nie da gewesene Waldsterben in weiten Teilen Mitteleuropas unterstreicht unsere Resultate", sagt Co-Autor Mirek Trnka vom CzechGlobe.
Die trockenen Sommer der jüngsten Zeit seien sehr wahrscheinlich Auswirkungen der von Menschen verursachten Klimaerwärmung, die wiederum zu Veränderungen des Jetstreams führt.