Reduktiver Imperativ

Vergewaltigung als evolutionäre Strategie?

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Eine Vergewaltigung führt, das will eine neue Studie des New Scientist herausgefunden haben, mit mehr als doppelter Wahrscheinlichkeit zu einer Schwangerschaft als Sex mit beiderseitigem Einverständnis.

Schöner Sex erhöht die Chancen auf Nachwuchs, so steht es gerne in den Frauenzeitschriften. Jon Gottschall, Forscher an der St. Lawrence University in Canton, New York will nun Indizien gefunden haben, die das Gegenteil beweisen, nämlich, dass bei einer Vergewaltigung die Befruchtungswahrscheinlichkeit wesentlich größer sei als bei Sex, den beide wollen.

Gottschall untersuchte die Ergebnisse der Studie "National Violence against Women" des National Institute of Justice und der Centers for Disease Control and Prevention. Die Untersuchung konzentrierte sich auf 405 Frauen im Alter von 12 bis 45 Jahren, die bei der Telefonbefragung angaben, das Opfer einer vaginalen Vergewaltigung geworden zu sein. Fast acht Prozent der Opfer wurden schwanger. Eine separat erstellte Studie von Allen Wilcox vom National Institute of Environmental Health Sciences ergab, dass bei freiwilligem einmaligen Verkehr lediglich 3,1 Prozent der Frauen schwanger wurden, obwohl ebenfalls keine von ihnen verhütete.

Im Theorienstreit zwischen Soziologie und Soziobiologie leisten diese Ergebnisse den evolutionsbiologischen Vergewaltigungshypothesen Vorschub, die durch die Veröffentlichung des Buches "A Natural History of Rape" von Randy Thornhill ("Die Vergewaltigung ist ein Nebenprodukt der Evolution, so wie Computer, Arthritis u.a.") letztes Jahr bereits erstaunlich salonfähig wurden (Vgl.Ars Electronica 2000: Schauderhafte Reden beim Symposium "Next Sex") Der Versuch, das Wesen des Menschen als Produkt der sexuellen Zuchtwahl zu erklären, wird von kritischen Sozialwissenschaftlern als reduktiver Imperativ bezeichnet, der einen Missbrauch des Darwinismus betreibe. Zudem ist es übrigens fraglich, ob der "Nettofortpflanzungsgewinn" bei Vergewaltigungen wirklich so hoch ist: Eine US-Studie weist von jährlich knapp 400 000 Vergewaltigungsopfern ein Drittel Männer nach. Mädchen, die elf Jahre oder jünger sind, werden statistisch doppelt so häufig vergewaltigt wie fortpflanzungsfähige Frauen. Aus Vergewaltigungen resultierende Feten werden von der Mutter oft nicht anerkannt, Abtreibungen und hohe Gewaltbereitschaft gegen die Kinder sind häufige Folgen. Und letztlich wird eine evolutionstheoretische Prognose den Menschen aufgrund steigender Umweltbelastungen (mit abnehmender Spermienqualität) zu einer autonomen Fortpflanzung zwingen. Dass auch Mord und Totschlag als erfolgreiche evolutionäre Strategien gelten können, sei nur nebenbei erwähnt.