Referendum über Wahlrechtsreform als Preis?

Liberaldemokraten und Konservative verhandeln seit gestern Abend über eine Regierungszusammenarbeit

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Nachdem der LDP-Spitzenkandidat Nick Clegg gestern der Presse sagte, dass angesichts des Wahlergebnisses den Tories die Aufgabe zufällt, sich Möglichkeiten des Regierens zu suchen, machte David Cameron erwartungsgemäß als erstes den Liberaldemokraten das Angebot einer Zusammenarbeit. Dabei gab er zu erkennen, dass er eine Koalition gegenüber einer Duldung bevorzugen würde, weil, so der Tory-Führer, das Land gerade in Zeiten des Afghanistankrieges, der Wirtschaftskrise und der im letzten Jahr offenbar gewordenen Selbstbedienungspobleme in der britischen Politik eine starke Regierung brauche. All dies wären Aufgaben, die zu wichtig seien, um sie "Parteiengezänk" zu überlassen. Angesichts der Mandatsverteilung verkündete Cameron zwar den Anspruch, das der Löwenanteil des politischen Programms einer Koalition von seiner Partei gestellt wird, sah jedoch Verhandlungsspielraum bei der Bildungspolitik und der CO2-Vermeidung.

Den für die Liberaldemokraten entscheidenderen Punkt könne man Cameron zufolge in einem Allparteienkomitte diskutieren. Nicht namentlich genannten Tory-Quellen der BBC zufolge könnte ein möglicher Kompromiss in dieser Frage so aussehen, dass eine Volksabstimmung über eine Änderung des Mehrheitswahlrechts zugelassen wird, bei der die Konservativen für eine Beibehaltung werben. Allerdings gibt es auf Seiten der Tories auch Stimmen wie die des Abgeordneten Douglas Carswell, der bezüglich der Notwendigkeit einer Änderung des Wahlsystems mit den Liberaldemokraten übereinstimmt.

Gestern Abend fanden die ersten Verhandlungen zwischen Tories und LDP statt. Geführt wurden sie auf Seiten der Konservativen von George Osborne, William Hague, Oliver Letwin und Camerons Stabschef Ed Lewellyn. Die Liberaldemokraten hatten Chris Huhne, Danny Alexander, Andrew Stunnell und David Laws in die Runde entsandt.

Premierminister Gordon Brown meinte in einer Rede, er erwarte angesichts des Wahlergebnisses eher längere Debatten zwischen Tories und Liberaldemokraten, stehe aber im Falle eines Scheiterns dieser ebenfalls offen für Gespräche mit Clegg. Als Basis für eine möglichen Zusammenarbeit nannte er neben einer Wahlrechtsreform auch eine stärkere Kontrolle der Finanzmärkte. Offen ließ Brown, warum seine Regierung diese beiden Punkte nicht bereits in den letzten Jahren anging. Sein Parteifreund Alastair Campbell warnte die Liberaldemokraten indessen, eine Menge der neu ins Parlament gewählten Tories seien "Thatcheristen", die einer Zusammenarbeit mit der LDP feindlich gegenüber stünden.

Brown gab darüber hinaus zu Protokoll, er sei nicht nur bereit zu Verhandlungen mit den Liberaldemokraten, sondern mit allen Parteien. Will er tatsächlich die Chance auf eine Regierungsbildung wahren, muss er dies auch. Denn Labour und Liberaldemokraten kommen zusammen lediglich auf 215 Mandate im Westminster-Parlament - 11 weniger als für eine absolute Mehrheit notwendig. Rechnet man die drei der nordirischen SDLP hinzu, die in der Vergangenheit fast immer mit Labour votierte, dann fehlen immer noch acht Stimmen, die aus den Reihen des Scottish National Party (6), der walisischen Plaid Cymru (3), der Grünen (1), der Alliance Party (1) und von der unabhängigen Abgeordneten Sylvia Hermon kommen könnten. Eher unwahrscheinlich wäre dagegen ein Einstieg der nordirischen Protestantenpartei DUP (8), die schon den Tories ein Angebot machte, und der radikalkatholischen Sinn Fein (5), die wahrscheinlich auch dieses Mal ihre Parlamentssitze nicht einnehmen wird und für eine Regierung aufgrund ihrer Verbindungen zur IRA einen PR-Gau bedeuten würde. Zieht man die Abgeordneten der Sinn Fein ab, dann läge die Mehrheit bei nur 323 Stimmen. Allerdings ist nicht sicher, ob die Partei in so einem Fall nicht doch ihre Macht ausspielen, ihre Abgeordneten den Treueeid auf die britische Königin schwören und sie ihr Stimmrecht wahrnehmen lassen würde.

Alex Salmond. Foto: Scottish Government. Lizenz: CC-BY 2.0

SNP-Parteiführer Alex Salmond zeigte sich durchaus interessiert am Angebot seines Landsmanns Brown, obwohl seine Partei ebenso wie Plaid Cymru vor der Wahl eher den Eindruck machte, als bevorzuge sie wechselnde Mehrheiten gegenüber einer Koalition. Gefragt, welche Forderungen er in Verhandlungen einbringen würde, belehrte der Chef der schottischen Regionalregierung die Presse darüber, dass er schon 2007 solche Verhandlungen führte und deshalb wisse, dass man sein Blatt nicht vorzeitig bekannt geben darf. Eine Zusammenarbeit mit den Tories, die aufgrund politischer Differenzen ohnehin sehr schwierig sein dürfte, schloss Salmond allerdings kategorisch aus.

Anders äußerte sich der Plaid-Cymru-Chef Ieuan Wyn Jones, dessen Partei sich in Wales in einer Regionalregierungs-Koalition mit Labour befindet. Er hält sich für einen "good deal for Wales" auch Gespräche mit den Konservativen offen, will Übereinkünfte aber auf die Abstimmung zu einzelnen Sachfragen beschränken. Eine formelle Koalition mit der Cameron-Partei schließt auch er aus.

Das lässt den Konservativen für den Fall, dass sie sich doch nicht mit den Liberaldemokraten einig werden, relativ wenig Spielraum: Sie selbst können (da der Nachwahlkreis Thirsk and Malton als sicher gilt) mit 307 Mandaten rechnen. Mit den acht Stimmen der DUP kämen sie auf 315. Für eine Mehrheit ohne Liberaldemokraten bräuchten sie deshalb nicht nur regelmäßig die drei Stimmen der Plaid Cymru, sondern auch die von acht weiteren Abgeordneten, was angesichts der mangelnden Nähe nicht nur zu Sinn Fein, sondern auch zu den Grünen, der Alliance Party und Sylvia Hermon als praktisch ausgeschlossen gilt.

Ieuan Wyn Jones. Foto: Dogfael. Lizenz: CC-BY-SA.