Renten-Streit: Framing als Generationenkonflikt, als gäbe es keinen Bezug zu den Löhnen
Jung gegen Alt – diese Front wird in Talkshows aufgemacht. Wie dabei Tarifkämpfe ausgeblendet werden und warum politische Streiks nötig wären. Ein Kommentar.
Der Streit um das "Rentenpaket II" aus der Feder von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Bundesfinanzminister Christian Lindner nimmt Fahrt auf – und das politisch-mediale Bemühen, diesen Streit vor allem als Generationenkonflikt zu framen, ist allgegenwärtig.
Hintergrund ist, dass junge Menschen ab 2028 während eines Großteils ihres Arbeitslebens höhere Rentenbeiträge zahlen sollen, während dieser Kelch an Älteren, die vor 2028 in Rente gehen oder schon im Ruhestand sind, vorbeigeht. Das Rentenniveau soll unterdessen bei 48 Prozent des Durchschnittseinkommens aus 45 Arbeitsjahren "eingefroren" werden. Heil will dieses Rentenniveau auch dauerhaft gesetzlich festschreiben.
Fragwürdige Stimme "der" jungen Generation
Maybritt Illner fragte in ihrer gleichnamigen ZDF-Talkshow am Donnerstagabend allen Ernstes die Vorsitzende der FDP-Nachwuchsorganisation Junge Liberale, Franziska Brandmann, warum sich am "Ministerium von Hubertus Heil" niemand "von den jungen Leuten" festklebe. "Warum protestieren Sie nicht?", wollte Illner wissen.
Das ist nicht nur deshalb absurd, weil die Chefin der Nachwuchsorganisation einer Partei der Besserverdienenden, die laut Umfragen schon seit Monaten um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen muss, wohl kaum für "die jungen Leute" sprechen kann, sondern auch, weil die FDP nicht auf der Oppositionsbank sitzt, sondern maßgeblich an dem viel kritisierten und noch nicht beschlossenen Rentenpaket mitgewirkt hat.
Generationenkapital: Zukunftsmodell oder finanzielles Risiko?
Die 29-jährige Nachwuchspolitikerin findet darin die Handschrift der FDP natürlich viel zu blass und erwiderte, da müsse "stark nachgebessert" werden. Obwohl sich Heil bereits auf das "kapitalgedeckte" Modell eingelassen hat und das von Lindner konzipierte "Generationenkapital" verteidigt: "Langfristig Geld anzulegen, hat nichts mit Zockerei zu tun. Ich finde es aber richtig, dafür keine Beiträge zu nehmen", erklärte er bei Illner.
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Aktien statt Sparbuch: Der deutsche Anleger wird mutig
Bemerkenswert ist, dass Lindner für die "Stiftung Generationenkapital" bereit ist, jährlich zwölf Milliarden Euro locker zu machen, während er eisern an der Schuldenbremse festhält. Auf den Kapitalmärkten angelegtes Geld rechnet sich aus seiner Sicht auf jeden Fall, es sind für ihn keine neuen Schulden im eigentlichen Sinn – im Gegensatz zu Geld, das in die Infrastruktur oder in Bildungseinrichtungen gesteckt werden könnte.
Manche Kapitalfraktionen sehen aber auch im "Generationenkapital" vor allem neue Schulden und sprechen von Lindners "Sündenfall".
Altersarmut: Ein realistisches Szenario für Geringverdiener
Fakt ist, dass die gesetzliche Rente für langjährig im Niedriglohnsektor Beschäftigte nicht ausreichen wird. Manche Großstadtmieten sind davon auch für langjährige Durchschnittsverdiener, die in Rente gehen, schwer zu stemmen. Allerdings beziehen manche von ihnen zusätzlich Betriebsrenten oder hatten zeitweise die Möglichkeit, Geld zu sparen.
Theoretisch besteht das deutsche Rentenmodell aus drei Säulen: Neben der gesetzlichen Rentenversicherung und der privaten Altersvorsorge, die sich viele nicht leisten können – zumindest nicht in einem Umfang, der sich im Alter wirklich rechnet und den Verzicht in jungen Jahren wettmacht – sind dies Betriebsrenten.
Arbeitskämpfe im Schatten der Rentendiskussion
Nicht zufällig haben im Februar Busfahrer der Reutlinger Stadtverkehrsgesellschaft für eine betriebliche Altersversorgung gestreikt.
Auch bei Streiks für höhere Löhne oder kürzere Arbeitszeiten ohne Lohnverlust – wie im Fall der Lokführergewerkschaft GDL – spielt die Rentenerwartung eine Rolle, denn viele Schichtarbeiterinnen und Schichtarbeiter gehen bei gleichbleibenden Arbeitszeiten davon aus, nicht bis zum regulären Renteneintrittsalter durchzuhalten und somit Abschläge in Kauf nehmen zu müssen.
Gewerkschaften heben beim Thema Renten immer diesen Zusammenhang hervor: Gute Arbeit, gute Löhne, gute Renten. Aber Löhne, Betriebsrenten und gewerkschaftliche Forderungen sind Stellschrauben, über die Wirtschaftsliberale nicht reden wollen. Lieber werden Junge gegen Alte ausgespielt und Geld in die weltweiten Aktienmärkte gepumpt.
Parallel dazu wird zum Angriff auf das Streikrecht geblasen. Medienschaffende liefern dafür Steilvorlagen, die ein Bundesverkehrsminister mit FDP-Parteibuch dankbar aufgreift.
Angriffe auf ein Grundrecht und Arbeitsmoral bis zum Umfallen
GDL-Chef Claus Weselsky dürfe mit "seinen" Bahnstreiks nicht länger das halbe Land in Geiselhaft nehmen, hieß es vor wenigen Tagen in einem Tagesspiegel-Kommentar zu den Ausständen, für die sich in einer Urabstimmung 97 Prozent der teilnehmenden GDL-Mitglieder ausgesprochen hatten.
Auch in der Rheinischen Post wurde mit Verweis auf die Unannehmlichkeiten für Fahrgäste ein "neues Streikrecht" gefordert. Der Bild-Kolumnist Gunnar Schupelius forderte gar, die beteiligten Lokführer müssten die "Opfer der Streiks" entschädigen. Warum Autofahrer und Vielflieger hier ständig im Namen der Betroffenen sprechen müssen (ich gehöre dazu und sehe mich nicht als Opfer) bleibt ihr Geheimnis.
Bessere Steilvorlagen könnte sich der wirtschaftsliberale Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP), der in der Praxis eher als Autominister bekannt ist und den Bahnverkehr allgemein stiefmütterlich behandelt, jedenfalls nicht wünschen.
Es sei zwar klar, dass sich die Bundesregierung in einen laufenden Tarifkonflikt nicht so einmischen könne, dass sie Gesetzesänderungen androhe, sagte Wissing m Dienstag im ARD-Morgenmagazin. "Aber klar ist auch, dass wir uns das ganz genau anschauen werden. Wenn dieser Tarifkonflikt beigelegt ist, muss geprüft werden, ob wir eine Änderung brauchen oder nicht." Selbst der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck ist der Meinung, dass "wir" uns kürzere Arbeitszeiten zurzeit nicht leisten können.
Warum Streiks für ein besseres Rentenpaket ausbleiben
Dabei ist die deutsche Rechtsprechung in Sachen Arbeitskämpfe schon jetzt vergleichsweise restriktiv. Anders als in europäischen Nachbarländern gibt es hier keine politischen Generalstreiks – und Frankreich ist dadurch, dass es sie dort regelmäßig gibt, keineswegs in die Steinzeit zurückgefallen.
Während Weselsky vorgeworfen wird, Streiks für Partikularinteressen zu veranstalten, darf die GDL gar keine solidarischen Forderungen für andere, weniger streikfähige Gruppen aufstellen – denn das wäre ja ein politischer Streik, der in Deutschland als unzulässig gilt, weil in den 1950er-Jahren ein ehemaliger Nazi-Jurist in einem Gutachten zu diesem Befund kam.
So lassen sich verschiedene Gruppen wunderbar gegeneinander ausspielen: Manche Rentnerinnen sind sauer, weil sie keine Streikmacht haben, um für ihre eigenen Interessen zu kämpfen und nur die Beeinträchtigungen durch Streiks spüren. Und gegen sie können wiederum Jüngere ausgespielt werden, die bald höhere Beiträge zahlen sollen, damit die Renten derjenigen, die weniger eingezahlt haben, nicht schrumpfen.
Teile und Herrsche: So können sich die ökonomisch herrschende Klasse und Bahn-Vorstände, die üppige Boni einstreichen, elegant aus dem Spiel nehmen.