Rezept für das Leben

Zwei amerikanische Wissenschaftler glauben, dass komplexes Leben aus einem feinen, selten anzutreffenden Zusammenspiel vieler Faktoren hervorgeht

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Es ist eine der ganz großen, ungelösten Fragen: Sind wir allein im All? Sind die Menschen die einzige intelligente Lebensform im Universum? Peter D. Ward glaubt es nicht. "Das Universum und selbst unsere Milchstraße sind so riesig, dass es noch andere intelligente Lebensformen geben muss", sagt der Geowissenschaftler von der University of Washington in Seattle. "Ich halte es für unmöglich, dass wir allein sind."

Umso verärgerter war Ward, als er den Klappentext des Buches las, das er gemeinsam mit dem Astronomen Donald Brownlee von der gleichen Universität verfasst hat. "Vielleicht sind wir wirklich allein", stand da – eine Formulierung, die dem zuständigen Verlagslektor einen wütenden Anruf Wards einbrachte. "Wir waren sehr darauf bedacht, genau diese Aussage zu vermeiden", erklärt er. "Wir glauben nicht, dass wir allein sind."

Eis auf dem Jupitermond Europa

Verleger lieben nun einmal pointierte Aussagen und provokante Thesen. Sie sind allemal verkaufsfördernder als sorgfältig abwägende, materialreich fundierte Argumentationen, wie sie unter Wissenschaftlern geschätzt werden. Aber "Unsere einsame Erde" von Ward und Brownlee ist alles andere als ein auf rasche Vermarktung zielender Schnellschuss, sondern eine gründliche Abschätzung der Häufigkeit komplexen, womöglich intelligenten Lebens im Weltall. Dafür haben die beiden Forscher eine Vielzahl neuer Erkenntnisse aus dem relativ jungen, interdisziplinären Forschungsfeld der Astrobiologie ausgewertet.

Die Chancen, außerhalb der Erde Leben zu finden, werden seit einigen Jahren wieder höher bewertet. Nach der Landung der Viking-Sonden auf dem Mars im Jahr 1976, die keinerlei Lebensspuren nachweisen konnten, hatte das noch ganz anders ausgesehen. Die Hoffnungen, außerhalb der Erde auch nur eine Bakterie entdecken zu können, tendierten gegen Null.

Interplanetarer Staub

Doch nach und nach ergab sich ein neues Bild. So konnten Astronomen im Jahr 1995 erstmals einen Planeten außerhalb unseres Sonnensystems nachweisen. Inzwischen sind über 60 solcher "extrasolaren" Planeten bekannt und erhärten die Annahme, dass die Bildung von Planetensystemen der Normalfall im All ist. Erdähnliche Himmelskörper, die die Entwicklung von Lebensformen begünstigen könnten, wurden zwar noch nicht identifiziert. Ihre Existenz wird jedoch als immer wahrscheinlicher angesehen.

Neben potenziellen Brutstätten des Lebens scheinen auch dessen chemische Grundbausteine im Weltraum recht weit verbreitet zu sein. Manche Forscher halten die organische Materie, die auf Kometen und in interstellaren Staubwolken nachgewiesen wurde, sogar für Abfallprodukte von Lebewesen. "Etwa ein Drittel des dort gefundenen Kohlenstoffs", sagt Chandra Wickramasinghe, Mathematiker und Astronom an der University of Wales in Cardiff, "kommt in Form von Molekülen vor, die von bakterieller Materie nicht unterschieden werden können. Bislang lässt sich nicht befriedigend erklären, wie diese Stoffe auf anorganische, nicht-biologische Weise entstanden sein sollen."

Neben Kohlenstoff gilt flüssiges Wasser als unerlässliche Voraussetzung für die Entstehung und Entwicklung von Leben. Auch hier sind die Weltraumforscher außerhalb der Erde fündig geworden: Sowohl auf dem Mars als auch auf dem Jupitermond Europa haben sich die Hinweise auf Wasservorkommen verdichtet, obwohl der letzte Beweis noch aussteht. Insbesondere der von einer dicken Eiskruste umhüllte Europa beflügelt die Fantasie der Forscher: "Ich zweifle nicht daran", so Wickramasinghe, "dass wir dort unter der Eisoberfläche einen Ozean entdecken werden, der womöglich nicht nur Mikroben, sondern auch komplexere Lebensformen, ähnlich unseren Fischen, beherbergt."

Asteroid Gaspra

So weit wollen Ward und Brownlee nicht gehen. Zwar räumt Ward ein: "Es gibt gute Gründe, auf dem Mars oder dem Jupitermond Europa nach Leben zu suchen. Wir haben viele neue Erkenntnisse über Extremophile gewonnen, also über Organismen, die in extremen, eigentlich lebensfeindlichen Umgebungen existieren." Doch dies gelte nur für primitives Leben. Für komplexe, mehrzellige Lebewesen sehen Ward und Brownlee dagegen schlechte Chancen.

Bild vom Marsmeteoriten ALH84001

Bislang erschien die Verbreitung des Lebens an sich als entscheidender Faktor in der sogenannten Drake-Gleichung, mit der die Häufigkeit hochentwickelter, kontaktbereiter Zivilisationen abgeschätzt wird: Hinweise auf primitive Lebensformen erhöhten demnach automatisch die Wahrscheinlichkeit, auch auf intelligente Lebewesen zu treffen. Genau das bezweifeln Ward und Brownlee. Sie vermuten, dass einfaches, bakterielles Leben im All weit verbreitet ist. Ob es sich aber auch zu komplexen Lebensformen entwickle, hänge von den richtigen Bedingungen ab. "Wir glauben, dass die Anzahl der Planeten, die solche Bedingungen über ausreichend lange Zeit aufweisen, bisher überschätzt worden ist. Die Evolution komplexer Lebensformen benötigt sehr stabile Verhältnisse über sehr lange Zeiträume, die ausgesprochen selten vorkommen."

Die Drake-Gleichung

In den fünfziger Jahren entwickelte der amerikanische Astronom Frank Drake eine Formel, um abschätzen zu können, wie viele Zivilisationen in unserer Milchstraße existieren. Diese Zahl ergibt sich, wenn man die Anzahl der Sterne in der Milchstraße (etwa 200 bis 300 Milliarden) multipliziert mit

    Noch Anfang der achtziger Jahre schätzte der Astronom Carl Sagan aufgrund dieser Formel die Zahl der kommunikationsbereiten Zivilisationen allein in der Milchstraße auf mehrere Millionen. Nach Ansicht von Peter D. Ward und Donald Brownlee ist das viel zu hoch gegriffen. Sie kritisieren an diesen Schätzungen vor allem die zugrunde liegende Annahme, dass dort, wo Leben entsteht, sich auch fast zwangsläufig immer höhere Lebensformen entwickeln: Die Zahl der Planeten, wo dies möglich ist, könnte weitaus geringer sein, als bisher angenommen.

    So existierte das Leben auf der Erde über zwei Milliarden Jahre lang in Form einzelliger Lebewesen. Erst vor einer halben bis einer Milliarde Jahren erfolgte der Übergang zu Vielzellern. Damit über einen so langen Zeitraum ausreichend Stabilität herrscht, müssen laut Ward und Brownlee eine Vielzahl von Bedingungen erfüllt sein. So darf der Energieausstoß des Muttergestirns nicht zu sehr variieren, was viele Sterne schon mal ausschließt. Das Planetensystem muss sich in einer bestimmten Region der Galaxis befinden, nicht zu dicht am Zentrum, wo die Strahlenbelastung zu hoch ist, aber auch nicht zu weit am Rand, weil dort zu wenig der für die Bildung erdähnlicher Planeten notwendigen, schweren Elemente entstehen.

    Nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig – die Entstehung komplexen Lebens erscheint bei Ward und Brownlee als Folge einer sehr feinen Abstimmung vieler Zutaten, die nur selten gelingt. Zum Beispiel Kohlenstoff: Ohne ihn kann es nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand kein Leben geben. Zu viel Kohlenstoff kann aber wiederum zu einem atmosphärischen Treibhauseffekt führen, der alles Leben erstickt. So kommen die beiden Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass die Erde ein sehr besonderer Planet ist.

    Wir mögen zwar nicht allein im All sein, aber doch sehr einsam. Lohnt es sich da überhaupt, noch weiter nach Signalen außerirdischer Intelligenz zu suchen? "Wir sollten die Suche fortsetzen", sagt Ward. "Aber zur gleichen Zeit sollten wir uns bewusst sein, dass wir möglicherweise nie diesen Planeten verlassen und andere Sternsysteme erreichen werden. Daher sollten wir den Ort unseres Ursprungs sehr, sehr gut pflegen."

    Peter D. Ward / Donald Brownlee: Unsere einsame Erde – Warum komplexes Leben im Universum unwahrscheinlich ist. Springer Verlag. 376 S. 26 Abb., 2 Tab. Geb. 3-540-41365-0. DM 49,90.-