Richtungsentscheidung in der Stromversorgung

Die Energie- und Klimawochenschau: Neue Warnung der Klimawissenschaftler, alte Hüte der Energiewirtschaft und einige unendliche Geschichten aus der Welt der vermeintlich sauberen Atomkraft

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Die Töne, die Klimaforscher anschlagen werden eindringlicher. Vergangene Woche stellte Hans Joachim Schellnhuber, Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Klimaberater der Bundeskanzlerin, in Brüssel einen Überblick über den neuesten Stand der Forschung () vor, der den Regierungen bei den gegenwärtigen Klimaverhandlungen als Arbeitsgrundlage dienen soll, und drängte dabei auf rasche und einschneidende Maßnahmen.

Bei einer Reihe von Parametern ist das Tempo der Veränderungen inzwischen am oberen Rand der Erwartungen, die sich aus den Klimasimulationen ergeben. Das gilt insbesondere für den Anstieg des Meeresspiegels, die Versauerung der Ozeane, die Erwärmung der Meere, den Rückgang des arktischen Eises im Sommer und die Häufigkeit extremer Wetterereignisse. Was den Meeresspiegelanstieg angeht gehen heute viele Fachleute davon aus, dass die Abschätzungen des letzten IPCC-Berichts zu konservativ waren. Statt maximal 58 Zentimeter Anstieg bis zum Ende des Jahrhunderts scheint durchaus auch ein Meter möglich.

Prognostizierte Erwärmung der Erdoberfläche 2090-2099. Bild: IPCC-Bericht

Der Bericht stellt die Zusammenfassung einer wissenschaftlichen Konferenz dar, die im März in Kopenhagen mit rund 2500 Teilnehmern aus etwa 80 Ländern stattfand. Entsprechend wurde er dem dänischen Ministerpräsidenten Lars Løkke Rasmussen übergeben, der im Dezember der Gastgeber des Weltklimagipfels sein wird. Ob dem die Ergebnisse gefallen werden, ist allerdings eine andere Frage. Seine rechtsliberale Regierung hat in den letzten Jahren den weiteren Ausbau der Windenergie zum Stillstand gebracht und auch sonst in Sachen Klimaschutz eine laisez-faire-Politik betrieben.

Die Wissenschaftler verweisen in ihrem Bericht ausdrücklich darauf, dass Klimaschutz auch eine Frage der Gerechtigkeit ist, weil unter den folgen des Klimawandels am meisten die Armen zu leiden haben, sowohl in den Entwicklungsländern, als auch in den reicheren Gesellschaften. Außerdem verweisen sie darauf, dass ein Aufweichen der Ziele für 2020 doppelt gefährlich ist. Zum einen steigt damit das Risiko, dass bestimmte Punkte ohne Wiederkehr überschritten werden, von denen aus die Veränderungen sehr schnell ablaufen und irreversibel werden. Zum anderen wird es immer schwieriger, die notwendige Verminderung des Treibhausgasausstoß noch zu erreichen, je später mit einschneidenden Maßnahmen begonnen wird. Je länger man wartet, desto drastischer müssen die Maßnahmen sein, wenn die globale Erwärmung noch auf zwei Grad über dem vorindustriellen Niveau beschränkt werden soll.

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), in dem rund 1800 Unternehmen der Branche zusmamen geschlossen sind, nicht zuletzt die den Markt dominierenden vier großen Konzerne Vattenfall, E.on, RWE und EnBW, trifft sich am heutigen Mittwoch und am Donnerstag in Berlin zu einem Kongress und hat bei der Gelegenheit Eckpunkte für eine künftige Energiepolitik nach seinem Geschmack vorgestellt.

Wenig Neues

Die sehen ganz so aus, wie man es erwarten würde. Neben einiger Klimarhetorik, die man heute dem Publikum einfach bieten muss – selbst Union und SPD haben sich selbst ja im Bundestagswahlkampf ein wenig grüne Tünche verordnet – bietet der BDEW altbekanntes. Erdgas, Kohle und Uran soll auch noch nach 2020 eine Rolle in der Stromversorgung spielen. Das heißt, man will alles dran setzen, um das Atomausstiegsgesetz zu kippen, und man möchte natürlich weiter Kohlekraftwerke bauen. 2050 oder so ähnlich geht es dann vielleicht ohne Treibhausgase.

Vorher möchte der Verband in der internationalen Klimaschutzpolitik aber unbedingt die marktwirtschaftlichen Instrumente weiter ausbauen. Das heißt, der Handel mit Emissionsrechten soll weltweit ausgedehnt werden und auch die so genannten CDM-Maßnahmen ausgeweitet werden. Die funktionieren theoretisch so, dass ein Industrieland mit Verpflichtung zur Emissionsreduktion ein "sauberes" Projekt in einem Entwicklungsland finanziert – CDM steht für Clean Development Mechanism – und sich dann die vermiedenen oder vermeintlich vermiedenen Emissionen gutschreiben lässt. Das kann dann zum Beispiel so laufen, dass ein kanadisches Unternehmen in Mosambik ein Gaskraftwerk baut und sich die Differenz zwischen den Emissionen, die aus einem Kraftwerk mit ältere Technologie oder gar einem Kohlekraftwerk gutschreiben lässt. Dann emittiert künftig in Mosambik ein neues Gaskraftwerk – man hätte dort natürlich auch Windräder aufstellen oder Solarzellen installieren könne – und Kanada kann noch ein wenig mehr Öl aus seinen Teersanden destillieren.

Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE), die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und der Verband der Verbraucherzentralen haben gemeinsam mit dem Ökostrom-Anbieter LichtBlick am Dienstag auf einer Pressekonferenz Front gegen diese Vorstellungen des BDEW gemacht. Die deutsche Energieversorgung stehe vor einer Richtungsentscheidung. Neue Kohlekraftwerke und die Laufzeitverlängerung für AKWs würde mittelfristig dem Ausbau der erneuerbaren Energieträger widersprechen.

Widerspruch

"Beim BDEW ist das krampfhafte Bemühen erkennbar, die von der Mehrheit der Gesellschaft mit großen Hoffnungen begleiteten Branchen der Energiewende zu umarmen und sie gleichzeitig auf ein Nischendasein zu begrenzen", sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Rainer Baake. Am Beispiel Brunsbüttel hatte im letzten Jahr eine Studie gezeigt, dass sich der dort geplante Bau neuer Kohlekraftwerke und die Errichtung von Offshore-Windparks ins Gehege kommen und extrem um die Netzkapazitäten konkurrieren würden.

Die nicht beliebig steuerbaren und unstetig Strom liefernden Windkraftanlagen und Solarzellen müssen mit flexiblen Kraftwerken ergänzt werden. Kohlekraftwerke und AKWs sind jedoch Grundlastkraftwerke, die fast das ganze Jahr laufen müssen, um sich zu rentieren. Wenn aber 2020 Wind & Co. soweit ausgebaut sind, dass sie übers Jahr gemittelt 25 Prozent der elektrischen Energie liefern, wie es die meisten Bundestagsparteien fordern, oder 48 Prozent, wie es der BEE für möglich hält, dann wird es relativ oft vorkommen das stunden- oder tageweise der ganze Bedarf mit den Erneuerbaren gedeckt wird. Dann müssten also die Großkraftwerke jeweils runtergefahren werden, was besonders bei den AKWs technisch aufwendig und nicht unproblematisch ist.

Letzendlich muss also eine Entscheidung her, ob die Versorgung weiter mit den schwerfälligen und im Falle der Kohle sehr klimaschädlichen Großkraftwerken organisiert werden soll, oder ob den erneuerbaren Energieträgern mehr Raum gegeben werde. Der BDEW als "Hauptvertreter der alten Energiewirtschaft" unterschätze systematisch den künftigen Beitrag von Sonne, Wind, Bioenergie, Wasserkraft und Geothermie, meint der BEE-Geschäftsführer Björn Klusmann.

Das war schon immer so: Nahezu alle Studien zum Ausbau der Erneuerbaren blieben in der Vergangenheit weit hinter der dann eingetretenen Realität zurück. Tatsächlich können die heimischen Erneuerbaren Energien schon 2020 mit 47 Prozent fast die Hälfte der Stromversorgung decken - vorausgesetzt die Politik entscheide sich für diesen Zukunftspfad und gegen die Konzepte von gestern.

Björn Klusmann

Strahlende Hinterlassenschaften

Neues aus der Rubrik sichere und Billige Atomenergie: Die Sanierung des ehemaligen Uranbergbaus in Thüringen und Sachsen verzögert sich, berichtet die Freie Presse aus Chemnitz. Ursprünglich sollte die so genannte Kernsanierung bis 2010 abgeschlossen sein, doch vor 2012 wird das wohl nichts. Danach sollen sich weitere fünf Jahre Nachsanierung anschließen. Die veranschlagten Mittel in Höhe von 6,4 Milliarden Euro, die vom Bund getragen werden, seien bisher zu 80 Prozent verbraucht.

Sanierungsarbeiten am Schacht 26 bei Schneeberg 2006. (Bild: Wikimedia Commons Das Bild "Waldschacht.jpg" und steht unter der GNU Free Documentation License. Der Urheber des Bildes ist Geomartin. Link auf /tp/r4/buch/buch_gnu.html .

In kaum einen anderen Land ist bisher so viel Uran aus der Erde geholt worden, wie in Deutschland. Die verschiedenen Bergwerke der Deutsch-Sowjetischen Wismut AG waren 1990 nahezu ausgeräumt. Im Jahre 2000 wäre der Vertrag zwischen der Sowjetunion und der DDR ausgelaufen, doch 1990 kam der ungleiche Zusammenschluss der beiden deutschen Staaten dazwischen. Wismut AG wurde zur Wismut GmbH, der Abbau gestoppt und die Sanierung des Gebiets, wozu unter anderem radioaktiv kontaminierte Abraumhalden gehörten, eingeleitet. In der GmbH sind heute mit diesen Aufgaben noch 1600 Menschen beschäftigt. Insgesamt haben seit 1945 500.000 Menschen im Uranbergbau gearbeitet, von denen viele an Krebs erkrankt sind.

Krebs hat auch Eckbert Duranowitch, ein ehemaliger Mitarbeiter des "Forschungsendlagers" Asse II). Wie der Nachrichtendienst epd meldet, hat der an Leukämie erkrankte Durnowitch nun seinen ehemaligen Arbeitgeber wegen schwerer Körperverletzung angezeigt. Er hatte von 1987 bis 1999 als Maschinenschlosser in "Asse II" unter Tage gearbeitet und war nicht mit einem Dosimeter zur Messung der Strahlenbelastung ausgestattet gewesen. Ihm sei versichert worden, dass der Müll nur gering strahle. Die Strafanzeige richtet sich unter anderem gegen zwei ehemalige Geschäftsführer der Betreibergesellschaft.

Unterdessen sorgt Vattenfall trotz einbrechender Salzstöcke und fehlender Endlager für den strahlenden Müll weiter für Nachschub. Am Montag wurde nach zwei Jahren Stillstand des Atomkraftwerk Krümmel in der Nähe von Hamburg wieder hochgefahren. Alle Proteste hatten nichts gefruchtet. Die zuständige Kieler Ministerin Gitta Trauernicht (SPD) hatte grünes Licht gegeben. Das AKW war nach einer waren Pannenserie in Vattenfall-AKWs vorübergehend stillgelegt worden.

Der Konzern hatte im Zusammenhang mit diesem und vor allem vorhergehenden Unfällen im schwedische AKW Forsmark die Öffentlichkeit mehrfach belogen. Dem internationalen Ansehen der Unternehmensführung scheint das jedoch keinen Abbruch getan haben. Vatenfall-Chef Lars Göran Josefsson wurde letzte Woche zu einem der Klimaberater des UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon bestimmt. Die anderen Mitglieder des Gremiums sind von einem ähnlichen Kaliber: Helge Lund von StatoilHydro, Norwegen, Rubens Ometto Silveira Mello vom Ethanolhersteller Cosan in Brasilien, außerdem Shi Zhengrong vom Solrazellenhersteller Suntech Power Holdings in China, Sultan Ahmed Al Jaber, Chef der Masdar Initiative in den Vereinigten Emiraten und der frühere Präsident von Costa Rica Jose Figueres. (Angaben nach einem Bericht der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua.)

Josefsson sah in seiner Ernennung eine Würdigung des Engagements seines Unternehmens für den Klimaschutz. Ob er damit den Bau des neuen Kohlekraftwerks in Hamburg Moorburg meinte, ließ er offen. Satt dessen machte er Werbung für den vermehrten Einsatz von Atomkraft, was nicht minder erstaunlich ist. Immerhin befindet sich Vattenfall im Besitz des schwedischen Staats, und dessen Bevölkerung hat sich bereits in den 1980er Jahren für den Ausstieg aus der Nuklearwirtschaft ausgesprochen. Aber wie sagte doch der seinerzeitige EU-Handelskommissar und heutige Chef der Welthandelsorganisation Pascal Lamy (Mitglied der französichen Sozialisten) seinerzeit in Seattle so schön?: Demokratie und Effizienz stehen halt manchmal in einem gewissen Widerspruch zu einander. Wobei man ihm wie auch Josefsson ohne weiteres unterstellen kann, dass sie Effizienz mit unternehmerischen Gewinn und nicht etwa volkswirtschaftlichem Nutzen übersetzen.

Letzterer machte sich im Gespräch mit der Financial Times Deutschland am Montag Hoffnungen, dass eine künftige schwarz-gelbe Koalition in Berlin den Atomausstieg kippen und die Laufzeiten für seine Alt- bis Uralt-AKWs weiter verlängern könnte. Bei der Kanzlerin wird er auf jeden Fall ein offenes Ohr finde, schließlich ist er bereits seit über zwei Jahren ihr Klimaberater. Vattenfalls Braunkohlekraftwerke in Ostdeutschland – in Jänschwalde in Brandenburg stehen noch ein paar besonders antike Exemplare, die es auf einen Wirkungsrad von sagenhaften 33 Prozent bringen – scheinen ihn dafür zu prädestinieren.