Ride Lonesome

Seven Men from Now

Budd Boetticher und die Ranown-Western

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Welche Western sollte man unbedingt gesehen haben, wenn man das Kino mag? Wenn man statt der von Hollywood vorgegebenen Regelästhetik, der großen Stars, der Produktionskosten und der Werbeetats einflussreicher Verleihfirmen nur die künstlerische Qualität berücksichtigt, müssten vier Filme eines Regisseurs dabei sein, der immer noch zu wenig bekannt und gewürdigt ist: Budd Boetticher. Wenn man Extrapunkte für Flamboyanz, Unerschrockenheit und Integrität vergeben würde, wäre er sowieso konkurrenzlos. Eine Hommage.

Es beginnt mit Blitz und Donner. In einer Gewitternacht geht ein Mann auf eine Felswand zu. Zwei andere Männer haben in einer Höhle Zuflucht vor Sturm und Regen gesucht, ein Feuer gemacht und Kaffee gekocht. Im Western sind das meistens die Momente der Gemeinsamkeit. Männer versammeln sich inmitten einer unwirtlichen Natur um ein Lagerfeuer, trinken zusammen Kaffee und erzählen sich Geschichten. Über den Neuankömmling werden wir später erfahren, dass er einmal Sheriff war und Ben Stride heißt. Stride ist das englische Wort für den langen Schritt und auch für die Gangart eines Pferdes. Die letzten zehn Meilen, sagt er, ist er zu Fuß gegangen. Er wurde von den Indianern überfallen. „Pferd gestohlen?“, fragt einer von den beiden anderen. Nein, ist die Antwort, sie haben es gegessen.

Tod in der Oase

Wir befinden uns in Budd Boettichers Seven Men from Now. Die indianischen Pferdeesser kennt man aus einem anderen Western, der zur selben Zeit entstand. In John Fords The Searchers spielt John Wayne den Rassisten Ethan Edwards. Die Indianer charakterisiert Ethan so: Ein Weißer, der jemanden verfolgt, reitet ein Pferd, bis es zusammenbricht und geht anschließend zu Fuß weiter. Dann kommt ein Komantsche vorbei, reitet das Pferd noch 20 Meilen und isst es auf. In Boettichers Film sind die Indianer auf dem Kriegspfad, weil sie Beute machen müssen, um nicht zu verhungern. Später wird ihnen Ben Stride eines von den Pferden der beiden Männer unter dem Felsvorsprung geben, um einen Kampf zu vermeiden. Wer sich an den Dialog vom Anfang erinnert, der weiß, dass diese Indianer keine Bestien sind, sondern um ihr Überleben kämpfende Menschen, für die das Pferd eine dringend benötigte Mahlzeit ist. Für Boetticher ist das typisch. Er macht dem Publikum das Angebot, scheinbar beiläufig gegebene Informationen aufzunehmen und sie mit dem, was folgt, in Beziehung zu setzen. Das ist ganz unaufdringlich. Wer aufmerksam ist und mitdenkt, bekommt einen Mehrwert. Wer es nicht ist, sieht immer noch einen spannenden Film.

Er komme aus Silver Springs, sagt Ben Stride. Da soll jemand getötet worden sein, meint einer von den beiden anderen Männern, während unaufhörlich der Regen vom Himmel fällt. Auch das ist typisch für Budd Boetticher. Seine Filme erzielen viel von ihrer Wirkung durch den starken Kontrast. Das Städtchen, das seinen Namen der silbern sprudelnden Quelle verdankt, ohne die es in der Wüste kein Leben geben kann, ist der Ort des Todes. Die Pastorale, die grüne Flusslandschaft, der warme Zufluchtsort unter den Felsen ist die Stätte der Gefahr. Boetticher braucht nie mehr als ein paar kurze Dialogsätze oder ein paar Kameraeinstellungen, um das deutlich zu machen. Oft genügt ein einziger Blick des Helden.

Die Oase in der Wüste ist bei Boetticher die Postkutschenstation. Auch da ist der Tod zuhause. In Comanche Station wird der Betreiber von Indianern umgebracht. Solche Stationen stehen da, wo es Wasser zum Tränken der Pferde gibt. In The Tall T ist das ein Brunnen. Der Betreiber ist verwitwet, hat einen kleinen Sohn und will demnächst wegziehen, weil er die Einsamkeit nicht mehr erträgt. Bei Boetticher ist das ganz schlecht. Das Leben findet heute und nicht morgen statt. Wer es auf später verschiebt, hat schon verloren. In Ride Lonesome wartet die Frau des Stationsbetreibers auf ihren Mann, der plante, mit ihr wegzugehen. Dann kommen die Indianer, um die Frau gegen das Pferd ihres Mannes einzutauschen, den sie getötet haben.

The Tall T

Am Anfang von The Tall T wirft der kleine Junge einen Stein in den Brunnen, um zu hören, wie tief er ist. Dann kommen die Banditen, bringen Vater und Sohn um und werfen die Leichen in den Brunnen. Boetticher-Filme können schockierend brutal sein, doch die Brutalität findet oft im Dialog, im Off oder in der Vergangenheit statt. In The Tall T erzählen die Banditen selbst, was passiert ist. Da haben sie gerade den Postkutscher erschossen, den der Held jetzt auch in den Brunnen werfen muss. Er macht das zwischen zwei Einstellungen. Aber solche Brunnen sieht man danach mit anderen Augen. Am wenigsten schlimm ist noch Seven Men from Now. Da ist die Wechselstation leer, das Schicksal der Betreiber bleibt ungewiss.

Seven Men from Now

Einer der Männer in der Höhle fragt, ob die Mörder schon gefasst wurden. Zwei von ihnen, sagt Stride. Dann greifen alle zu ihren Waffen. Statt uns den Ausgang des Kampfes zu zeigen, schneidet Boetticher auf zwei im Regen stehende Pferde, die erschrecken, als die Schüsse fallen. Die Leinwand wird kurz dunkel. Danach sehen wir Stride, der am nächsten Morgen mit den Pferden der beiden Männer, die er erschossen hat, durch eine Felslandschaft reitet. Bei Boetticher hört man oft nur von der Gewalt, und man sieht das Resultat. Das Wenige, das er uns zeigt, wird dadurch umso bedeutsamer. Die Gewalt ist immer Teil einer Tragödie. Am Anfang von Seven Men sehen wir Höhlenmenschen, die gleich aufeinander schießen werden. Am Ende, als er wieder einen Mann erschießt, stützt sich Stride auf sein Gewehr wie auf eine Krücke. Dann setzt er sich erschöpft und verbraucht auf einen Felsen. Im traditionellen Hollywood-Kino ist der Wilde Westen ein Jungbrunnen – der Ort, an dem sich die amerikanische Nation erneuert. Das geht selten ohne das Töten von Banditen oder Indianern ab. Richard Slotkin hat über den Western-Mythos ein Buch mit einem vielsagenden Titel geschrieben: Regeneration Through Violence. Bei Boetticher hat die Gewalt mit Regeneration wenig zu tun.

Seven Men from Now

Kein Anfang und kein Schluss

In Deutschland lief Seven Men from Now als „Der Siebente ist dran“. Das zeigt wieder einmal, dass die Leute, die sich solche Verleihtitel ausdenken, die Filme entweder nicht gesehen oder nicht verstanden haben. Sieben Männer überfallen die Poststation von Wells Fargo in Silver Springs. Dort arbeitet die Frau von Ben Stride. Bei dem Überfall wird sie erschossen. Stride will Rache. Von jetzt, von der ersten Filmminute an, sagt der Titel, will er sieben Männer töten (und nicht den siebten). Das alles erfährt man nach und nach. Diese bruchstückhafte, über 70 oder 80 Minuten verteilte Informationsvergabe ist ein wichtiger Bestandteil der Dramaturgie. Jeder Film, sagt Godard, habe einen Anfang, eine Mitte und einen Schluss, wenn auch nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Boetticher belehrt ihn eines Besseren und demonstriert mit lockerer Eleganz, dass man noch viel radikaler sein kann.

Ein konventioneller Western würde mit Ben Stride beginnen, der sich von seiner Frau verabschiedet. Dann würden die Banditen in die Stadt reiten, das Büro von Wells Fargo überfallen und dabei Mrs. Stride erschießen. Ben würde kommen, die Leiche seiner Frau in den Armen halten und losgaloppieren, um Rache zu nehmen. Boetticher lässt das alles weg. Seine besten Western haben keinen Anfang und keinen Schluss, sondern nur das Mittelstück, das er am interessantesten fand. Das Gewitter in den ersten Sekunden von Seven Men enthält alle Informationen, die wir vorerst brauchen. In das Leben des Helden hat der Blitz eingeschlagen. Von jetzt an sehen wir, wie er damit umgeht. Ökonomischer kann man das nicht machen.

Budd Boetticher und Randolph Scott

Donnerschläge gab es auch im Leben und der Karriere Budd Boettichers. Er sei, sagt Clint Eastwood, „a cantankerous guy“ gewesen. Dazu gibt es viele Anekdoten. Hier eine, die Robert Mitchum gern erzählte:

Das Leben mit Budd war immer aufregend. Ich erinnere mich, wie er und ich vor Jahren einmal diese Straße in Tijuana entlanggingen, und da kommen uns drei der übelsten, mit Tequila abgefüllten Bauerntölpel entgegen, die man je gesehen hat. Budd war in reizbarer Stimmung, und plötzlich sagt er: „Du nimmst den in der Mitte, und ich kümmere mich um die zwei anderen.“ Ich verdrückte mich, schlich mich davon, verschwand im Hintergrund und überließ es ihm, die Sache mit allen Dreien zu regeln. Die Drei taten mir leid. Budd war schon ein Original.

Solche Anekdoten gibt es auch von anderen Western-Regisseuren. Das Besondere an Budd Boetticher ist, dass sie bei ihm meistens stimmen oder höchstens ganz leicht übertrieben sind. Aber Eastwood hätte er bestimmt widersprochen. Als einen streitsüchtigen Menschen sah er sich nicht. Eine Art Selbstportrait ist Pat Brennan in The Tall T. Weil er sein eigener Herr sein will, hat Pat eine kleine Ranch gekauft, irgendwo weit draußen vor der Stadt. Früher war er Vormann beim Rancher Tenvoorde. Ihm will er nun einen Zuchtbullen abkaufen. Tenvoorde schlägt ihm eine Wette vor. Wenn er den Bullen reiten kann, bekommt er ihn umsonst; wird er abgeworfen, gehört sein Pferd Tenvoorde.

The Tall T

Pat weiß, dass er es höchstwahrscheinlich nicht schaffen wird, kann aber der Herausforderung nicht widerstehen. Er wird abgeworfen, holt sich dabei schmerzhafte Prellungen und ist ein guter Verlierer, der mit den anderen über sich selbst lachen kann. Nur Tenvoordes neuer Vormann weiß nicht, wo die Grenze ist. Sein Lachen wird zur wortreichen Respektlosigkeit. Pat reagiert mit einem gut gezielten Kinnhaken. Boettichers Helden folgen einem fein austarierten Moral- und Verhaltenskodex, der als ein Schutzschild gegen eine feindliche Umwelt dient und entschlossen verteidigt wird. Als wir Pat wiedersehen, schleppt er humpelnd seinen Sattel durch die Wüste. Sein Pferd hat er bei Tenvoorde gelassen. Das ist Ehrensache.

The Tall T

In Hollywood traf Boetticher die Verwandten des Vormanns, mit dem Pat die Geduld verliert: „kreative Produzenten“, die von sich glaubten, selbst die besten Filmemacher zu sein, die Arbeit aber aus Zeitmangel an andere delegieren zu müssen. Solche Leute waren für Boetticher ein rotes Tuch. Einmischung konnte er nicht leiden. Ein typisches Zitat:

Ich weiß, wo ich recht habe und ich weiß, wo ich unrecht habe. Ich mache mir nie etwas vor. Ich werde immer das tun, was ich tun will und für richtig halte, weil ich das, was ich tun will, verstehe. Ich verstehe den Western, und ich verstehe eine gewisse Art von Geschichte mit einer Moral.