Riskiert die US-Regierung einen Scherbenhaufen nach dem Abzug aus dem Irak?

Die Situation im Irak zeigt, was sich auch für Afghanistan erwarten lässt

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Im Irak könnte passieren, was auch das Schicksal in Afghanistan werden könnte, nämlich dass die Strategie nicht aufgeht, schnell die eigenen Truppen abzuziehen und den nationalen Sicherheitskräften die Kontrolle zu überlassen. Weder im Irak noch in Afghanistan gibt es gefestigte und von der Mehrheit akzeptierte Zentralregierungen. In beiden Ländern kämpfen weiterhin unterschiedliche militante Gruppen um Einfluss und Machterhalt, die Korruption lässt eine legitime staatliche Ordnung, die Vertrauen erzeugt, nicht entstehen. Wächst der Druck, möglichst schnell die Besatzungssoldaten abzuziehen, brauchen die militanten Antiregierungsgruppen nur noch zu warten.

Im Irak haben sich die noch im Land verbliebenen 92.000 US-Soldaten mehr und mehr in die Stützpunkte zurückgezogen, bis Ende August sollten eigentlich alle Kampftruppen, bis Ende 2011 alle Soldaten abgezogen sein. Auf dem Höhepunkt des von Bush angeordneten, damals von Obama noch abgelehnten "Surge" waren 150.000 US-Soldaten im Irak. Nachdem nun Obama die Bush-Strategie für Afghanistan übernommen und einer Truppenverstärkung von 30.000 Soldaten durch Umlagerung aus dem Irak in der Hoffnung zugestimmt hat, um schneller aus dem Hindukusch herauszukommen, verschärfen sich nun die Probleme im Irak – und zeigen, was dann auch in Afghanistan zu erwarten ist und dann auch Deutschland betrifft..

Auch zwei Monate nach den Wahlen gibt es im Irak noch keine Regierung, während die Gewalt im Machtvakuum und den Konflikten zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden zunimmt. Schon die Wahlen mussten vom Januar auf den März verschoben werden. Was schon wieder nach dem Abflauen der Gewalt und den Spannungen zwischen den religiösen und regionalen Gruppen im letzten Jahr sichtbar wurde, nachdem das US-Militär Zug um Zug den irakischen Sicherheitskräften das Feld überließ und die irakische Regierung die von den USA bezahlten Bürgermilizen aufzulösen begann, zeigt sich nun. Noch immer gibt es keine Zentralregierung, die Sicherheit, Ordnung und Rechtstaatlichkeit garantieren kann, noch immer ist der Irak ein künstlicher Staat, der schnell auseinander und in einen Bürgerkrieg zu fallen droht.

Eigentlich sollten bis 31. August nur noch 50.000 US-Soldaten im Irak sein, aber die wachsende Gewalt – am Montag alleine fielen mehr als 100 Menschen verschiedenen Anschlägen zum Opfer, es gab Hunderte von Verletzten – bringt jetzt die Abzugspläne ins Wanken. Sie waren ein zentrales Wahlversprechen von Obama. Zwar stehen seit langem andere Themen in den USA im Vordergrund, aber ein Abrücken könnte die sowieso schon angeschlagene Position des Präsidenten und der Demokraten weiter schwächen. Auch wenn die Situation im Irak das Erbe von Bush und der Republikaner ist, würde ein Abzug, der einen zerfallenden Staat, Bürgerkrieg und eine instabile Öl-Region hinterlässt, auf Obama zurückschlagen, der auch den Konflikt mit dem Iran und die Probleme mit Israel bislang auch nicht ansatzweise nicht lösen konnte.

Hohe US-Militärs stellen nun zumindest in Frage, dass der schnelle Abzug von großen Verbänden, der ab dem Mai geplant war, wirklich stattfinden soll. Sie plädieren für eine Verschiebung, um die Sicherheitssituation länger stabilisieren zu können. Man müsse geordnet abziehen, nicht unbedingt nach vorgegebenem Zeitplan, wird moniert. Wenn es nach dem ginge, müssten nun jeden Monat 10.000 Soldaten aus dem Land gehen. Mittlerweile ist es auch so, dass das US-Militär eine befriedende Rolle spielt. Da politisch während der Besatzungszeit nichts gelöst wurde, ist die Perspektive für viele Iraker, auf die fremde Militärmacht verzichten zu müssen, nicht unbedingt erfreulich.

Das Pentagon erklärt, man werde den Abzug weiter wie geplant fortsetzen, nimmt aber schon mal die zwei Monate in Anspruch, die Obama als Spielraum gelassen hat, also Ende September.