Rot-Rot-Grün: "Vorstellbar, aber natürlich unter Bedingungen"

Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Hofreiter zeigt sich offen. Dass er sich aber auch ein schwarz-grünes Bündnis vorstellen kann, sagt einiges über die politische Lage

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Die unbequeme, offene Frage, wie es um die Aufnahme der Flüchtlinge bestellt ist, macht momentan keine Schlagzeilen mehr. Damit verbundene Problemfelder, wie die Polarisierung der Gesellschaft, die im Verfassungsschutzbericht angemahnt wurde (Verfassungsschutzbericht: Mehr Gewaltbereitschaft an den Rändern) ebenso die Leipziger Studie der "enthemmten Mitte", spielen im politischen Tagesgeschäft dann eine Rolle, wenn Ereignisse darauf aufmerksam machen oder die AfD mit Umfrageerfolgen das nächste Rechtsruck -Signal sendet. Das ist gerade nicht der Fall.

Die AfD ist mit einer "existentiellen Krise" (Jörg Meuthen) und internen Machtkämpfen in den Schlagzeilen. Der von vielen Seiten befürchtete Andrang großer Zahlen von Flüchtlingen im Sommer ist bislang ausgeblieben. So nehmen Politiker das beliebte Spekulations-Thema über eine Mehrheit links von der Mitte neu auf, ohne dass sie mit Verbindlichkeiten rechnen müssen. So wie sich gut versorgte Personen eine neue Wohnung anschauen. Muss ja nicht sein, aber man kann ja mal.

An den Vorschlägen, die hierzu in den letzten Tagen geäußert wurden, ist zweierlei ersichtlich: Die Nüchternheit mit der Rot-Rot-Grün, das noch vor nicht allzu langer Zeit als Schreckgespenst behandelt wurde ("Sozialismus!"), nun auf einer taktisch-pragmatischen Ebene als Option besprochen wird. Und zum anderen, damit zusammenhängend, das Ausweichen bei tatsächlich neuralgischen Punkten.

Exemplarisch zu sehen ist das beim Interview von Anton Hofreiter, Co-Fraktionschef der Grünen im Bundestag mit dem Deutschlandfunk

Ich führe Gespräche mit Vertretern der Union und ich führe Gespräche mit Vertretern der Linkspartei, auch mit Vertreterinnen und Vertretern des linken Flügels der Linkspartei, und das wird man dann wie gesagt einfach sehen. Nämlich entscheidend ist ja erst mal das Wahlergebnis.

Je nach Wahlergebnis wäre beides möglich, eine Koalition Schwarz-Grün oder Rot-Rot-Grün, heißt das. Hofreiter präzisiert den pragmatischen Grundsatz mit ein paar Feineinstellungen. Die SPD wäre ihm am liebsten, aber es sieht im Moment mehrheitsmäßig "nicht ganz optimal" aus. Ansonsten wisse er nicht, "wer schwieriger ist, der linke Flügel der Linkspartei oder die CSU".

Mit rechts-konservativ oder mit links von der SPD koalieren - einerlei. Das zeigt einiges an über die Nähe der Parlamentsparteien zueinander. Und das ist, den Stand der Desillusionierung größerer Zielsetzungen anzeigend, Machtpragmatismus pur. Was nichts Schlechtes bedeuten muss, denn es geht ja um Inhalte - und da gibt es aus Sicht früheren Lagerdenken heraus erstaunliche Brücken, wie zum Beispiel der CSU-Mann Gauweiler und die Linke-Frau Wagenknecht seit längerem vorführen. Die inhaltlichen Übereinstimmungen sind entscheidend, nicht die Lagerfahne, ist also die Maxime?

Bezeichnend ist, dass Hofreiter erst nach längeren Optionsausführungen darauf zu sprechen kommt. Wer nach Inhalten sucht, der muss erst durch taktische Prozent-Erwägungen zur möglichen Koalition durch:

Denn die Linkspartei tut ja manchmal so: Sie tritt dann in die Regierung ein, wenn sie 100 Prozent ihrer Vorstellungen durchsetzt, aber da sie halt nicht 51 Prozent kriegen wird, wird sie lernen müssen, dass es klug ist, Kompromisse zu machen, so wie alle Kompromisse machen müssen.

Dann hört er die "klaren Ansagen" zu den entscheidenden Inhalten: "eine andere Landwirtschaftspolitik, wie eine andere Energiepolitik, wie eine andere Mobilitätspolitik, wie ein Mehr an Gerechtigkeit, sowohl bei uns im Land als auch international, wie der Kampf um die offene Gesellschaft und der Kampf gegen Rechtsradikalismus".

Was ein "Mehr an Gerechtigkeit" hieße, wäre interessant zu erfahren. Das taugt aber nicht zur Erörterung. Hofreiter will sich nicht aus dem Fenster lehnen. Nichts über eine andere Steuerpolitik- damit haben die Grünen schon mal einen Wahlkampf verbockt, jetzt trauen sie sich nicht mehr an das Thema der höheren Besteuerung von besser Verdienenden oder besser Gestellten. Überhaupt nichts zum Thema Ungleichheit, weil man dazu keine Ideen hat? Dazu ein Abwiegeln bei der Frage zur Bundespräsidentenwahl, wo Rot-Rot-Grün ja einen konkreten Probelauf starten könnten:

Frage: Eine erste wichtige Etappe zu Rot-Rot-Grün könnte die Bundespräsidentenwahl sein, oder?
Hofreiter: Ich glaube, dass man das so nicht darstellen sollte. Die Bundespräsidentenwahl sollte nicht als allererster Fokus für Parteipolitik gestaltet werden, sondern bei der Bundespräsidentenwahl kommt es darauf an…