Rüffel für Microsoft und Netscape

Lobby-Gruppe von großen US-Web-Designern legt sich mit Browser-Herstellern an

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Das Web Standards Project zielt darauf ab, Microsoft und Netscape dazu zu zwingen, sich an die Design-Standards zu halten, die vom World Wide Web Consortium verabschiedet wurden.

Während Netscape wie wild geworden versucht, sich als eine Mischung aus Medienunternehmen und E-Commerce Web-Portal neu zu erfinden, und während Microsoft sich mit dem US-Justizministerium bekriegt und fortfährt sein Imperium an allen Fronten zu erweitern, so könnte man darüber leicht vergessen, daß der Browser-Krieg immer noch weiter geht.

Die Schätzungen zeigen leichte Abweichungen voneinander, aber alle bestätigen, daß Microsofts Anteil am Browsermarkt sich kontinuierlich dem von Netscape annähert und diesen bald überholen könnte, während sich gerade beide Unternehmen darauf vorbereiten, ihre 5.0 Versionen herauszugeben. Für Journalisten und Investoren stellt sich der Wettbewerb als ein spannendes Pferderennen dar, doch für Web-Designer ist der Browser-Krieg die Hölle.

Jede Site, die von Designern geschaffen wird, muß mit verschiedenen Versionen beider Browser getestet, d.h. angesehen werden, und Designer, die ihren Job sehr ernst nehmen, werden auch sicher gehen, daß die Site auch für alternative Browser funktioniert, wie z.B. Opera und Lynx.

Doch die wirklichen Opfer im Browser-Krieg wurden von den beiden großen Spielern verursacht, die offenbar absichtlich neue Eigenschaften einführen, die nur der eine Browser beherrscht, während die Funktionalität der Site beeinträchtigt wird, wenn sie mit dem anderen Browser aufgerufen wird. Auswege müssen gefunden, an der Site muß herumgezupft werden, bis sie mehr oder weniger gleich aussieht, egal durch welches Fenster sie betrachtet wird.

Eine neue Gruppe von Web-Design-Pionieren von illustrem Hintergrund, mit dicken Auftragsmappen und Regalen voller Preise haben eine Koalition gebildet, das Web Standards Project (WSP), um die Aufmerksamkeit von Microsoft und Netscape zu erlangen und kollektiv auszurufen: "Genug"!

Nachdem Nachrichten über das Projekt einige Tage vor dem offiziellen Start am 10. August durchgesickert waren, waren Microsoft die Ersten von den großen Zwei, die freundliche Fühler in Richtung der Gruppe ausstreckten, und nachdem sich die Botschaft schnell über die Medien verbreitete, beeilte sich auch Netscape mit der Kontaktnahme.

Glenn Davis, von Project Cool und auch Mitglied des WSP Lenkungsausschusses, möchte fortfahren genug Publicity zu erzeugen, um Microsoft und Netscape zum Handeln zu zwingen.

Es geht nicht nur darum, daß die beiden Giganten am Spielplatz die Versuche der Designer frustrieren, universell zugängliche Web-Sites auf dem technischen Höchststand zu schaffen. Folgen wir Davis, so verteuern sich die Entwicklungskosten für eine Web-Site um 25% wegen der Extrazeit, die für die Feinabstimmungen notwendig sind, um Kompatibilität zu erzeugen.

Ein anderes Mitglied des Lenkungsausschusses, Jeffrey Zeldman, der die WSP-Site geschaffen hat, faßt die Ziele der Gruppe zusammen:

"Wir versuchen auf Microsoft und Netscape dahingehend Druck auszuüben, die Standards des World Wide Web Consortiums W3C zu unterstützen, so wie sie es vor einem Jahr ca. behauptet haben. Mit "Standards" meinen wir die W3C-Empfehlungen für HTML, CSS-1, CSS-2, ECMASCRIPT und DOM. Es kümmert uns wenig, wenn Microsoft und Netscape zusätzlich 10 andere proprietäre Technologien entwickeln, oder 50 zusätzliche nicht dem Standard entsprechende Tags. Solange wir einen konsistenten Weg zur Verfügung haben, um HTML, Stylesheets, Scripts und DHTML zu machen - auf eine Art, die in jedem Browser funktionieren wird - , dann kümmert es uns wenig, welche anderen Optionen zu entwickeln sich die Firmen zusätzlich entscheiden."

WSP-Mitglied Lance Arthur meint übereinstimmend, daß "es nicht der Punkt ist, von einer Firma zu verlangen damit aufzuhören, neue Eigenschaften in ihre Browser einzubauen, oder proprietären Code zu benutzen, der im Web-Design einem bestimmten Zweck dient." Denn schließlich sei, "vieles von dem, was wir nun als Standards kennen, von Microsoft und Netscape entwickelt worden. Der Markt beurteilt die Fehler oder Vorzüge vorgeschlagenen Codes, indem er diesen benutzt oder auch nicht, und W3C scheinen geneigt zu sein, darin fortzufahren, diese de facto Standards, die aus dieser Markt-Testmethode entstanden sind, in ihre Empfehlungen zu übernehmen."

Über das Wochenende vor der Eröffnung ermöglichte es die WSP-Site Unterstützern, die von der Voreröffnungspresse aufmerksam gemacht worden waren, sich bei einer Mailinglist einzuschreiben, die von DavisŽs "Project Cool" eingerichtet worden war. Wie es mit diesen weit offenen Listen häufig der Fall ist, geriet der Listenverkehr schnell ausser Kontrolle und Streitgespräche über das Design der WSP-Site, die Ziele und Methoden von WSP brachen aus. Doch Davis zeigte sich von schnellem und entschiedenem Handlungsvermögen und warf die Stunkmacher nach nur einer Vorwarnung raus, so daß die WSP-Mitglieder innerhalb von Stunden wieder die Kontrolle über die Diskussion hatten.

Es war Arthur, der die Aufmerksamkeit der Liste wieder auf die zentralen Punkte und Ziele der Gruppe zurück lenkte:

"Ich denke, auf den Punkt gebracht geht es darum, die Browser-Hersteller dahin zu bewegen, alle gegenwärtigen Standards zu unterstützen, so wie sie ratifiziert wurden. Das heißt, daß, wenn ich mich z.B. entschließe CSS zu benutzen, es überall gleich aussehen wird, daß es arbeiten wird wie angekündigt und daß ich die Freiheit habe, so zu designen wie ich will, ohne all die Einschränkungen, die entstehen, wenn Standards nicht eingehalten werden."

Nachdem die WSP-Ziele in solch persönlichen Begriffen beschrieben worden waren, hatte die Liste wieder zu sich selbst gefunden. Nun, mit der Unterstützung von Opera Software und einem Haufen an positiver Presse, hat WSP eine gewisse Schubkraft hinter sich, gerade wenn sie im Begriff sind, sich in Gespräche mit Microsoft und Netscape darüber zu begeben, was diese nun konkret unternehmen können und tun werden, um die Unordnung zu beseitigen, die sie geschaffen haben.

Web Standards Project

Browser Fast Food, über die Portal-Strategien von Netscape und Microsoft.