Rüstungsindustrie: Nato-Versprechen an Ukraine entpuppen sich als Luftschlösser
Die NATO bekräftigt Unterstützung für die Ukraine. Doch Probleme in der Rüstungsindustrie bremsen. Kann das Bündnis seine Versprechen einhalten?
Der Nato-Gipfel in Washington wird von großen Worten der Solidarität mit der Ukraine und großen Versprechungen begleitet. Etwas anderes hätte man zum 75-jährigen Bestehen des Militärbündnisses wohl auch nicht erwartet. Das kann aber nicht über die strukturellen Probleme hinwegtäuschen, die mit dem Krieg in der Ukraine deutlich geworden sind.
Stoltenberg kündigt Stärkung der Rüstungsindustrie an
Schon vor dem offiziellen Beginn des Gipfels hatte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg angekündigt, die Rüstungsindustrie stärken zu wollen. Es solle mehr investiert, die Produktion ausgebaut und die transatlantische Zusammenarbeit verbessert werden.
Dass dies zwei Jahre nach Beginn des Krieges in der Ukraine nicht geschehen ist, weist deutlich auf bestehende Probleme hin, die wohl auch nicht so schnell gelöst werden können. Schließlich kommentiert das Wall Street Journal (WSJ): Es bleibt abzuwarten, ob den Ankündigungen nun auch Verträge und Produktionssteigerungen folgen.
Bürokratie und fehlende Kapazitäten bremsen Waffenproduktion
Auch wenn Verträge abgeschlossen werden, kann der Mangel an Waffen für die Ukraine nicht schnell behoben werden. Die Bürokratie etwa behindere die Produktion, heißt es im WSJ. Zwar hatten die USA ein neues Hilfspaket für die Ukraine auf den Weg gebracht, aber der Großteil der Gelder (45 Milliarden US-Dollar) seien bislang nicht verplant.
Der Industrie fehlen momentan aber auch noch die Kapazitäten, wie das Beispiel der Panzerabwehrrakete Javelin verdeutlicht. Sie wurden zu Beginn des Krieges in großen Mengen in die Ukraine geliefert, bis die Lager fast leer waren.
Die Regierung in Washington hatte gehofft, die Javelin-Produktion schnell wieder hochfahren zu können. Mit Problemen in der Lieferkette hatte man offenbar nicht gerechnet – aber es fehlte auch an ausgebildeten Fachkräften. Die Verdoppelung der Produktion wird jetzt voraussichtlich vier Jahre dauern – mehr als doppelt so lange wie ursprünglich geplant.
Artilleriegranaten: Produktion deckt Bedarf nicht
Ein ähnliches Bild ergibt sich für die Produktion von Artilleriegranaten des Kalibers 155 mm. Zu Beginn des Krieges produzierten die USA weniger als 15.000 Stück pro Monat. Bis heute ist die Produktion auf 30.000 Stück pro Monat gestiegen. Möglicherweise kann die Produktion bis zum Ende des Sommers noch einmal verdoppelt werden. Dies dürfte jedoch kaum ausreichen, da die Ukraine derzeit einen monatlichen Bedarf von 200.000 Stück hat.
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Auch Grundstoffe wie Nitrozellulose, Schwarzpulver und TNT sind knapp – und ihre Produktion wieder hochzufahren, wird ebenfalls Zeit benötigen. Nach dem Ende des Kalten Krieges hat das US-Militär viele Anlagen verkauft, weil es nicht mehr mit einem großen Landkrieg rechnet. Entsprechend verfügt das Land in diesen Bereichen kaum noch über eigene Kapazitäten. Infrastruktur muss erst renoviert, Anlagen müssen neu aufgebaut und Beschäftigte angelernt werden.
Nato-Militärdoktrin: "Klasse statt Masse" als Hindernis
Ein Problem ist die Nato-Militärdoktrin selbst, die wenig Anreize für die Industrie bietet, mehr Waffen zu produzieren, die an die Ukraine geliefert werden könnten. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion glaubt man nicht mehr, es mit einem ebenbürtigen Gegner zu tun zu haben. Klasse statt Masse" lautete die neue Devise; gezielte Schläge mit hochpräziser Munition sollten auch einen Gegner mit großen Armeen lahmlegen.
Die Nato hatte in dieser Hinsicht keine Erfahrungen mit einem ebenbürtigen Gegner gesammelt und war daher auch 2022 davon überzeugt, Russland mit teurer, aber hochpräziser Munition schnell in die Knie zwingen zu können. Himars-Raketenwerfer und Excalibur-Artilleriegeschosse waren damals nur zwei der Trumpfkarten, die ins Spiel gebracht wurden.
Doch es dauerte nicht lange, bis die Russen zurückschlugen. Im Bereich der elektronischen Kampfführung verfügen sie über beachtliche Fähigkeiten, die im Westen offenbar unterschätzt wurden. Es gelang ihnen, GPS-Lenkung und Zünder zu stören. Die Zielgenauigkeit westlicher Waffen nahm deutlich ab, oft explodierten sie gar nicht. So wird Excalibur-Munition heute von der ukrainischen Armee nicht mehr eingesetzt.
Moderne Nato-Waffen: Zurückhaltung bei Lieferungen an die Ukraine
Die Nato verfügt zwar über modernere Waffen, teilt diese aber bislang nicht mit der Ukraine. Man wolle nicht, dass Russland – und damit auch China – wirksame Gegenmaßnahmen entwickeln könne, erklärten Militärs gegenüber dem WSJ. Denn sollte es zu einem großen Krieg kommen, wollen die Nato-Staaten auf dem Schlachtfeld einen Vorteil haben.
Dementsprechend sind viele der Waffen, die Kiew zur Verfügung gestellt werden, ältere Systeme, die vom US-Militär ausgemustert wurden. Washington ersetzt sie in der eigenen Armee durch modernere Waffen. Und das schafft für die Hersteller kaum Anreize, die Produktion der alten Waffensysteme wieder aufzunehmen.