Rundfunkbeitrag vor dem Aus? Experte sieht Spielraum für drastische Reformen
Öffentlich-rechtlicher Rundfunk wird umgebaut. Länder planen Kürzungen bei Hörfunk und TV. Warum sogar die komplette Auflösung von ARD oder ZDF denkbar wäre.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) soll mal wieder reformiert werden. Die dafür zuständigen 14 Ministerpräsidenten und zwei Ministerpräsidentinnen haben sich Ende Oktober auf einen Reformstaatsvertrag verständigt.
Denn weil Medienrecht Sache der einzelnen Bundesländer ist, braucht es für länderübergreifende Regelungen Vereinbarungen zwischen den betroffenen Ländern. Angelegenheiten der ARD, des ZDF und des Deutschlandradios müssen daher bundesweit abgestimmt werden. Bundesregierung und Bundestag haben darauf keinen Einfluss.
Über die neuerlichen Reformvorhaben sprach der FAZ-Journalist Stephan Klenner im Podcast "Einspruch" mit dem Leipziger Professor für Medienrecht Hubertus Gersdorf, der einige in der öffentlichen Debatte wenig präsente Grundlagen und politische Gestaltungsspielräume beleuchtete.
Journalist Klenner, der über Schülergrundrechte promoviert hat, wollte zunächst wissen, ob die vorgesehene Reduktion von Hörfunksendern und der Wegfall oder die Zusammenlegung von Spartenkanälen im Fernsehen mit dem Grundgesetz vereinbar sei.
Dies bejaht Hubertus Gersdorf eindeutig – es sei gar kein Problem. Über den Umfang der Angebote im linearen Programm wie auch bei den Telemedienangebote des ÖRR könne der Gesetzgeber – hier also die Landesparlamente – prinzipiell frei entscheiden.
Kurz zuvor hatte sich bereits der ARD-Vorsitzende und SWR-Intendant Kai Gniffke im Deutschlandfunk so geäußert. Während sein Interviewer Sebastian Wellendorf Teile des Reformvorhabens als für den ÖRR "desaströs" bezeichnete und auch rechtliche Bedenken anmeldete, bekannte Gniffke, dass es die Länder seien, die dem ÖRR seinen Auftrag erteilen. Die ARD-Anstalten hätten sich danach zu richten.
Gersdorf wird im FAZ-Podcast noch deutlicher:
Wir haben uns an ein sehr, sehr üppiges öffentlich-rechtliches Rundfunk- und mittlerweile auch Telemedien-System gewöhnt, aber all das ist verfassungsrechtlich nicht zementiert.
Hubertus Gersdorf, FAZ-Einspruch
In Artikel 5 des Grundgesetzes sei nur die Rundfunkfreiheit allgemein benannt, nicht explizit der ÖRR. Für dessen verfassungsrechtliche Fundierung haben vor allem Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gesorgt.
Man könnte ganz radikal die Frage stellen, ob beispielsweise das ZDF oder auch das Erste Deutsche Fernsehen aufgelöst wird und nur noch eine Säule des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Zukunft die sogenannte Grundversorgung übernimmt.
Hubertus Gersdorf
Das Bundesverfassungsgericht habe in keinem Urteil gesagt, das System müsse so bleiben, wie es sich in den vergangenen Jahrzehnten herausgebildet hat. "Es ist nur ein ausgewogenes Angebot erforderlich", was vor allem Meinungspluralismus verlange.
Zum seit vielen Jahren strittigen Thema der "Presseähnlichkeit", die der ÖRR nicht haben soll, um den privatwirtschaftlichen Verlagen keine Konkurrenz zu machen, erläutert Gersdorf, Textangebote seien grundsätzlich gar kein Rundfunk. Dies habe das Verfassungsgericht, allerdings ohne Begründung, festgestellt.
Wer verlangt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch in den Textbereich hineinstößt im Internet, verlangt, dass die Pressefreiheit, also das Grundrecht der Pressefreiheit, auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geöffnet wird. Eine solche verfassungsrechtliche Verpflichtung gibt es überhaupt nicht.
Hubertus Gersdorf
ÖRR-Anstalten wären dann nicht nur Rundfunk-, sondern zugleich auch Presseunternehmen. Texte allerdings, die sich unmittelbar auf Rundfunksendungen beziehen, fallen laut Gersdorf unter die Rundfunkfreiheit – und sind in ihrer Zulässigkeit auch bisher unbestritten. Zu weitergehenden Textangeboten gebe es hingegen "jede Woche mehrere Verfahren" vor den Landgerichten.
ÖRR-Vertreter argumentieren, in aktuellen Lagen müssten die Sender dann erst einen Radio- oder Fernsehbeitrag produzieren, bevor sie textlich berichten dürfen. Allerdings sieht die Reform bisher vor, dass kurze Social-Media-Beiträge nicht vom Verbot der Presseähnlichkeit erfasst sind.
Mehr Kompetenz für Landesmedienanstalten
Um Streitigkeiten zwischen Sendern und Verlagen schneller und wenigstens einstweilig zu klären, schlägt Gersdorf vor, die Landesmedienanstalten mit einer Prüfkompetenz auszustatten. Diese sind bisher nur für den privaten Rundfunk zuständig, könnten seiner Ansicht nach aber auch den ÖRR kontrollieren.
Im Hinblick auf die bisher nicht entschiedene Frage einer Beitragserhöhung meint Gersdorf, das Bundesverfassungsgericht würde dieser wohl erneut zustimmen. Die entsprechende Empfehlung der unabhängigen Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) ist zwar nicht unmittelbar rechtsverbindlich, doch die Länder müssten eine Abweichung davon sachlich begründen.
An diesem Punkt zeigt sich eine Lücke in den bisherigen Reformüberlegungen. Denn die Ministerpräsidenten haben mögliche Einsparungen durch Streichungen, Zusammenlegungen und Kooperationen nicht auf ihre finanzielle Auswirkung hin berechnet.
Sollten sich deutliche Einsparungen ergeben, wäre eine Verweigerung der Beitragserhöhung oder sogar eine Absenkung zu begründen. Ausgehend vom Finanzbedarf, den die Anstalten bisher angemeldet haben, dürfte das hingegen schwierig sein.
Einen Hinweis auf die angespannte wirtschaftliche Lage, die den Beitragszahlern keine Erhöhung zumuten lässt, hält Gersdorf nicht für tragfähig. Zunächst müsse der Auftrag des ÖRR verändert werden.
Zur Idee, künftige Beitragssteigerungen an die allgemeine Preisentwicklung zu koppeln (sog. "Indexierung") und dann schnell als Verordnung umzusetzen, meint Gersdorf, dies bringe nur einen Vorteil, wenn die Länder vom bisherigen Einstimmigkeitsprinzip auf einen Mehrheitsentscheid wechseln würden.
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Dann würde es genügen, wenn ein festgelegtes Quorum der Bundesländer zustimmte. Allerdings verlange die Länderautonomie im Medienrecht, dass eine solche Vereinbarung auch wieder aufgekündigt werden könne. Mit einem Wechsel zum Mehrheitsentscheid wären die Länder also nicht auf ewig gebunden.
Auf mögliche Sparpotentiale im ÖRR hat der emeritierte Publizistik-Professor Hans Mathias Kepplinger in einem Interview verwiesen: Seiner Ansicht nach müssten die wertvollen Liegenschaften für die Allgemeinheit nutzbar gemacht werden. Die Sender des ÖRR hätten üppige Gebäude und viel Fläche drumherum. Da könne man enger zusammenrücken und Bauland etwa für Wohnungen erschließen.
Bei den Personalkosten sei nicht nur auf die hohen Gehälter der Intendanten zu schauen, sondern auf alle Führungspositionen, die in der Summe relevanter seien.