Russische Medien sprechen von "Krimkrieg 2.0"

Verirrt dürfte sich die Royal Navy nicht haben: die Radarstation der "HMS Defender". Foto: Dirtsc / CC BY-SA 3.0

Regierungs- und oppositionsnahe Pressestimmen sind sich weitgehend einig, dass die britische Royal Navy vor der Halbinsel absichtlich provozieren wollte

Im Konflikt um den britischen Zerstörer, auf den die russische Marine nach dessen Eindringen in Gewässer um die Halbinsel Krim Warnschüsse abgegeben hatte, folgt die russische Presse weitgehend der Darstellung der eigenen Offiziellen. Sie erkennt praktisch durchgehend auf britischer Seite eine absichtliche Provokation mit geopolitischen Motiven.

Russische Videos und britische Dementis

Das vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB vorgelegte Video- und Tonmaterial, das belegen soll, dass das britische Kriegsschiff eigenmächtig in die Hoheitsgewässer der Krim eingedrungen ist, genießt im eigenen Land hohe Glaubwürdigkeit. Es wird auch in oppositionsnahen Medien veröffentlicht und dokumentiert erfolglose Warnungen an die Briten ebenso wie die anschließend absichtlich vor das Schiff der Royal Navy gesetzten Schüsse. Das Material deckt sich mit recht genauen Schilderungen des Vorfalls durch das russische Verteidigungsministerium.

Die britische Aussage, man sei in ukrainischen Gewässern unterwegs gewesen, unterstützt in ihrer Formulierung fast noch diese russische Version - immerhin ist die Krim nach britischer Lesart noch Teil der Ukraine. Trotz dieser unterschiedlichen Sichtweisen war klar, dass das Eindringen von Kriegsschiffen anderer Staaten in die Gewässer der Krim von Russland nicht toleriert werden würde. Später sprachen umfangreichere Stellungnahmen der Briten von einer reinen Durchquerung des Schwarzen Meeres in einem international anerkannten Transportkorridor - eine Darstellung, die zumindest in Russland nur wenige Journalisten und Experten auch abseits der Staatsmedien glauben.

Vergleich mit dem Krimkrieg gegen Großbritannien

Die russische Zeitung Kommersant spricht unter der Überschrift "Krimkrieg 2.0" vom Ausbau der Nato-Präsenz als einer Ursache der aktuellen Konfrontation und bezeichnet den britischen Zerstörer "HMS Defender" als Hauptverursacher des Vorfalls. Im Krimkrieg Mitte des 19 Jahrhunderts hatte das zaristische Russland auf der Halbinsel eine Abwehrschlacht gegen britische und französische Invasoren geführt. So zeigt die Formulierung sehr deutlich, welches Bild in der russischen Presse vorherrscht.

Das britische Kriegsschiff hatte zuvor an gemeinsamen Manövern mit der Ukraine teilgenommen und fuhr nach dem Vorfall weiter nach Georgien, war also unterwegs zwischen den beiden regionalen Hauptverbündeten des Westens im Konflikt mit Russland. Eine Quelle in den russischen Seestreitkräften bestätigte Kommersant, dass der britische Zerstörer bereits seit dem 14. Juni unter Beobachtung der russischen Marine stand. In dieser Region ist auch laut der Moskauer Nesawisimaja Gaseta reichlich gegenseitiges misstrauisches Beobachten üblich. Seit dem Beginn der Krise in der Ostukraine seien ständig US- und Nato-Schiffe in der Region präsent.

"Demonstration der Überlegenheit"

Die Einschätzung russischer Fachleute zur britischen Aktion ist sehr einhellig. Professor Wadim Kosulin von der Akademie der Militärwissenschaften sieht die Aktion als eindeutig geplante Provokation. Auch die liberale Nowaja Gaseta glaubt nicht, dass ein Kriegsschiff ohne direktes Kommando von oben eine solche Situation selbst verantwortet. "In der nahen Zukunft werden es die Vereinigten Staaten und Großbritannien nicht aufgeben, sowohl der Regierung Putin ihre Überlegenheit an den Küsten zu demonstrieren als auch ihr Recht, dorthin zu fahren, wo sie es für notwendig halten" glaubt die oppositionelle Zeitung.

Der Militärexperte Wassili Kachin hält das britische Verhalten für eine Reaktion auf eine zuvor verhängte Sperre von zur Krim gehörigen Schwarzmeerregionen für ausländische Schiffe. Die Briten wollten nach seiner Meinung mit der Aktion demonstrieren, dass sie die russische Oberhoheit über die Krim, die Grundlage dieser Anordnung war, nicht anerkennen. Sein Kollege Ruslan Puchow hält die britische Aktion für einen Versuch der Stärkung des britischen Ansehens beim ukrainischen Verbündeten.

Das Misstrauen gegenüber Großbritannien ist groß

Dass bei allen russischen Reaktionen auf den Vorfall starkes Misstrauen überwiegt, liegt auch am allgemeinen Eindruck, den die britische Osteuropapolitik vor Ort vermittelt. Bei Umfragen unter den Russen rangiert das Land in Sachen feindselige Außenwirkung sowohl beim regierungsnahen Institut FOM als auch beim oppositionsnahen Lewada-Zentrum gleich auf Platz drei hinter den USA und der Ukraine.

Im Kürze beginn im nordwestlichen Schwarzen Meer die Marineübung Sea Breeze 2021, mit der die Nato ihre Unterstützung für Kiew demonstrieren will. An der Übung werden 4.000 Soldaten, 40 Kriegsschiffe, 30 Luftfahrzeuge und gepanzerte Bodeneinheiten beteiligt sein. Offiziell ist dabei nicht von einer Eindämmung Russlands die Rede, doch der eigentliche Adressat der Botschaft ist klar. Eine genaue Beobachtung des Manövers wurde bereits vom Russischen Verteidigungsministerium angekündigt.

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