Russlands Rechtsextreme: Wird der Westen Putin noch vermissen?

Nicht nur unter den Wagner-Söldnern sind stramme Neonazis. Foto: 2s3m akatsiya / CC-BY-SA-4.0

Unberechenbare Überzeugungstäter: Wie sich das russische Establishment mit der rechten Szene arrangierte – und welche Gefahren darin liegen.

Wie stark und gefährlich sind russische Rechtsextreme? Können sie der Herrschaft des Kreml, etwa bei einem ungünstigen weiteren Kriegsverlauf, gefährlich werden? Oder handelt es sich bei der Regierung von Putin selbst bereits um ein "faschistisches" Regime, wie es viele westliche Journalisten und Experten, aber auch einige liberale Russen glauben?

All diese Fragen lassen sich nur beantworten, wenn man die jüngere Geschichte der rechten und rechtsextremen Szene vor Ort genauer in den Fokus nimmt.

In den frühen Putin-Jahren waren Rechte Opposition

Noch nach zehn Jahren Regierungszeit von Wladimir Putin waren die Grenzen zwischen dem Establishment und der rechten Szene im Land klar umrissen. Es war die Zeit der großen Russischen Märsche, bei denen bis in die frühen 2010er-Jahre ein Sammelsurium von Neonazis, Monarchisten, Ultraorthodoxen, Eurasiern und anderen Rechten durch die Straßen von Metropolen zog, "Russland den Russen" skandierte und Putins Machtbasis "Einiges Russland" als "Partei der Gauner und Diebe" bezeichnete.

Auch die Politik der konservativen Establishment-Partei war im ersten Jahrzehnt von Putins Herrschaft eine andere als heute. Demokratisches Bewusstsein war bei russischen Konservativen zwar nie verankert, aber man versuchte, sich ein gemäßigt-konservatives Image zu geben und mit westlichen Konservativen zu kooperieren.

Wladislaw Below, Deutschlandexperte der Russischen Akademie der Wissenschaften, wurde von den Mächtigen sogar beauftragt, mit der CDU als "Gegenstück" in der deutschen Politik ein Partnerschaftsabkommen auszuhandeln.

Dieses kam nach seiner Auskunft im Politmagazin Russland.direct auch tatsächlich zustande, ein CDU-Bundestagsabgeordneter brachte einem Parteitag von "Einiges Russland" persönlich die Grüße von Angela Merkel. Die Junge Union unterhielt nach russischer Auskunft 2010 eine Kooperation mit dem Nachwuchs der Putin-Partei.

Natürlich war "Einiges Russland" immer eine Partei der Macht und ihr Streben darauf ausgerichtet, der herrschenden Kaste der russischen Gesellschaft ihre Pfründe dauerhaft zu sichern. Das unterscheidet sie aber nicht von anderen Konservativen. Die oberste Maxime der ersten Jahre war in Russland zur Erreichung dieses Ziels die Schaffung von Stabilität.

Dieser Wunsch passte sehr gut zu den Bedürfnissen der durch die chaotischen 1990er-Jahre gebeutelten russischen Bevölkerung, die sich verständlicherweise nach Ruhe und Wohlstand sehnte. Man nahm die Selbstbedienung in vielen Chefetagen in Kauf, wenn sich dadurch auch das eigene Leben verbesserte.

Vom gemäßigten Konservativen zum Weg in die Vergangenheit

Die Abkehr der russischen Regierung vom "gemäßigten" Konservativismus in Kooperation mit westlichen Partnern erfolgte dann ab Beginn der 2010er-Jahre und ging Schritt für Schritt vonstatten. Gründe waren die Enttäuschung über die westliche Politik, die Nato-Osterweiterung und das Gefühl, nicht als gleichberechtigter Partner behandelt, sondern von einem Hegemon übervorteilt zu werden.

Eine weitere Ursache war die Rückbesinnung auf russische politische Traditionen, die im konservativen Bereich nicht demokratisch sind. Sie beinhalten etwa ein positives Bild von Monarchie und Imperialismus, da sie aus dem frühen 20. Jahrhundert und der Zeit davor stammen, der späten Zarenzeit und aus ihr entstandenen "weißen Bewegung".

Die Konzentration der herrschenden Politik auf die Vergangenheit als Ideal wurde in Russlands Macht ab Beginn der 2010er-Jahre immer stärker. Irgendwann überschritt man dabei die Grenzen eines konservativen Bewahrens und bewegte sich eher auf einem reaktionären Weg zurück zu Werten und Gesellschaftsbildern früherer Jahrhunderte.

Auch Putin selbst war für den sturen Blick nach hinten empfänglich. Der russische Innenpolitikexperte Andrej Kolesnikow drückt es in einer Analyse so aus, "dass Putins Ideologie eine Ideologie der Vergangenheit ist, keine Ideologie der Zukunft".

Die immer stärkere Auseinandersetzungen mit dem Westen führten dazu, dass es Putin, wie es Kolesnikow nennt, zunehmend gelang, "einem erheblichen Teil der russischen Bevölkerung den Glauben an die Notwendigkeit einer Rückkehr zur Großmacht zu verkaufen", einhergehend mit einer Feindschaft zum "liberalen" Westen und einer "verräterischen" fünften Kolonne im eigenen Land.

Dass auch im Westen eine starke rechte Bewegung – man denke nur an Donald Trump und Viktor Orban – Einfluss ausübte, wurde in dieser Ideologie ausgeblendet. Obwohl man sich nun gerade bei Demokratiefeinden im Westen wie der deutschen AfD neue Partner suchte.

Teile der Rechten versöhnen sich mit dem Establishment

Die nun immer stärker von oben postulierten Vorstellungen von einem aggressiven russischen Nationalismus, der Idee eines "russischen Sonderwegs" seit Jahrhunderten, einer "spirituellen Überlegenheit" der russischen Nation gegenüber dem Westen sprachen zunehmend Menschen an, die noch zu Beginn des Jahrzehnts von rechter Seite gegen das Establishment demonstriert hatten. Die rechte Szene in Russland begann sich zu spalten.

Ultrakonservative, orthodoxe und eurasische Gruppen fühlten sich vom allmählichen Ideologiewandel ihrer Führung angezogen. Sie feierten die Rückeroberung der Krim und unterstützen aktiv den russischen Einmarsch in die Ukraine.

Auch der russisch-orthodoxen Kirche gefiel die zunehmend reaktionäre Denkweise von Russlands Mächtigen, so dass sie der bekannte russische Journalist Andrey Pertsev inzwischen als "Abteilung für die Arbeit mit Gläubigen" der russischen Regierung bezeichnet.

Die Ideologie der nun in Richtung zum rechten Rand gewanderten russischen Regierung unterscheidet sich jedoch von der offener Neonazis westlicher Prägung. "Im bewaffneten, russischen imperialen Nationalismus sind nicht die Menschen oder ihre ethnische und religiöse Zugehörigkeit das wichtigste, sondern Territorien und Grenzen", stellt dazu Nikolai Mitrokhin, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungszentrum Osteuropa der Uni Bremen, fest.

Entscheidend sei bei diesem russischen Nationalismus die Loyalität gegenüber dem Staat und der "russischen Kultur" im weitesten Sinne. Diese Ideologie schließt auch andere Völker und Religionen ein, sofern sie bereit sind, sich in die "russische Welt einzugliedern".

Egal ob es sich um "prorussische" Ukrainer oder islamische Kaukasier handelt. Kritische Worte gegen den Islam suchen deshalb rechtsextreme Putin-Fans in Mitteleuropa bis heute in den Worten ihres Idols vergebens, positive gibt es genug.

Den russischen Nationalisten dieser Prägung ist klar, dass sie für ihre imperialen Träume Angehörige anderer Völker als Partner brauchen. So pflegen sie ein gutes Verhältnis etwa zu Osseten und Abchasen, die sich aus dem georgischen Staatenverband befreien wollen und dafür russische Hilfe benötigen.

"Ethnische Minderheiten, die an der Peripherie des Reiches lebten und von diesem Schutz vor stärkeren Nachbarn erhielten, spielten eine bedeutende Rolle bei der Unterstützung der russischen Zarenideologie" glaubt Mitrokhin.

Das bedeutet jedoch nicht, dass der imperiale Nationalismus auf irgendeine Art und Weise gemäßigt wäre. Ideologischer und paramilitärischer Unterricht an Schulen und Universitäten sind nun ebenso Teil der russischen Welt, wie aggressive Drohungen gegenüber Nachbarstaaten, Inhaftierungen von Oppositionellen, Zensur der Presse oder ein staatstragender Massenverband für die Jugend. Versatzstücke einer rechtsextremen Gesellschaft, die auch in eine ultrakonservative Ideologie passen, sind existent oder entstehen gerade. Andere Völker sind nur dann Partner, wenn sie sich in die "russische Welt" einfügen.

Wo heutige rechtsextreme Putin-Gegner herkommen

Nicht die gesamte rechtsradikale Szene lief jedoch mit wehenden Fahnen ins Regierungslager über. Nicht angesprochen vom imperialen Nationalismus fühlten sich die Teile der russischen Rechtsextremen, für die die Überlegenheit der slawischen Rasse und offener Rassismus das beherrschende Element ihrer politischen Einstellung sind – und nicht das russische Imperium.

Diese Neonazis waren es, in deren Augen Putin immer noch "postsowjetische Traditionen" pflegte und die in ihrer Gegnerschaft zum System teilweise so weit gingen, dass sie sich schon ab 2014 dem ukrainischen Gegner und dessen Nazimilizen wie "Asow" anschlossen, den "slawischen Brüdern" im Geiste. Sie waren die Keimzelle des sogenannten "Russischen Freiwilligenkorps", das aktuell auf ukrainischer Seite gegen die russische Invasion kämpft – auch mit Überfällen auf das russische Mutterland.

Ideologisch sehen sie sich in der Tradition der "weißen Bewegung" in Russland, die im russischen Bürgerkrieg nach dem Ersten Weltkrieg die Bolschewiki bekämpfte. Auch deren Symbolik wird verwendet. Doch dieselbe Tradition nutzen auch regierungstreue Rechte, wie etwa der Ultranationalist und Blogger Igor Girkin, der schon seit 2014 wiederum auf russischer Seite gegen die Ukraine kämpfte und nun wegen Extremismus-Vorwürfen in Moskau verhaftet wurde.

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