Vertane Chancen: Wollte Putin von Anfang an Krieg?

Wladimir Putin (rechts) 2001 mit dem damaligen deutschen Kanzler Gerhard Schröder (SPD). Bild: Presidential Press and Information Office / CC BY 4.0

Im Jahr 2001 bekam Russlands Präsident Applaus im Deutschen Bundestag: Die Welt sei nicht mehr in zwei feindliche Lager geteilt. Wie es zu Entfremdung und Radikalisierung kam. (Teil 2)

Eine Kette von amerikanischen Entscheidungen Mitte der Neunziger bis Ende der Nuller Jahre war davon geprägt, die eigene Vorherrschaft nicht angetastet sehen zu wollen, kein Interesse an einer vernünftigen, ausgleichenden, kooperativen Sicherheitspolitik gegenüber Russland zu entwickeln und zugleich die deutschen Interessen an einer vernünftigen ökonomischen und politischen Kooperation zu behindern.

Zwar hatte man den Nato-Russland-Rat eingerichtet, und er hatte für einen gewissen Zeitraum durchaus seine Bedeutung. Er hat etwa zehn Jahre funktioniert, aber es zeigte sich auch innerhalb dieses Zeitraums, wie begrenzt das Interesse der Vereinigten Staaten an einer vernünftigen Kooperation mit Russland war.

Schon vor dem Kosovo-Krieg 1999 hätte es Alternativen zu diesem Krieg gegeben. Das Abkommen zwischen Milosevic und Holbrooke vom Oktober 1998 wurde de facto nicht umgesetzt. Es war eine riesige Chance, für ein Gebiet halb so groß wie Hessen, bis zu 2000 Beobachter einzusetzen; praktisch in jedem Dorf und sie mit einem angemessenen Mandat auszustatten. (Vergleiche Funke/Rhotert: Unter un- seren Augen. Berlin 1999)

Aber die US-Administration, insbesondere Madeleine Albright, die damalige Außen- ministerin unter Bill Clinton, war zum Krieg entschieden. Wie sehr die Vereinigten Staaten entschieden waren, zeigt eine Beobachtung der am 15. März 2023 gestorbenen Antje Vollmer (Antje Vollmer: Mein politisches Vorbild, in Peter Brandt und andere: "... aber eine Chance haben wir." Zum 100. Geburtstag von Egon Bahr, Berlin 2022): "Einmal kurz vor Ausbruch des Kosovo Krieges wollte ich seiner (Egon Bahrs) Methode folgen.

Ich bat Achim Schmillen, Joschka Fischers politischen Berater, um ein kurzes Gespräch. Ich schlug vor, Egon Bahr im Auftrag der neuen rot-grünen Regierung nach Moskau zu schicken. Nur von Moskaus erschien es mir möglich, so viel Einfluss auf den befreundeten serbischen Präsidenten auszuüben, dass er einem friedlichen politischen Kompromiss zustimmen würde.

Zugleich hätte das der verunsicherten Russischen Föderation die Chance geboten, wieder einmal konstruktiv an der Lösung eines geopolitischen Konflikts teilzuhaben. Die Antwort kam bald: "Wir brauchen die alten Geheimkanäle nicht mehr, wir haben unsere eigenen", sagte Joschka Fischer. "Glaub mir, ich habe Milosevic in die Augen gesehen und das nackte Böse darin gesehen." Das war meine erste Begegnung mit dem Denkmodell der "Achse des Bösen", die der siegreiche Westen ab dieser Zeit zu bekämpfen begann."

Kurz danach kam es zur Entscheidung zu einem Krieg gegen Milosevic. Die deut- sche Regierung unter Schröder und Fischer wurde nach Washington bestellt, um ihnen das Mittun an dieser Kriegsentscheidung abzuringen; man war folgsam.

"Die Krise eskalierte zum Nato-Krieg – ohne UN Mandat." (Ebd) Durch Einfluss deutscher Generäle und deren gute Kontakte zu russischen Seite ge- lang es 1999 doch noch, Russland an einer Stationierung von Truppen mit russischen Bataillonen zu beteiligen. Darüber gab es Streit, die amerikanische Außenministerin, eine besondere Hardlinerin, war dagegen, es kann dann doch zum Einsatz von russischen Bataillonen im sogenannten deutschen Sektor im Kosovo.

Begeisterung für Putin im Bundestag

Das Jahr 2001 war von besonderer Bedeutung: Der damals neue Präsident Russlands hat unter großer Begeisterung aller Fraktionen im Deutschen Bundestag auf Deutsch von dem Sinn einer kooperativen freundschaftlichen Epoche gesprochen – ohne dass dem auch entsprechende konkrete Schritte gefolgt wären. Das Wortprotokoll der Putin-Rede vom 25. September 2001 ist nach wie vor auf der Internetseite des Bundestags abrufbar.

Tatsächlich lebte die Welt im Laufe vieler Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts unter den Bedingungen der Konfrontation zweier Systeme, welche die ganze Menschheit mehrmals fast vernichtet hätte. Das war so furchterregend und wir haben uns so daran gewöhnt, in diesem Count-Down-System zu leben, dass wir die heutigen Veränderungen in der Welt immer noch nicht verstehen können, als ob wir nicht bemerken würden, dass die Welt nicht mehr in zwei feindliche Lager geteilt ist. Die Welt ist sehr viel komplizierter geworden.


Wladimir Putin am 25. September 2001 in einer Gastrede im Deutschen Bundestag

Die nächste Herausforderung für die russische Seite bestand 2002 in der Aufkündigung des ABM-Vertrags durch die US-Administration. Der ABM-Vertrag zur Kontrolle der Raketenabwehrsysteme wurde einseitig gekündigt.

2002 Nato-Russland-Rat

In der ARD hieß es damals: Die Kooperation "wird noch enger, als beide Seiten Anfang der 2000er-Jahre den islamistischen Terrorismus als immer stärkere gemeinsame Bedrohung wahrnehmen. Nach den Terroranschlägen von 11. September 2001 geht die Nato deshalb einen weiteren Schritt auf Russland zu und vereinbart die Gründung eines Nato-Russland-Rates. Russland solle bei Entscheidungen auf Augenhöhe eingebunden werden.

Großer außenpolitischer Erfolg für Präsident Wladimir Putin. Am 28. Mai 2002 wird der Vertrag in Rom unterzeichnet. Für Russlands Präsident Wladimir Putin, der erst zwei Jahre im Amt ist, ein großer außenpolitischer Erfolg. Viele andere Beteiligte äußern die Ansicht, dass damit der Kalte Krieg offiziell besiegelt sei. Sogar über eine künftige EU- oder gar Nato-Mitgliedschaft Russlands wird in diesen Tagen gelegentlich spekuliert." (ARD/SWR, 28.5.2002) Irakkrieg.