SF-Ritterschlag für "Nature"

Auf der diesjährigen World Science Fiction Convention (WorldCon) erhielt das renommierte Wissenschaftsmagazin "Nature" den "Best Publisher 2005 Award"

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Die wöchentlich erscheinende britische Wissenschaftspublikation Nature ist neben ihrem US-Konkurrenten "Science" das weltweit führende Magazin, in dem ausgewählte Wissenschaftler aus fast allen Disziplinen über ihre aktuellen Studienprojekte und Forschungsergebnisse schreiben. Beide eher konservativ ausgerichteten Blätter gelten nicht gerade als experimentierfreudig. Umso erwähnenswerter ist es, dass "Nature" dank eines alten und kürzlich wieder belebten Experiments nunmehr einen der bedeutendsten Science-Fiction-Preise einheimsen konnte, den ein Verlag erhalten kann. Über den Ritterschlag aus dem SF-Genre berichtet "Nature" (Volume 437, Number 7055) in seiner heute erscheinenden Ausgabe allerdings nur am Rande.

Science-Fiction (SF) - beinahe hat es den Anschein, als zielte dieses aus der Feder des US- Publizisten und Herausgebers der "Amazing Stories", Hugo Gernsbach, 1929 entsprungene Kunstwort nur darauf ab, ein inzwischen in TV, Funk, Film und Literatur populäres Genre durch bewusste Abstraktion zu mystifizieren. Selbst der belesenste Experte dieser ursprünglich aus der utopisch-fantastischen Literatur entsprungenen Gattung muss immer wieder von neuem Berge von Büchern abtragen, um im Flach- und Hochland des Science-Fiction bzw. auf trivialer und distinguierter Ebene nicht den Durch- und Überblick zu verlieren. Beeindruckend, wie viele Sub-Genres diese Literaturform im Verlaufe der Jahre hervorgebracht hat. Auffallend, wie viele unterschiedliche Autoren mit unterschiedlichem Hintergrund sich in diesem bunten Kosmos bewegen.

Definitoren en masse

Ob in den SF-Untergattungen Planetary Romance, Science Fantasy, Space Opera oder Horror-SF u.v.a. - jeder Geschmack wird auf verschiedenen Niveaus bedient. Dass dennoch das breite Publikum, eventuell auch das Gros der Verleger beim Klang der Wortkombination Science-Fiction assoziativ an Raumschiffe, Planeten, außerirdische Lebewesen oder Endzeitszenarien (Apokalypse) denkt, liegt in der Natur dieses Begriffes. Denn was Science-Fiction letzten Endes wirklich ist oder auch nicht, hängt offenbar vom subjektiven Ermessen des jeweiligen Betrachters ab.

Mit dem Fahrstuhl in den Orbit. Viele der futuristisch anmutenden Konzepte und kreativen Ideen, die aus der Feder von SF-Autoren stammen, werden schon seit langem von NASA- und ESA-Experten diskutiert und auf ihren "realistischen" Kern geprüft. Bildnachweis: ESA/Erkki Halkka

"Es gibt wahrscheinlich so viele Definitionen der Science-Fiction wie Definitoren", konstatierte einmal der Grandseigneur dieser Literaturform, Isaac Asimov. Dass Asimov den Kern des Problems richtig herausschälte, zeigt das reichhaltige Schrifttum, in dem das Wortpaar Science-Fiction bislang zu Genüge erklärt und verklärt, manchmal aber auch mit gelungenen Metaphern etikettiert wurde. "In einem Science-Fiction-Werk dient die Wissenschaft nicht allein der Verschönerung. Sie ist vielmehr der Zauberstab, der die Erzählung auf eine höhere Ebene bringt", schwärmt der französische SF-Autor Jean-Claude Dunyach. Kurz und knapp, aber nicht minder treffend, präzisierte Stephen Hawking diesen Sachverhalt: "Die Verbindung zwischen Science-Fiction und Wissenschaft führt in beide Richtungen. Die von der SF präsentierten Ideen gehen ab und zu in wissenschaftliche Theorie ein. Und manchmal bringt die Wissenschaft Konzepte hervor, die noch seltsamer sind als die exotischste Science-Fiction".

Keine Propheten

Während der Blick in den altbewährten Brockhaus lehrt, dass Science-Fiction ein "Sammelbegriff für den breit gestreuten Bereich der Literatur, der sich v.a. seit dem Ende des 19. Jh. infolge des Interesses an technisch-wissenschaftlichen Aspekten aus der utopischen und fantastischen Literatur herausbildete und sich als Darstellung zukünftiger Entwicklungen und Ereignisse etablierte", sind sich unsere zeitgenössischen SF-Protagonisten immerhin darin einig, dass diese Literaturform nicht allein darauf abzielt, die Zukunft - ob technische Entwicklungen oder gesellschaftliche Strukturen - auf irgendeine Weise vorherzusagen. Science-Fiction-Autoren verstehen sich nicht als Propheten. Wenn in Romanen oder Filmen neuartige Technologien einfließen, dann geschieht dies meist aus dramaturgischen Gründen, um eine Handlung voranzutreiben, zu erweitern, zu vereinfachen oder zu verdichten.

Zumindest in den meisten SF-Romanen und -filmen gehört die interstellare Raumfahrt längst zum All-Tag. Bildnachweis: ESA

Trotz aller Fantasie muss es aber mit Blick auf den Terminus Technicus "Science-Fiction" gestattet sein, die Bedeutung des Wortes Science hervorzuheben. Mögen wir diese Vokabel gemeinhin lapidar mit "Wissenschaft" übersetzen - Angloamerikaner assoziieren damit ausschließlich den Begriff "Naturwissenschaft". Ergo muss Science-Fiction, will sie einen wissenschaftlich "realistischen" Blick in die Zukunft ermöglichen, wenigstens ein Mindestmaß an Erkenntnissen gegenwärtiger Wissenschaft reflektieren. Es sollte ein Dialog zwischen Science und Fiction bestehen, wie der SF-Schriftsteller Charles Sheffield fordert. "Zwischen Science-Fiction und Science Fact sollte es einen ständigen Ideenaustausch geben."

Verdiente Aufwertung

Wie dem auch sei - hin und wieder erfährt das völlig zu Unrecht unterschätzte Genre Science-Fiction gleichwohl eine erfreuliche, besser gesagt hoch verdiente Aufwertung. So geschehen am 3. Februar 2005, als das britische Wissenschaftsmagazin "Nature" unter dem Titelbanner "Futures" auf seiner letzten Seite eine Science-Fiction-Serie startete (bzw. fortsetzte), in denen sich bekannte SF-Autoren mit Kurzgeschichten die Ehre gaben bzw. bis dato geben. Es ist insgesamt das zweite Mal, dass besagtes Fachmagazin diesem Genre ein viel beachtetes Forum schenkt.

Der Nestor des SF: Arthur Clarke bei der Buchvorstellung seines Werkes: "3001: The Final Odyssey” 1997 in Colombo (Sri Lanka). Bildnachweis: ESA/AP/Dexter Cruez

Die erste Staffel von SF-Beiträgen veröffentlichte "Nature" bereits im November 1999. Den Anfang machte der weltbekannte Autor Arthur C. Clarke mit einer Serie von Kurzgeschichten. Bis Ende 2000 folgten wöchentlich weitere Essays, die bekannte Science-Fiction-Schriftsteller wie Peter F. Hamilton, Stephen Baxter, Gregory Benford oder Charles Stross zu Papier brachten.

Bereits zweite SF-Staffel

Dass "Nature" vor einigen Monaten an diese Tradition wieder angeknüpft hat, wurde in der Vergangenheit nicht nur von vielen SF-Anhängern, sondern kürzlich vor allem von der European Science Fiction Society mit viel Wohlwollen zur Kenntnis genommen. Mit derart viel Wohlwollen, dass besagte Organisation auf der diesjährigen World Science Fiction Convention (WorldCon) in Glasgow (4.-8. August) das Engagement von "Nature", Science-Fiction auf seriöse Weise zu popularisieren, mit dem Best Publisher 2005 Award würdigte.

Die von der Erde 56 Millionen Lichtjahre entfernte Spiralgalaxie M100 - Durchmesser: 100.000 Lichtjahre. Vorerst ist diese Welteninsel nur im SF-Kosmos "erreichbar". Bildnachweis: NASA

Während sich die erste SF-Staffel von Ende 1999 bis Ende 2000 mit dem nahenden Millenium auseinandersetzte, fokussiert sich die zweite Serie von Kurzgeschichten auf potentielle Entwicklungen, die sich in fünfzig Jahren ereignen könnten - ob in der Gentechnologie, in der Klimatologie (Erdklima, Klimawandel) oder etwa in der Raumfahrt. Viele Autoren, die bereits für die erste Staffel zur Feder griffen, werden versuchen, die zweite "Nature"-Reihe mit kreativen Ideen zu bereichern. "When we heard about this award we broke out that old Janx Spirit", gesteht Henry Gee, der verantwortliche "Nature"-Redakteur der laufenden Science-Fiction-Serie.