SPD setzt auf Nachbesserung im Vermittlungsausschuß

Lauschangriff auch auf Steuersünder?

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Der große Lauschangriff zur besseren Verbrechensbekämpfung steht einen Tag vor der entscheidenden Bundesratssitzung noch immer auf Messers Schneide. Erst morgen werden die Bundesländer Bremen und Rheinland-Pfalz ihre Entscheidung bekannt geben. In der Frage der betroffenen Berufsgruppen sowie des hinreichend notwendigen Tatverdachts könnte es noch zu Verbesserungen kommen. Doch allein der mit dem Lauschangriff verbundene Strafrechtskatalog könnte sogar einfache Steuersünder zu Wanzenopfern machen, befürchten Juristen.

Ein einfacher Tatverdacht genügt bereits, um Wohnungen und Kommunikationseinrichtungen zu überwachen. Nach Paragraph 100 c der Strafprozeßordnung (StpO) kann künftig ohne Wissen des Betroffenen das nicht öffentlich gesprochene Wort des Beschuldigten abgehört und aufgezeichnet werden, wenn auf andere Weise erschwert oder gar nicht aufgeklärt werden kann. Dieser in Paragraph 100 c Absatz 3 festgelegte Katalog umfaßt folgende Delikte: Geld - oder Wertpapierfälschung; Menschenhandel; Mord, Totschlag, Völkermord; Menschenraub, Verschleppung, erpresserischer Menschenraub oder Geiselnahme; Bandendiebstahl oder schwerer Bandendiebstahl; schwerer Raub, Raub mit Todesfolge; Räuberische Erpressung oder gewerbsmäßige bzw. bandenmäßige Erpressung; Gewerbsmäßige Hehlerei, Bandenhehlerei oder gewerbsmäßige Bandenhehlerei; Straftaten gegen das Waffengesetz, das Außenwirtschaftsgesetz oder das Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen; Straftaten gegen das Betäubungsmittelgesetz; Friedensverrat, Hochverrat, Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats, Landesverrat oder Gefährdung der äußeren Sicherheit; besonders schwerer Fall der Bildung von kriminellen Vereinigungen; Bildung terroristischer Vereinigungen; Fälschung von Eurocheque-Vordrucken; Geldwäsche, Verschleierung unrechtmäßig erlangter Vermögenswerte; Bestechlichkeit und Bestechung.

Damit ist es jedoch noch nicht genug, da für einzelne dieser Straftaten, wie z.B. Geldwäsche, umfangreiche eigenen Straftaten aufgeführt werden, die dann möglicherweise ebenfalls abgehört werden können. So gehören Vergehen wie Unterschlagung, Betrug, Subventionsbetrug und Veruntreuung zum Paragraphen 261 StGB über Geldwäsche. Auch das nicht ordnungsgemäße Ausfüllen von Steuererklärungen könnte bereits ein einschlägiger Straftatsbestand sein.

Die Entscheidung im Bundesrat fällt denkbar knapp aus: 46 von 69 Stimmen für den Lauschangriff werden im Bundesrat benötigt, mit 24 Stimmen wäre er jedoch erst einmal wieder verschoben. Die Gegner aus den rot-grünen Länderparlamenten bringen 22 Stimmen zusammen. Entscheidend sind daher die drei Stimmen der großen SPD/CDU-Koalition in Bremen und die des rot-gelben Regierungsbündnisses in Rheinland-Pfalz mit vier Stimmen. Mehrfach hatte Bremens Regierungschef Henning Scherf die Absicht geäußert, zwar der notwendigen und vom Bundestag bereits beschlossenen Grundgesetzänderung zuzustimmen, für eine Änderung der Strafprozeßordnung aber den Vermittlungsausschuß anzurufen. In der Strafprozeßordnung wird geregelt, welche Berufsgruppen mit akustischer Wohnraumüberwachung - so die offizielle Bezeichnung des Lauschangriffs - abgehört werden können. Auch die rheinland-pfälzischen SPD könnte sich morgen für Nachbesserungen im Vermittlungsausschuß einsetzen. Der rheinland-pfälzische Justizminister Caeser spricht sich dafür aus, den dringenden, statt den einfachen Tatverdacht zur Grundlage des Lauschangriffs zu machen. Der Vermittlungsausschuß tagt immer dann, wenn der Bundesrat vom Bundestag verabschiedete Gesetze nicht akzeptiert.

Obwohl die Grundgesetzänderung von weiten Teilen der FDP und SPD im Bundestag getragen wurde, scheinen die Parteien sich jetzt in der Frage der betroffenen Berufsgruppen umzuorientieren. FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle forderte ebenso wie SPD-Chef Oskar Lafontaine vor allem für Journalisten Nachbesserungen. Sie sollten nicht nur von der akustischen Überwachung ausgenommen werden, betonte Westerwelle am Montag in Bonn. Darüber hinaus müßten auch das Problem der Durchsuchung von Redaktionsräumen und ein besserer Informantenschutz generell geregelt werden. Lafontaine setzte sich dafür ein, zusätzlich Rechtsanwälte und Ärzte vom Lauschangriff auszunehmen. Der Bundestag hatte beschlossen, daß vom Lauschangriff nur Strafverteidiger während der Ausübung ihres Mandats, Geistliche und Abgeordnete ausgeschlossen sind.

In der Woche vor der endgültigen Entscheidung liefen Journalisten, Ärzte, Anwälte und Jusos in einer gemeinsamen Erklärung Sturm gegen den Kompromiß zum Lauschangriff. In Bremen verlangten der Deutsche Journalisten-Verband, die IG Medien, der Republikanische Anwälteverein, die Ärzteorganisation Hartmannbund und die Jungsozialisten in der SPD die Ablehnung des Gesetzesentwurf. Der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes, Hermann Meyn, appellierte an den Bremer Regierungschef Henning Scherf, bei seiner ablehnenden Haltung zum Lauschangriff zu bleiben. Für den Fall, daß der Bundesrat das Gesetz doch verabschiede, kündigte Meyn "den Gang nach Karlsruhe" an. In einem Offenen Brief appellierte Detlef Hensche, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Medien, an die Mitglieder des Bundesrates: "Ich bitte Sie inständig, der geplanten Gesetzesänderung nicht zuzustimmen." Der Lauschangriff verletze das Grundrecht auf Pressefreiheit. In der Tat verschlechtert sich die Situation für Journalisten erheblich. Verbesserungen am geltenden Zeugnisverweigerungsrecht werden seit Jahren von den Gewerkschaften angemahnt, jedoch von den Abgeordneten verschleppt. Der Bundesrat legte vor drei Jahren einen entsprechenden Gesetzentwurf vor, der seitdem durch die Rechtsausschüsse des Bundestags geistert. IG-Medien-Chef Hensche entrüstet: "Und nun das! Statt einer Reform eine weitere Einschränkung!"

Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Gerhard Vogler, bezeichnete das mögliche Scheitern des Lauschangriffs im Bundesrat als "peinliche politische Posse". Es sei bezeichnend, daß ausgerechnet Bundesländer mit hoher Kriminalitätsrate und niedriger Aufklärungsquote den mühsam zustandegekommenen Minimalkompromiß ablehnten. Dies verdeutliche ihre sicherheitspolitische Inkompetenz. Auch Niedersachsens Innenminister Gerhard Glogowski hält an der Bundestagsentscheidung fest, mit Rückendeckung von Landesherr Schröder. Dessen politische Zukunft hängt schließlich von der nächsten Landtagswahl ab, und diese, so meinen Schröder und Glogowski einvernehmlich, vom "Erfolg" des Lauschangriffs. Es stellt sich jedoch die Frage, wo sich die "politische Posse" wirklich abspielt ...