Sachbücher des Monats: Januar 2017

Die Top Ten unter den Sachbüchern nebst einer persönlichen Empfehlung

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Uwe Pörksen
Politische Rede
Oder: Wie wir entscheiden

Die Kunst der politischen Rhetorik droht oftmals zur Inszenierung zu verkommen. Für Politiker gilt auf den Medienbühnen, möglichst unangreifbar zu formulieren, sich als kompetent und innovativ, durchsetzungsstark und doch nahbar zu zeigen, ohne im Moment des Redens tatsächlich greifbar zu werden. Politische Rhetorik scheint daher heute vor allem antrainierte, vorsichtig berechnende, demoskopisch orientierte Routine zu sein. Dieser Facette der politischen Rede geht Pörksen in seinen Beiträgen nach. Er untersucht aber auch das Programm und die Poetik der Entscheidungsrede, die im Vertrauen auf die Mündigkeit des Publikums in Debatten die entschiedene These und den konzeptionellen Entwurf wagt. Sie zielt nicht zuerst auf die Zustimmung der großen Zahl, sondern regt zur Debatte von Alternativen an, um eine konkrete Situation zu klären. Die Kunst der politischen Rhetorik, so zeigt Uwe Pörksen in seinen Studien zur Macht von Begriffen und Bildern, lässt sich eben nicht nur als Überwältigungstechnik begreifen, sondern auch als die angewandte Ethik der öffentlichen Welt. Sie ist Theorie und Praxis einer eigenständigen, urdemokratischen Suche nach dem gesellschaftlich Vernünftigen und Besseren.
Wallstein Verlag, 288 Seiten, € 24,90

Andrea Wulf
Alexander von Humboldt
Und die Erfindung der Natur

Was hat Alexander von Humboldt, der vor mehr als 150 Jahren starb, mit Klimawandel und Nachhaltigkeit zu tun? Der Naturforscher und Universalgelehrte, nach dem nicht nur unzählige Straßen, Pflanzen und sogar ein "Mare" auf dem Mond benannt sind, hat wie kein anderer Wissenschaftler unser Verständnis von Natur als lebendigem Ganzen, als Kosmos, in dem vom Winzigsten bis zum Größten alles miteinander verbunden ist und dessen untrennbarer Teil wir sind, geprägt. Die Historikerin Andrea Wulf stellt in ihrem Buch Humboldts Erfindung der Natur, die er radikal neu dachte, ins Zentrum ihrer Erkundungsreise durch sein Leben und Werk. Sie folgt den Spuren des Netzwerkers und zeigt, dass unser heutiges Wissen um die "Verwundbarkeit" der Erde in Humboldts Überzeugungen verwurzelt ist.
Aus dem Englischen von Hainer Kober.
Verlag C. Bertelsmann, 560 Seiten, € 24,99

Branco Milanovic
Die ungleiche Welt
Migration, das Eine Prozent und die Zukunft der Mittelschicht

1760000000000 US-Dollar. In Worten: einskommasiebensechs Billionen. Auf diese Summe schätzte Oxfam kürzlich das Vermögen der 62 wohlhabendsten Menschen der Welt. Ein paar Dutzend Milliardäre verfügen über so viel Geld wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung - oder wie 3600000000 Menschen. Von Barack Obama bis zu Thomas Piketty, die führenden Köpfe unserer Zeit sind sich einig: Ungleichheit ist eines der drängendsten Probleme der Gegenwart. Anhand neuer, haushaltsbasierter Daten zu Einkommen und Vermögen untersucht Branko Milanovic die Ursachen und Folgen differenzierter als alle anderen Forscher vor ihm. Er zeigt, dass zwar der Abstand zwischen armen und reichen Staaten geringer geworden ist, das Gefälle innerhalb einzelner Nationen jedoch dramatisch zugenommen hat. Deshalb plädiert er für ein radikal "liberales" Einwanderungsrecht.
Aus dem Englischen von Stephan Gebauer.
Suhrkamp Verlag, 312 Seiten, € 25,00

Fanny Esterházy (Hg.)
Arno Schmidt
Eine Bildbiographie

Kein anderer Schriftsteller war sich der Bedeutung von Bildern für ein Leben so bewusst wie Arno Schmidt: "Mein Leben?!: ein Tablett voll glitzernder snapshots", schrieb er in seinem Roman "Aus dem Leben eines Fauns". Was also wäre adäquater, als Arno Schmidts Leben mit einer Bildbiographie nachzuzeichnen, die mosaikartig das Panorama einer eigenwilligen Schriftstellerexistenz zusammensetzt. Einführende Texte von Bernd Rauschenbach geben einen Überblick über die Stationen von Schmidts Leben - die Kindheit in Hamburg, die Jugend in Schlesien, Kriegszeit und Nachkriegselend, die wiederholten Wohnortwechsel, bis Arno Schmidt in Bargfeld in der Lüneburger Heide die "ihm gemäße Landschaft" findet. Für diese erste umfangreiche Bildbiographie über Arno Schmidt hat die Herausgeberin Fanny Esterházy in Archiven nachgeforscht und Unbekanntes und Verblüffendes zutage gefördert: Fotos, Zeichnungen, Dokumente aller Art, Bücher und Manuskripte, Notizen und Briefe, Zeitungsartikel, Alltägliches und Kurioses. Ergänzt und erläutert wird das vielfältige Material durch Textpassagen aus Arno Schmidts Werk, Auszüge aus den Tagebüchern von Arno und Alice Schmidt sowie Kommentare von Kollegen und Freunden.
Mit einführenden Texten von Bernd Rauschenbach.
Suhrkamp Verlag, 460 Seiten, € 68,00

Ulrike Herrman
Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung
Die Krise der heutigen Ökonomie oder Was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können

Warum kommt es zu Finanzkrisen? Warum sind die Reichen reich und die Armen arm? Wie funktioniert Geld? Woher kommt das Wachstum? Schon Kinder stellen diese Fragen - aber die Ökonomen von heute können sie Herrman zufolge nur bedingt zufriedenstellend beantworten. Viele basteln ihrer Ansicht nach an theoretischen Modellen, die mit der Realität nichts zu tun haben und nicht nur Milliarden, sondern sogar Menschenleben kosten. Wer verstehen will, was falsch läuft, muss ihr zufolge die Klassiker kennen, die an den Universitäten "kaum, falsch oder gar nicht mehr gelehrt" würden: Adam Smith, Karl Marx und John Maynard Keynes.
Westend Verlag, 288 Seiten, € 18,00

Simon Sebag Montefiore
Die Romanows
Glanz und Untergang der Zarendynastie 1613 - 1918

Simon Sebag Montefiore schildert in seiner Biographie die Dynastie, die Russland bis heute prägt. Wie kein anderes Adelsgeschlecht sind die Romanows der Inbegriff von schillerndem Prunk, Macht, Dekadenz und Grausamkeit. Über 300 Jahre dominierten sie das russische Reich, mehr als 20 Zaren und Zarinnen gingen aus dem Geschlecht hervor - einige dem Wahnsinn näher als dem Genie. Simon Sebag Montefiore erzählt die Saga dieser Familie, in der Rivalität, Giftmorde und sexuelle Exzesse auf der Tagesordnung standen. Basierend auf neuester Forschung und unbekanntem Archivmaterial zeichnet er die Schicksale und politischen Verwicklungen nach.
Aus dem Englischen von Gabriele Gockel.
S. Fischer Verlag, 1032 Seiten, € 35,00

Ulrich Beck
Die Metamorphose der Welt

Als 1986 Risikogesellschaft erschien, machte das Ulrich Beck schlagartig berühmt. Der Soziologe wies nicht nur auf die Nebenfolgen der Industriemoderne hin, er betonte zugleich, dass die Welt sich auch dann permanent verändert, wenn wir meinen, einen vorübergehenden Zustand mit Institutionen und Konzepten einfrieren zu können. Dabei spürte er den Indizien des Wandels nach und öffnete die Augen für Individualisierung, Globalisierung und die Transformation der Arbeitswelt. Am 1. Januar 2015 verstarb Ulrich Beck überraschend. Bis zu seinem Tod arbeitete er an einem Buch, das beides ist: Summe und radikale Weiterführung seiner Theorie. Während es früher Fixpunkte gab, an denen wir erkennen konnten, was stabil blieb und was nicht, erleben wir heute eine allumfassende Verwandlung, die uns orientierungslos werden lässt. Die Metamorphose der Welt ist der Versuch, diese Globalisierung des Wandels zu verstehen und Herausforderungen wie Erderwärmung und Migration auf einen Begriff zu bringen.
Aus dem Englischen von Frank Jukubzik.
Suhrkamp Verlag, 267 Seiten, € 25,00

Pierre Rosanvallon
Die gute Regierung

Die meisten politischen Systeme der westlichen Welt gelten als demokratisch - legitimiert durch freie Wahlen und einen Rechtsstaat, der sich zu den individuellen Freiheitsrechten bekennt und sie schützt. Laut Rosanvallon führen diese Legitimationsprinzipien zu einer Vorherrschaft der Exekutive: "Unsere politischen Systeme können als demokratisch bezeichnet werden, doch demokratisch regiert werden wir nicht." Die demokratische Betätigung der Bürger reduziert sich auf die Wahl von Repräsentanten und Regierenden, das heißt auf ein simples Verfahren zur Beglaubigung von Mächtigen und zur Bestätigung allgemeiner politischer Zielsetzungen. Wenn Demokratien zu reinen Genehmigungsdemokratien werden, sind soziale Verwerfungen die Folge. Im Extremfall können Genehmigungsdemokratien sogar diktatorische Züge aufweisen Rosanvallon fordert deshalb eine demokratische Revolution, die über eine Neudefinition der Beziehungen zwischen Regierenden und Regierten führt.
Aus dem Französischen von Michael Halfbrodt.
Hamburger Edition, 384 Seiten, € 35,00

Gabor Steingart
Weltbeben
Leben im Zeitalter der Überforderung

Das neue Buch von Gabor Steingart zeigt: Die Zukunft findet statt - nur anders als die etablierten Mächte aus Wirtschaft und Politik sie erwarten. Konflikte und Komplexität überfordern unsere Institutionen und Politiker. Ein aggressiver Finanzkapitalismus zehrt die Wirtschaft aus. Die tragende Mitte unserer Gesellschaft wird immer weiter ausgehöhlt. Trotzdem glaubt er, dass "wir" nicht verzweifeln müssen und gibt Tipps, wie man seiner Ansicht nach "im Zeitalter der Überforderung gut leben kann".
Knaus Verlag, 240 Seiten, € 16,99

Michel Pastoureau
Schwarz
Geschichte einer Farbe

Keine andere Farbe ruft so starke und gleichzeitig so unterschiedliche Assoziationen hervor wie die Farbe Schwarz: Mit ihr verbindet man Tod und Trauer. Schwarze Katzen sollen Unglück bringen und der Teufel samt Höllenszenario erscheint schwarz. Schwarz sind aber auch Mönchskutten, und Schwarz tragen Herrscher und Personen von Rang. Schwarz ist die Nacht, und hässlich wie die Nacht ist ein Aburteil. Haar schwarz wie Ebenholz jedoch verleiht Schneewittchen ihre besondere Schönheit. Schwarz und weiß ist unsere Hautfarbe und was verbindet sich damit? Erstaunlich ist die Vielfalt der Bedeutungen, die Schwarz zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Gesellschaften zukommt. Michel Pastoureau schreibt eine Kulturgeschichte der Farbe Schwarz. Von der Antike bis heute verfolgt er ihren Symbolgehalt vor allem in Europa. 100 Abbildungen zeigen dazu, wo und wie Schwarz ins Bild kommt - in Religion, Politik, Kunst und im alltäglichen Leben.
Aus dem Französischen von Birgit Lamerz-Beckschäfer.
Verlag Philipp von Zabern, 208 Seiten, € 39,95

Besondere Empfehlung des Monats Januar von Eike Gebhardt:

Daniele Dell'Agli
Aufruhr im Zwischenreich
Vorboten einer anderen Sterbekultur

Die offiziellen Debatten um Sterbehilfe offenbaren Arroganz und Bevormundung seitens der machthabenden Eliten. Das Buch diskutiert die gängigen Positionen und skizziert die sich heute schon abzeichnenden Alternativen. Gestiegene Lebenserwartung bedeutet auch Leidensverlängerung im Alter und Sterbensverlängerung am Lebensende. Das Buch prangert die Strategien an, mit denen Funktionärseliten aus Politik, Kirche, Medizin und Jurisprudenz die offene Diskussion um Selbstbestimmung im Alter und am Lebensende tabuisieren - gegen das Votum fast aller Intellektuellen, Wissenschaftler und Künstler sowie von rund drei Viertel der Bevölkerung. Es stellt anhand exemplarischer Schicksale Möglichkeiten des zivilen Ungehorsams ebenso vor wie Beiträge aus Film, Philosophie, Literatur und Musik, die sich dem existenziell bedrängenden Thema eines säkularen Umgangs mit dem eigenen Tod nähern.
Wilhelm Fink Verlag, 135 Seiten, € 16,90

Die Jury: René Aguigah,Deutschlandradio; Dr. Jens Bisky, Süddeutsche Zeitung; Prof. Dr. Rainer Blasius, FAZ; Dr. Eike Gebhardt; Daniel Haufler, Berliner Zeitung; Dr. Otto Kallscheuer; Petra Kammann, inrheinkultur; Elisabeth Kiderlen; Jörg-Dieter Kogel, Radio Bremen; Prof. Dr. Ludger Lütkehaus; Prof. Dr. Herfried Münkler, Humboldt Universität zu Berlin; Dr. Jutta Person, Philosophie Magazin; Wolfgang Ritschl, ORF Wien; Florian Rötzer, TELEPOLIS; Dr. Johannes Saltzwedel, Der Spiegel; Sabine Sasse; Albert von Schirnding; Dr. Frank Schubert, Spektrum der Wissenschaft; Dr. Jacques Schuster, DIE WELT; Norbert Seitz, Deutschlandfunk Köln; Hilal Sezgin; Dr. Elisabeth von Thadden, DIE ZEIT; Dr. Andreas Wang, NDR Kultur; Dr. Uwe Justus Wenzel, Neue Zürcher Zeitung; Stefan Zweifel, Schweiz

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