Salvini: Libyens Häfen müssen sichere Häfen werden

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Italien will - zusammen mit NGOs - die Bedingungen in den Lagern verbessern. Update: EU-Einsatz "Sophia" auf dem Mittelmeer soll eine neue Strategie bekommen, damit Flüchtlinge nicht mehr nur nach Italien gebracht werden

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In Libyen sollen sich gegenwärtig mehr als 650.000 Migranten aufhalten, die ohne Visa über die Grenzen gekommen sind und keine Aufenthaltserlaubnis haben ("illegale Migranten"), bestätigte Othman Blebeisi (IOM), wie der Libya Observer am Donnerstag berichtete.

Osman Belbeisi ist der Chef des libyschen Zweigs der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und "bestätigen" ist ein etwas zu solides Wort für eine Einschätzung, die schwer zu leisten ist. Die andere Zahl Belbeisis, die gestern in internationalen Medien Beachtung fand, verweist auf einen Anstieg von 5.000 auf 9.300 Menschen in den Migrantenlagern - mit "weiteren Tausenden, die auf die Gnade der Schmuggler angewiesen sind, die die Aufsicht über inoffizielle Haftanstalten haben", schreibt der britische Guardian.

Absurde Zahlen: "Keiner weiß was"

"Dort ist die Wahrscheinlichkeit für Missbrauch größer", ergänzt The National aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. 2017 sollen es 40.000 Migranten weniger in Libyen gewesen sein, so der Libyan Express. Dort ist zu erfahren, dass der Anstieg der Migranten, die in Lagern festgehalten werden, von 5.000 auf 9.300 innerhalb von drei Monaten passiert sein soll.

Es sei absurd, solche Zahlen überhaupt in Umlauf zu bringen, kommentiert der libysche Beobachter Jalel Harchaoui. Niemand kenne die Zahl der Migranten, die in Libyen festgehalten werden. Nicht einmal die Größenordnung sei bekannt. Keiner wisse was Genaueres.

Ausgangspunkt für die Zahlen war eine Pressekonferenz von IOM-Libyen-Chef Othman Belbeisi. Der überraschte einerseits mit einer differenzierteren Einschätzung der Arbeit der libyschen Küstenwache als die übliche Aburteilung: "In der Zusammenarbeit mit ihr sehen wir Gutes und Schlechtes. Wir müssen diejenigen unterstützen, die gute Arbeit machen und wir müssen die anderen strafrechtlich verfolgen, die gegen Menschenrechte verstoßen."

Überfüllte Lager

Die Hauptbotschaft der Pressekonferenz war eine andere, die allerdings eng mit der Arbeit der Küstenwache verbunden ist: Die postulierte Steigerung der in Libyen festgehaltenen Migranten wird mit einem "Stau" erklärt, der sich daraus ergibt, dass mehr Migranten als früher von der Küstenwache zurück nach Libyen gebracht werden - oder gar nicht erst abfahren. Belbeisi spricht von einer Überbelegung (i.O: "overcrowding"), die mit "der Politik der Küstenwache zusammenhängt, dass gerettete Migranten sofort in Haft (i.O. "detention") kommen.

Das Problem, das damit verbunden ist, heißt, "es gibt keinen sicheren Hafen in Libyen". Italien hat nun angefangen, sich des Problems anzunehmen. Erstmal ist es vor allem PR, die einen guten Willen dokumentiert, wie die schöne Grafik zeigt, welche die italienische Botschaft in Libyen präsentiert.

"Italien handelt jetzt"

Dort ist zu erfahren, dass Italien sich um Migrationszentren in ganz Libyen kümmern werde, um das Leben für Migranten zu verbessern. Die Hilfe wird von 3 Millionen auf 6 Millionen Euro aufgestockt, die investiert werden in "bessere medizinische Versorgung, Trinkwasser, Decken, Essen, Küchenausstattung, verbesserte Ausbildung des Personals, Spielplätze für Kinder" und auch das ansonsten verfemte Kürzel "NGO" taucht auf dem Plakat als Signal für eine bessere Welt in den "Migrationszentren" auf.

"To be launched soon", "Es wird bald gestartet", steht unter der dicken Überschrift "Italien handelt jetzt", das Motto lautet "Das Leben für die verbessern, die am meisten leiden." Dazu gibt es eine Liste von Lagern, wo Verbesserungen durchgeführt werden sollen: Trek Sikka, Khoms, Ein Sara, Abuslim, Sabratha, Janzour, Trek Matar, Salahedin, Tajoura.

Das ist ein Anfang. Wie viele Lager es insgesamt gibt, ist unbekannt, da es neben den offiziellen Lagern, deren Aufsicht von der Regierung bestellt wird, noch eine unbekannte Zahl von Lagern gibt, die von Milizen kontrolliert werden. Laut Angaben der IOM von Anfang Juli handelt es sich um etwa 20 "detention centers", die in Betrieb sind, nach dem die Regierung mehrere geschlossen hatte.

Hauptsächlich würden Migranten aber in fünf solcher Lager gebracht, die dadurch überlegt seien, was angesichts der Hitzewelle harte Lebensbedingungen für die Insassen bedeute, so die IOM-Sprecherin Christine Petré, die vor gut zwei Wochen von 7.000 festgehaltenen Migranten im Juni sprach, was auf offiziellen Regierungsangaben beruhe.

EU-Einsatz Sophia gestoppt und die nächste rhetorische Kampfzone

Zu rechnen ist damit, dass die "Rhetorik" (Salvini) über die Migranten-Lager das nächste Streitfeld werden könnte - nach der Seenotrettung der NGO-Schiffe, deren Hafen-Anlandungsverbot, wenn Migranten an Bord sind, auch auf Schiffe der EU-Mission "Sophia" ausgeweitet wurde, wie der italienische Innenminister Salvini in Moskau noch einmal betonte.

Das Ziel ist, die Regeln zu ändern und Libyens Häfen zu sicheren Häfen zu machen.

Matteo Salvini

[Update/Ergänzung: Wie die Tagesschau am Freitagabend berichtet, wurde der EU-Einsatz "Sophia" auf dem Mittelmeer nach Informationen des "Spiegel" vorerst eingestellt. Der Kommandeur, der italienische Admiral Enrico Credendino, habe alle beteiligten Schiffe zurück in die Häfen beordert. Hintergrund für die Aussetzung des Einsatzes sei die Weigerung Italiens, von den EU-Militärschiffen geretteten Flüchtlinge an Land aufzunehmen. Mit dem Befehl sei der Einsatz faktisch gestoppt.

In den frühen Morgenstunden des Samstags wurde der Bericht noch weiter korrigiert: Die EU-Marine-Mission "Sophia“ könne vorerst bis Ende August fortgeführt werden. Vertreter der EU-Staaten einigten sich laut Tagesschau darauf, "möglichst innerhalb der kommenden fünf Wochen eine neue Strategie zum Umgang mit bei dem Einsatz geretteten Migranten zu vereinbaren. Diese waren bislang ausschließlich nach Italien gebracht worden".]

Salvini hatte vor einiger Zeit davon gesprochen, dass es zwar ein paar Lager gebe, die das Wort "Lager" verdienen, dass da bei der Rede darüber aber auch einige "Rhetorik" dabei sei. Angedeutet wird damit, dass die miserablen Verhältnisse in den Lagern übertrieben dargestellt würden.

Wahrscheinlich wird peu à peu eine neue Sprachregelung eingeführt. Es wäre auf jeden Fall keine große Überraschung, wenn künftig mehr von "Migrationszentren" statt von Haftanstalten - die sie auch nach den strengen libyschen Gesetzen zur illegalen Migration sind -, die Rede ist wie auf dem oben erwähnten Plakat.

Aber umso besser, wenn dies durch die Hilfe untermauert wird, die auf dem Plakat in Aussicht gestellt wird, wenn die UNHCR mit dabei ist und wie angekündigt NGOs und lokale Vereinigungen.

In Khoms etwa, das auf dem Plakat als zweites genannt wird, kümmern sich bereits die Ärzte ohne Grenzen um Verbesserungen "in Partnerschaft mit lokalen Vereinigungen", mit denen Italien laut Ankündigung auch zusammenarbeiten will. Man darf gespannt sein, ob sich das Verhältnis zwischen MSF und der italienischen Regierung doch als kooperativ erweist.

Finstere Schmuggler-Verbindungen bis hin zum IS

Ziemlich sicher ist es so, dass Italien einiges Know-how hat über Hintergründe, Hintermänner und Verhältnisse in den "Detentions Centers", da Italien, wie in einem ausführlichen Bericht zu den Zentren in Libyen, allerdings aus dem Jahr 2015, dargestellt wird, am Aufbau mancher Zentren beteiligt war.

Laut einiger berichte hat Italien schon 2003 "häufig geheimen Vereinbarungen" mit Libyen getroffen und "ex-territorialisierte Haftlager für Migranten bei Tripolis und in späteren Jahren im Süden in Sebah und Kufra" finanziert. Diese "Kooperationsmaßnahmen" haben dazu geführt, dass sich der Missbrauch von Flüchtlingen, Asylsuchenden und Migranten verstärkt hat.

Global Detention Project

Italienischen Sicherheitsbehörden dürften wahrscheinlich darüber hinaus auch einige Namen und das Führungspersonal der Milizen bekannt sein, die für die inoffiziellen Migranten-Gefängnisse zuständig sind. Wenn Italien, die Zustände dort verändern will, dann ist das ein guter Ansatz.

Wie die Zusammenarbeit zwischen Stämmen, Menschenschmugglern, Schleusern und Terrorgruppen wie dem IS im weitläufigen Grenzgebiet zwischen Ägypten und Libyen zeigt, sind die Verbindungen so, dass die Verbesserung der Verhältnisse eine Herkulesarbeit ist.