"Santo Subito"
Zum Niedergang des Heiligen
Wenn es um Wunder geht, halte ich mich stets an den Scholastiker Augustinus: "Wunder geschehen nicht im Gegensatz zur Natur, sondern im Gegensatz zu dem, was wir von der Natur wissen." Oder an den zeitgenössischen Zen-Philosophen Toyota: "Nicht ist unmöglich."
Warum sollte also auch Karol Wojtyla nicht den einen oder anderen Blinden zum Sehen oder Lahme zum Gehen gebracht haben - ob nun der Heilige Geist oder der Placebo-Effekt dahinter steckt, ist wurscht. Wer heilt, hat recht. Ob das aber gleich ein Grund zur Heiligsprechung ist?
Der verblichene Papst hat mehr Stars in die katholische Hall of Fame befördert als alle seine Vorgänger zusammen: 1.338 Selige und 482 Heilige gehen auf sein Konto. Wenn jemand die heiligen Heerscharen derart vermehrt, könnte das ein Zeichen dafür sein, dass er dereinst selbst in dieses Dreamteam aufgenommen werden möchte. Und siehe da: Kaum hat Johannes Paul den Hirtenstab abgegeben, bringt sein persönlicher Sekretär eine Wunderheilung ins Spiel, bei der JP 2 einen tödlichen Gehirntumor zum Verschwinden gebracht haben soll.
Die in Sprechchören und auf Transparenten bei der Trauerfeier geforderte sofortige Heiligsprechung ("Santo Subito") ist aber deshalb noch lange nicht möglich. Das Procedere schreibt mindestens zwei Mirakel vor, wovon eines nach dem Tod des Heiligen stattzufinden hat. Die Bezeugungen von weiteren wundersamen Heilungen – ein Kind in Mexiko soll 1990 nach einem päpstlichen Kuss von Leukämie geheilt worden sein, ein Kardinal berichtet, dass die Probleme seiner Stimmbänder nach einer Berührung am Hals verschwanden – reichen dem Polen für seine Beförderung zum Hl. Johannes Paul also noch nicht.
Und es ist unwahrscheinlich, dass sein Nachfolger über diese Promotion schon entscheidet - um der Inflation des Heiligenwesens vorzubeugen, hatte der Vatikan der spontanen Volksfrömmigkeit und Heiligsprechung per Akklamation schon im ausgehenden Mittelalter starke Dämme entgegengesetzt. So wie Franz von Assisi, der im 13. Jahrhundert schon zwei Jahre nach seinem Tod zum Heiligen ernannt wurde, wird es Karol aus Krakau also nicht ergehen – zumal sich seine Vor-Vorgänger Johannes XXIIII. und Pius XII. auch noch in der Warteschleife befinden, wobei letzterer nach Ansicht von Vatikan-Auguren wegen seiner diskreten Kooperation mit Nazi-Deutschland noch länger auf einen Eintrag ins Heiligenverzeichnis wird warten müssen.
Ob die Wiederbelebungsversuche der religiösen Heldenverehrung durch Johannes Paul II. von seinem Nachfolger fortgesetzt werden oder nicht – ein (Gottes-)Staat ist mit den Heiligen heute kaum mehr zu machen, Blasius-Segen oder Leonardi-Ritt überleben allenfalls in frommen Enklaven.als folkloristische Relikte. Diesen Niedergang des Heiligenwesens aber hat sich die Kirche – allen Beschwörungen eines glaubenstarken Fundamentalismus durch Kardinal Ratzinger in seiner Predigt vor der Papstwahl zum Trotz – auch selbst zuzuschreiben. Denn der von General Ratzinger gegeißelte "Relativismus" hat im 20.Jahrhundert das Pantheon der Heiligen geradezu kahlschlagartig heimgesucht und in Form historischer Kritik alles Phantastische, Skandalöse und Sonderbare ausgetrieben. Im Vorwort zum "Immerwährenden Heiligenkalender" schreibt Albert Sellner dazu:
Das phantastische Material an Obsessionen, Perversionen, paranormalen Geisteszuständen, Miraklen und Gewaltorgien wurde solange gesiebt und verdünnt, bis nur noch ein fades Gebräu von Allerweltsmoral übrigblieb: Aus Erzählungen vom Einbruch des ganz Anderen in die Wirklichkeit wurde die Propagierung eines blutlosen Gutmenschenideals.
Und so kam es, dass in der westlichen Kultur die christlichen Heiligen weitgehend verschwanden – in London, Paris oder Berlin finden sich heute Buddhas in jedem zweiten Laden und hinduistische Skandal-Götter wie Shiva oder Shakti auf Einkaufstaschen und T-Shirts. "Unverdünnt", bunt, phantastisch scheint dieser Heiligenkosmos den Herzen und Hirnen mehr zu bieten zu haben als die auf "correctness" getrimmte katholische Mythologie.
Dabei könnte es etwa der Hl. Symeon Stylites, der sein halbes Leben auf einer Säule stehend meditierte und nur einmal in der Woche aß, mit jedem Sadhu oder Yogi aufnehmen, und auch ansonsten müsste sich der imaginative Reichtum des Katholizismus hinter anderen Götterwelten eigentlich nicht verstecken. Doch Hierarchie und Kontrolle - der Preis des Machterhalts – haben ihn weitgehend zur Strecke gebracht. Daran kann auch die von JP II. initiierte Fließbandproduktion von Seligen und Heiligen konnte nichts ändern.
Schade eigentlich, denn: "Moralische Grundsätze können bei uns eigentlich nur aus der Religion kommen" – meint nicht irgendein Kardinal, sondern angesichts korrumpierter Politik der Ex-PDS-Chef Gregor Gysi. Wenn mittlerweile schon atheistische Linke das so sehen, scheint an guten Heiligen zwar fraglos Bedarf – das Ofenrohr der sixtinischen Kapelle signalisiert indessen nur ihren nächsten Verwalter