Sarah Palin trifft den Wettermann
Seite 3: LSD-Gurus und Damentoiletten: Die Revolution beginnt
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Im September 1970 befreiten die Weathermen den Drogen-Guru Timothy Leary aus dem Gefängnis. Von einer Vertriebsorganisation für psychedelische Drogen, der Brotherhood of Eternal Love, sollen sie dafür 20 000 Dollar bekommen haben. Aber das ist vielleicht nur erfunden. Leary war wegen des Besitzes von Marihuana zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten bis zu zehn Jahren verurteilt worden. Die Haftanstalt in San Luis Obispo war ein Gefängnis der niedrigsten Sicherheitsstufe. Trotzdem war die Befreiungsaktion ein vielbeachteter Coup. Leary und seine Frau Rosemary wurden nach Algerien gebracht. Die San Franciso Good Times druckte am 18. September einen offenen Brief des Helden der Counterculture ab. Leary dankte zunächst seinen Wohltätern:
Meine Liebe und meine Dankbarkeit gelten meinen Schwestern und Brüdern vom Weather Underground, die meine Befreiung geplant und ausgeführt haben. Rosemary und ich sind jetzt beim Underground, und wir werden weiterhin high bleiben und den revolutionären Krieg führen.
Dann folgten Sätze wie diese:
Ich erkläre, dass jetzt gerade der 3. Weltkrieg geführt wird, von kurzhaarigen Robotern, deren erklärte Absicht es ist, das komplexe Netz des freien Lebens durch die Auferlegung der mechanischen Ordnung zu zerstören. […]
Ihr seid ein Teil des Todesapparats, oder ihr gehört zum Netzwerk des freien Lebens. […] Vergesst nicht die Sioux und die deutschen Juden und die schwarzen Sklaven und die Marihuana-Pogrome und die scheinheilige Empörung von TWA über Flugzeugentführungen!
Der Brief endete mit einer „WARNUNG: Ich bin bewaffnet und sollte als gefährlich für jeden eingeschätzt werden, der mein Leben oder meine Freiheit bedroht.“
Nixon, sein Justizminister und J. Edgar Hoover vom FBI fanden das alles überhaupt nicht lustig. Die abgetauchten Weathermen wurden auf die Liste der meistgesuchten Verbrecher gesetzt. In öffentlichen Gebäuden hingen von nun an ihre Fahndungsbilder aus wie bei uns der RAF-Steckbrief.
Am 19. Mai 1972, dem Geburtstag von Ho Chi Minh, detonierte ein Sprengsatz in einer Damentoilette im Luftwaffenflügel des Pentagon. Danach wurde gewitzelt, dass das also die Strategie der WUO zur Vernichtung des Kapitalismus sei: eine Toilette nach der anderen. Die Liste der Aktionen wurde immer länger. Es gab Anschläge auf Polizeistatuen, Polizeireviere, Banken und das Kapitol. Die Täter wurden nie erwischt, nie wurde jemand verletzt. Anschläge auf Personen und Entführungen, wie sie von der RAF verübt wurden, lehnten die Weathermen ab. Wenn irgendwo etwas in die Luft flog und sich kein Täter ermitteln ließ, gab das FBI routinemäßig den Weathermen die Schuld. Gegner der WUO behaupteten, dass sie sich nur zu denjenigen ihrer Aktionen bekenne, bei denen niemand verletzt worden war; Belege für diese Behauptung gibt es nicht. Aber Weather Underground inspirierte auch andere Gruppen zu Sprengstoffanschlägen. Und die Nachahmer gingen nicht immer mit derselben Sorgfalt zu Werke wie das Original.
1974 stellten die Untergrundkämpfer mit der eigenen Druckerpresse ein politisches Manifest her. Die Schrift sorgte weniger durch ihren Inhalt für Aufsehen als vielmehr dadurch, wie schnell und wohlorganisiert die 5 000 Exemplare verteilt wurden. Das war eine logistische Meisterleistung, der das FBI wieder einmal ohnmächtig gegenüberstand. Weather Underground hatte sich inzwischen mit einem früheren Mitglied der einstmals bekämpften Progressive Labor Party zusammengetan. Dem Manifest (Prairie Fire: The Politics of Revolutionary Anti-Imperialism) hat das leider nicht gutgetan. Die 156, ganz im marxistisch-leninistischen Jargon gehaltenen Seiten sind über weite Strecken ziemlich unleserlich.
BANG BANG BANG: Mit Robin Hood im Untergrund
Eines der 5 000 Exemplare bekam Emile de Antonio in die Hände. Auch wenn ihn hierzulande kaum einer kennt: De Antonio ist einer der wichtigsten amerikanischen Filmemacher des 20. Jahrhunderts. Er ist der Meister des dokumentarischen Kompilationsfilms, immer spannend und nie ausgewogen. De Antonio hatte bereits sehr kontrovers aufgenommene Filme über Joseph McCarthy (Point of Order), das Kennedy-Attentat (Rush to Judgement) und Vietnam (In the Year of the Pig) gemacht. Jetzt ließ er der Weather Underground Organization einen Brief zustellen, in dem er vorschlug, gemeinsam einen Film zu machen. Der Brief enthielt ein Exposé und ein paar nicht ganz unironische Schmeicheleien: „Ihr habt ein Meisterstück des politischen Theaters geschaffen, das den Polizeistaat nicht nur entlarvt, sondern zeigt, dass es möglich ist, ihn zu schlagen.“ Handschriftlich fügte er hinzu: „Das gehört auf Film. BANG. BANG. BANG!”
Nach mehreren Geheimtreffen und vielen verschlüsselten Telefonaten war es schließlich so weit. Am 1. Mai 1975 wurden de Antonio und sein Filmteam (Haskell Wexler, Mary Lampson, Jeff Wexler) zu einem „sicheren Haus“ in Los Angeles gebracht. Unterwegs mussten sie geschwärzte Brillen tragen. In dem Haus mit den vernagelten Fenstern wurden sie von Kathy Boudin, Cathy Wilkerson, Bernardine Dohrn, Bill Ayers und Jeff Jones erwartet. Mit diesen Revolutionären verbrachten die Filmemacher drei Tage und drei Nächte. „Es war“, sagt de Antonio, „als säßen wir mit Robin Hood zusammen. Diese Leute sind flüchtig, der ganze Staat ist gegen sie.“ Für Jeff Wexler, den Tonmann, wurde die Anspannung bald zuviel. Er machte nur unter der Bedingung weiter mit, dass er später nicht namentlich genannt wurde und in dem Film auch nicht zu sehen sein würde.
Haskell Wexler, der Kameramann (Oscar für Who’s Afraid of Virginia Woolf?), war frustriert, weil er mit unscharfen Bildern arbeiten musste und die Gesichter der Untergrundkämpfer nicht zeigen durfte. Trotz (oder gerade wegen?) dieser schwierigen Ausgangslage ist ein faszinierender Film entstanden. Viele Einstellungen sind durch ein Tuch aufgenommen, das wie ein Symbol für die Kinoleinwand wirkt. Dazu gibt es kunstvoll kombinierte Spiegelbilder, in denen man das Filmteam von vorn und die Weathermen von hinten sieht. So ist ein Film über das Medium selbst dabei herausgekommen. Underground ist auch ästhetisch ein gewagtes Experiment. Ein historisches Dokument ist er sowieso. Man stelle sich vor, wir könnten heute mit dabei sein, wenn Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Ulrike Meinhof über sich, ihre Situation und ihren politischen Kampf (oder ihre terroristischen Anschläge oder wie immer man es nennen will) sprechen, während überall im Land nach ihnen gefahndet wird – statt auf Uli Edel und Bernd Eichinger angewiesen zu sein.
Am Tag nach Abschluss der Dreharbeiten nahmen Haskell Wexler, Mary Lampson und zwei Mitglieder von Weather Underground an einer vom FBI gefilmten Demonstration gegen Rassismus teil. Das war sehr unvorsichtig. Bald danach entdeckte Wexler vor seinem Haus ein paar Männer, die so taten, als müssten sie einen Reifen wechseln. Dann trieben sich, ganz wie im Kino, Männer mit Sonnenbrillen, komischen Hüten, Regenmänteln und Feldstechern vor dem Haus herum. Auch Emile de Antonio wurde überwacht. Als er sich beim FBI darüber beschwerte, erhielt er eine richterliche Vorladung. Mittlerweile wurde wegen des Verdachts auf Rebellion, Befürwortung eines Umsturzes, Verschwörung und vielen anderen Delikten gegen ihn ermittelt. Die Behörden versuchten, ihn zur Herausgabe des Filmmaterials zu zwingen. Es war das erste Mal in der Geschichte des amerikanischen Kinos, dass ein Film schon vor seiner Fertigstellung beschlagnahmt werden sollte.