Sarah Palin trifft den Wettermann

Seite 2: Wo der Wind weht: Bonnie and Clyde treffen Che Guevara

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Das Ziel von Weatherman war der Aufbau einer Kampftruppe aus jungen Weißen zur Unterstützung von Befreiungsorganisationen in anderen Ländern. Durch militante Aktionen sollte das „Mutterland des Imperialismus“ von innen heraus destabilisiert werden. Bill Ayers und Jim Mellen, zwei Weatherman-Gründer, veröffentlichten im April 1969 einen Text, in dem sie zu dem Schluss kamen, dass es im Grunde keinen Unterschied zwischen der Lage der Studenten und der jungen Arbeiter gebe. Auch junge Weiße aus der Unterschicht, so die Theorie, würden nach ersten, vorbildhaften Aktionen der Weathermen ein revolutionäres Bewusstsein entwickeln.

Harold Jacobs hat, noch ganz unter dem Eindruck der Ereignisse stehend, die wichtigsten Schriften rund um die Weathermen aus den Jahren 1969 und 1970 in einem Buch versammelt (Weatherman. Berkeley: Ramparts Press, 1970). Im Vorwort entschuldigt er sich für die Kompliziertheit mancher Texte, und er macht sogar einen Vorschlag zur selektiven Lektüre: „Einige Leser werden es vielleicht vorziehen, das Buch damit zu beginnen, die Abteilung über die dramatischen und provokativen Straßenaktionen von Weatherman zu lesen, ehe sie die relativ abstrakte, manchmal mühsame, aber äußerst wichtige Debatte in der ersten Abteilung durchgehen.“ Ganz so schlimm ist es dann doch nicht. Im Vergleich zu den Verlautbarungen der RAF sind die Weatherman-Texte sogar ein Vorbild an Präzision und Verständlichkeit. (Sie sind auch nicht so sinnfrei wie die Teile von Sarah-Palin-Interviews, die nicht aus vorgefertigten und auswendig gelernten Hauptsätzen bestehen.)

Die Kluft zwischen ihnen und einer breiteren, nicht auf die Universitäten beschränkten Jugendkultur scheint den Weathermen durchaus bewusst gewesen zu sein. In ihren Publikationen stößt man immer wieder auf Comics, mit denen diese Kluft wohl überbrückt werden sollte. Am liebsten machten sie Anleihen bei der Musik: der Text von Ayers und Mellen hat den Titel „Hot Town: Summer in the City“. Das von Stars der Bewegung wie Ayers und Bernardine Dohrn unterzeichnete Gründungsdokument von Weatherman ist mit dem Satz aus Bob Dylans „Subterranean Homesick Blues“ überschrieben, dem die Gruppe ihren Namen verdankt: „You Don’t Need A Weatherman To Know Which Way The Wind Blows.“ Bill Ayers war vorher Mitglied einer linken Gruppierung gewesen, die sich „Jesse James Gang“ nannte. Wer eine ungefähre Vorstellung vom Lebensgefühl der Weathermen gewinnen will, sieht sich am besten Arthur Penns Gangsterfilm Bonnie and Clyde (1967) an, der nur vordergründig in den 30er Jahren spielt. Man muss sich allerdings Gastauftritte von Che Guevara, Fidel Castro und Ho Chi Minh dazudenken.

„Bring the War Home“

Da Weatherman gern selbst an der Windmaschine stehen wollte, betraute das oberste Führungsgremium („Weather Bureau“) bevorzugt die Mitglieder mit herausgehobenen Aufgaben, die am meisten von sich reden machten, die am martialischsten auftraten, deren Rhetorik am übertriebensten war. Wer den Anforderungen auf Dauer nicht entsprach, konnte seine führende Stellung genauso schnell wieder verlieren, wie er sie bekommen hatte. Innerhalb der Gruppe herrschte ein enormer Konkurrenzkampf. Das sollte man wissen, wenn man die äußerst arrogante und aggressive Rede liest, mit der Bill Ayers im Sommer 1969 für viel Aufregung sorgte („A Strategy To Win“). Eine Kostprobe:

Wir können nicht dieses falsche Bild vor die Leute hinstellen, dass man sich der Bewegung anschließt, weil man dann pro Stunde einen Dollar mehr bekommt. […] Wir müssen kämpfen und den Leuten durch den Kampf unsere Hingabe zeigen, unsere Bereitschaft, Risiken einzugehen, unsere Bereitschaft, im Kampf zu sterben, um den US-Imperialismus zu besiegen. […] Ich finde, die Leute sollten diesen Slogan ganz nach vorne stellen: ‚Bringt den Krieg nach Hause.’ Wir sagen nicht einfach nur, holt die Truppen heim, holt die US-Truppen zurück nach Hause und schickt sie später woanders wieder in den Krieg, wir sagen: Bringt den Krieg nach Hause. Wir sagen, ihr werdet einen Preis bezahlen, weil euch immer mehr von den Typen in der Army in den Rücken schießen werden, weil immer mehr von den Typen in der Army über die Köpfe der Vietnamesen schießen werden, über die Köpfe der Schwarzen schießen werden, weil dieses Land immer mehr niedergerissen werden wird, und wir werden die Truppen nicht nach Hause holen, um sie an einem anderen Ort wieder einzusetzen, wir werden den Krieg nach Hause bringen, wir werden den Klassenkampf in den Straßen und den Institutionen dieses Landes entstehen lassen, und wir werden sie einen Preis bezahlen lassen, und am Ende wird dieser Preis ihre totale Niederlage sein.“

Was davon ernst gemeint war und was die Weatherman-typische Hyperbolik, könnte heute wahrscheinlich nicht einmal Bill Ayers selbst mehr sagen. Man kann aber auch das Opfer der eigenen Rhetorik werden. Den Weathermen scheint das bis zu einem gewissen Grad passiert zu sein.

Ayers’ in Cleveland gehaltene Rede sollte auf die für Oktober geplante „National Action“ der SDS in Chicago einstimmen, die als „Days of Rage“ in die Geschichte der Protestbewegung eingegangen ist. Diese „Tage des Zorns“ (8.-11. Oktober) standen unter dem Zeichen einer weiteren Eskalation des Vietnamkriegs. Die Weathermen forderten ein deutliches Signal des Widerstands. Im US-Fernsehen wurden Demonstranten üblicherweise als brutale Gewalttäter dargestellt, ganz egal, was wirklich passiert war. Also, dachten sich die Weathermen, konnte man auch gleich das tun, was einem hinterher sowieso unterstellt wurde. Nach Chicago fuhren sie in der erklärten Absicht, Krawall zu machen. Die Weathermen wollten den desorientierten Massen zeigen, wer der Feind war und wie man ihn angreifen konnte. Angekündigt war eine Attacke auf die Symbole der Unterdrückung durch den Kapitalismus, die Polizei und das Privateigentum.

Tage des Zorns: Die Weathermen spielen den Teufel

Zu den Days of Rage erwarteten Bill Ayers und seine Mitstreiter Tausende von jungen weißen Arbeitern. Sie blieben aus. Die 800 Weatherman-Demonstranten wurden von einer großen Polizeiübermacht erwartet. Trotzdem, das muss man ihnen lassen, stürzten sie sich unerschrocken ins Getümmel. Am letzten Tag gab es immerhin noch 300 Aktivisten, die bereit waren, den Kopf hinzuhalten, als die Polizei wieder mit ihren Schlagstöcken gegen sie vorrückte. Indem sie das Risiko in Kauf nahmen, verletzt oder getötet zu werden, stellten die Weathermen ihren Mut unter Beweis. Sie zeigten, dass hinter ihren martialischen Posen und der aggressiven Rhetorik eine Haltung stand. Das nötigte auch denjenigen Respekt ab, die Gewalt eigentlich ablehnten.

Zu den großen Selbstbeweihräucherungsmythen der Massenmedien gehört, dass Fernsehsender wie CBS durch ihre schonungslosen Berichte aus Vietnam die öffentliche Meinung drehten und so entscheidend zur Beendigung des Krieges beitrugen. Es war wohl eher anders herum. Die Führungsetage von CBS reagierte auf die wachsende Skepsis des Publikums, das man nicht verlieren wollte. Enorm gesteigert wurde diese Skepsis durch die Tet-Offensive im Januar 1968. Die militärischen Erfolge der Nordvietnamesen gaben vielen Amerikanern das Gefühl, dass der Krieg nicht wirklich so verlief, wie es von der Regierung dargestellt wurde und im Fernsehen zu sehen war. Das stärkte die Position von Reportern, die auf eine kritischere Berichterstattung drängten.

Amerikanische Fernsehzuschauer erfuhren nach wie vor so gut wie nichts über die Auswirkungen des Krieges auf Vietnam und die Vietnamesen (über das gnadenlose Flächenbombardement wurde lieber nicht berichtet, und von der Bombardierung Kambodschas hörte man ohnehin nichts). Aber je kritischer die Mainstream-Medien den Krieg zu sehen begannen, desto freundlicher behandelten sie den moderateren Teil der Anti-Vietnam-Bewegung. Für die Nixon-Regierung war das keine gute Nachricht. Die Positionen der gemäßigteren linken Studentengruppen wurden für größere Teile der Bevölkerung immer akzeptabler. So zeichnete sich eine potentielle Mehrheit gegen den Krieg ab, und es wurde schwieriger, das repressive Vorgehen der Polizei zu rechtfertigen. Nixon lehnte alle Unterscheidungen zwischen gemäßigten und radikalen Kriegsgegnern ab, weil sich die Moderaten schlechter isolieren und auf ein Feindbild reduzieren ließen. Deshalb kam es ihm sehr gelegen, dass die Weathermen mit ihren medienwirksamen Aktionen die Aufmerksamkeit auf sich zogen. Todd Gitlin, Mitte der 60er SDS-Präsident, meint dazu:

Das Ziel der Weathermen war es, die normalen Konventionen zu zertrümmern; stattdessen erkannten sie eine ältere Konvention an, übernahmen sie die Rolle des Teufels in einer vorhersehbaren nationalen Mythologie, in der die Kräfte der Ordnung den Kräften des Chaos gegenüberstanden. Als sich die Weathermen in den Straßen von Chicago austobten, als sie im Oktober 1969 in ihren ‚Tagen des Zorns’ vor laufenden Kameras auf Autos einschlugen, spielten sie die Dämonenrolle, die ihnen, genau besehen, von Nixons Gegenrevolution zugewiesen wurde und die dazu diente, diese Gegenrevolution zu rechtfertigen.

Cool Motherfuckers: Chaos als Programm

Über die Ausschreitungen in Chicago wurde landesweit berichtet. Weatherman war damit als die militanteste der weißen Protestorganisationen etabliert. Viele führende Mitglieder scheinen damals begonnen zu haben, das zu glauben, was sie in den Pressemappen über sich lesen konnten. Vom 27. bis 30. Dezember 1969 hielten sie in Flint, Michigan ihr „National War Council“ ab. Berüchtigt wurde ein Auftritt von Bernardine Dohrn. Anfang des Monats hatten das FBI und die Polizei von Chicago die Wohnung von Fred Hampton gestürmt, eines Führers der Black Panther Party. Hampton war dabei in seinem Bett erschossen worden, angeblich in Notwehr. Dohrn forderte dazu auf, die einzig richtige Antwort auf Hamptons Ermordung zu geben und Chicago niederzubrennen. Und weil sie so schön im Schwung war, brach sie gleich noch eine Lanze für Charles Manson, der das Massaker im Haus von Roman Polanski angeordnet hatte. Die Führungsriege von Weatherman, so Dohrn, stehe auf Charlie Manson: „Kapiert ihr, zuerst haben sie diese Schweine umgebracht, dann haben sie im selben Zimmer mit ihnen zu Abend gegessen, und dann steckten sie sogar noch eine Gabel in den Bauch von einem der Opfer. Cool!“ Manson sei ein „bad motherfucker“, und das sei großartig. Eigentlich hatte das „War Council“ dazu dienen sollen, die Basis von Weatherman zu verbreitern und eine Wiederannäherung an den Rest der Studenten für eine demokratische Gesellschaft einzuleiten. So konnte das nicht gelingen.

Wahrscheinlich hatte inzwischen die Ernüchterung über die „Days of Rage“ eingesetzt. Viele Weathermen waren verhaftet worden und nur gegen hohe Kautionszahlungen wieder freigekommen. Sehr tief saß die Enttäuschung über die jungen Arbeiter, die dem Straßenkampf ferngeblieben waren. Für die Weathermen stand nun fest, dass die meisten weißen Amerikaner, auch die Arbeiter, rassistisch waren und korrumpiert durch die Privilegien, die ihnen dank ihrer Hautfarbe zuwuchsen („white skin privilege“). Nachdem der Versuch gescheitert war, das weiße Proletariat zu integrieren, musste die Revolution auf andere Weise vonstatten gehen. Aus einer beim „War Council“ vorgelegten Verlautbarung:

Der bewaffnete Kampf beginnt, wenn einer damit anfängt. Der internationale revolutionäre Krieg ist eine Realität, und über ‚die richtige Zeit und die richtigen Bedingungen’ zu debattieren, um den Kampf zu beginnen, oder über eine Phase der Arbeit, die notwendig ist, um das Volk auf die Revolution vorzubereiten, ist reaktionär. Gegen den Staat KRIEG ZU FÜHREN erschafft sowohl das Bewusstsein wie auch die Bedingungen für die Ausweitung des Kampfes, macht öffentliche revolutionäre Politik, beweist, dass es möglich ist, für Bewegung zu sorgen und dass es eine Organisation mit einer Strategie gibt.

Oder, in einem Satz:

Wir müssen den Zerfall der Gesellschaft erzwingen, indem wir da, wo jetzt die Ordnung der Schweine herrscht, ein strategisches bewaffnetes Chaos erzeugen.

Nach den „Days of Rage“ wurden zwölf Aktivisten aus der Führungsriege angeklagt, in aufwieglerischer Absicht die Grenzen von Bundesstaaten überquert zu haben. Das erfüllte den Tatbestand der Verschwörung und konnte mit hohen Haftstrafen geahndet werden. Niemand von den Angeklagten – darunter Bernardine Dohrn, Mark Rudd und Bill Ayers – erschien zum Prozess. Von da an wurden sie mit internationalem Haftbefehl gesucht. Im Februar gab es Bombenanschläge auf einen Richter in New York und auf ein Polizeirevier in San Francisco. Ein Polizist wurde getötet, ein anderer schwer verletzt. Beide Anschläge werden gelegentlich den Weathermen zur Last gelegt. Es gibt dafür keine Beweise, niemand hat sich zu ihnen bekannt, und es wurde nie Anklage erhoben.

Explosion in Greenwich Village: Weatherman taucht ab

Am 6. März 1970 gab es eine Explosion in einem Haus in Greenwich Village. Dabei starben drei Aktivisten; eines der Opfer war Diana Oughton, die Freundin von Bill Ayers. Offenbar hatten sie versucht, eine Bombe zu bauen, und dabei war etwas schiefgegangen. Bis heute wird darüber gestritten, ob die Weathermen ohne das Unglück mit ihrer Bombe andere Menschen getötet hätten und wenn ja, wie viele? Vielleicht hatten sie wirklich vor, Polizisten, Soldaten, Richter oder Politiker umzubringen und alles hätte sich so entwickelt wie bei der RAF, wenn die Bombe am 6. März nicht explodiert wäre. Das wird für immer ein Gedankenspiel bleiben.

Die Explosion in Greenwich Village war jedenfalls ein Schock. Aus der oft bekundeten Bereitschaft, für die Revolution sterben zu wollen, war plötzlich Realität geworden. Das endgültige Abtauchen der führenden Mitglieder in den Untergrund wird oft als spontane Reaktion auf diese Explosion gedeutet. Es muss aber von langer Hand vorbereitet gewesen sein, weil sich die Weathermen sonst nicht so lange der Verhaftung hätten entziehen können. Die linken Studentengruppen waren noch mehr mit V-Männern durchsetzt als bei uns die NPD. Die Weather Underground Organization (WUO), wie sie sich jetzt nannte, war in relativ kleinen Kollektiven organisiert, die nicht viel übereinander wussten und die nur durch einige wenige Personen miteinander in Verbindung standen. Dem FBI scheint es nie gelungen zu sein, eine dieser Zellen zu unterwandern.

Bernardine Dohrn

Am 21. Mai 1970 meldete sich die WUO mit dem “Communiqué #1” zu Wort. Bernardine Dohrn teilte darin mit, dass man dabei sei, die Strategie des Vietkong und der Tupamaros in Uruguay an die amerikanischen Verhältnisse anzupassen. In den USA gebe es jetzt weiße Revolutionäre, die nie umkehren würden und schwarze Revolutionäre, die nie mehr allein würden kämpfen müssen. Die neu formierte Stadtguerilla werde innerhalb von zwei Wochen „ein Symbol oder eine Institution der amerikanischen Ungerechtigkeit“ angreifen. Es dauerte dann doch etwas länger. Am 9. Juni explodierte eine Bombe in einem New Yorker Polizeirevier. Es entstand nur Sachschaden. Nach der Katastrophe von Greenwich Village verwandte die WUO viel Zeit auf genaue Planung und eine sachgemäße Herstellung der Sprengsätze. Vor jedem Anschlag gab es eine Warnung, die ausreichend Zeit für Evakuierungsmaßnahmen ließ; in einem Bekennerschreiben wurde erklärt, warum das betreffende Ziel ausgewählt worden war und was damit gerächt werden sollte.

Am 23. Juli gab Nixons Justizminister John Mitchell bekannt, dass gegen 13 Weathermen Anklage erhoben worden sei (zehn von ihnen wurden bereits steckbrieflich gesucht). Der Vorwurf: Verschwörung zu dem Zweck, überall im Land Polizeireviere und andere staatliche Einrichtungen in die Luft zu sprengen und dabei die in den Gebäuden befindlichen Menschen zu töten. Weatherman antwortete mit dem „Communiqué #3“ (26. Juli), das eine Aktion anlässlich des Jahrestages der kubanischen Revolution ankündigte und auch eine Botschaft an John Mitchell enthielt: „Such nicht nach uns, du Hund; wir finden dich zuerst.“ Tags darauf explodierte im Eingang einer Filiale der Bank of America in Manhattan eine Rohrbombe. Wieder wurde niemand verletzt.