Sarah Palin trifft den Wettermann

Seite 5: Kaffeeklatsch bei Bill und Bernardine: Obama wird „Sympathisant“

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Diverse Ex-Weathermen haben inzwischen Bücher geschrieben, um die Deutungshoheit über das zu erlangen, was gewesen ist. Bill Ayers hatte Pech. Der offizielle Erscheinungstermin seiner Memoiren, Fugitive Days, war der 10. September 2001. Im Vorfeld gab er einige Interviews, die nach dem Erscheinen des Buches veröffentlicht wurden und Aussagen enthielten, die er bestimmt anders formuliert hätte, wenn er gewusst hätte, was am 11. September passieren würde. Sätze wie “Es tut mir nicht leid, dass wir Bomben gelegt haben” und “Ich denke, dass wir nicht genug getan haben“ hatten nach 9/11 einen ganz anderen Klang als vorher. Seither macht er immer wieder Anläufe, um zu erklären, dass er nur vom Widerstand gegen den Vietnamkrieg gesprochen hat, dass damit keine neuen terroristischen Anschläge gemeint waren und schon gar nicht das Ermorden anderer Menschen. Viel genützt hat es ihm nicht.

Ayers, Dohrn und das Ehepaar Obama haben Wohnungen im selben Viertel von Chicago. 1995, als Barack Obama das erste Mal für den US-Senat kandidierte, lud Ayers Anhänger der Demokratischen Partei zum Kaffeeklatsch in seine Wohnung; Zweck der Veranstaltung war es, Geld für Obamas Wahlkampf zu sammeln. Anfang dieses Jahrtausends engagierten sich sowohl Ayers als auch Obama in zwei wohltätigen Organisationen in Chicago. Beide nahmen an einer Veranstaltung teil, bei der über eine Schulreform diskutiert wurde. 2001, als die Wiederwahl des Senators Obama anstand, spendete Bill Ayers 200 Dollar. Diese äußerst belastenden Fakten hat schon das Wahlkampfteam von Hillary Clinton zutage gefördert. Eher unentschlossene Clinton-Versuche, sie im Vorwahlkampf der Demokraten gegen Obama einzusetzen, als dieser plötzlich in Front lag, wurden eingestellt, weil sie drohten, nach hinten loszugehen. In amerikanischen Wahlkämpfen sind solche Attacken durchaus üblich. Es gibt sogar einen Fachausdruck dafür: character assassination.

Im stark nach rechts tendierenden Medienhaus FOX, steht zu vermuten, gruselt man sich in diesen Tagen bei dem Gedanken, dass man im Falle von Obamas Wahl zum Präsidenten auf die Liste derer geraten könnte, die dem schwarzen Senator den Weg ins Weiße Haus geebnet haben. Denn der Held von Jack Bauer (Kiefer Sutherland), der in der von FOX produzierten Serie 24 seit Jahren die Welt rettet, heißt David Palmer (Dennis Haysbert) und ist der erste schwarze US-Präsident. Ein Schwarzer als Präsident: die Serie hat dazu beigetragen, dass sich das Wahlvolk an diesen Gedanken gewöhnen konnte. FOX zeigt tätige Reue und ist seit einiger Zeit darum bemüht, die Obama-Gegner mit belastendem Material zu versorgen.

Sarah Palin liest die 'New York Times'

Bei FOX News hat man sich daran erinnert, dass Bill Ayers dem Sender 2004 ein ausführliches Interview gegeben hat. In diesem August wurde noch einmal aufgewärmt, was Ayers damals gesagt hat: dass er die Weathermen nicht als Terroristen bezeichnen würde; dass irgendwann deutlich werden wird, dass die Weathermen auf der Seite der Gerechtigkeit standen; dass 9/11 „ein Akt reinen Terrors“ war; dass die US-Regierung vergleichbare Terrorakte begangen hat; und dass Terrorismus „immer falsch, immer böse“ ist. Man erfährt sogar, dass Ayers nach 9/11 geweint hat. Offenbar hat auch Bernardine Dohrn geweint, denn Bill Ayers glaubt, dass in den Wochen nach 9/11 alle Amerikaner geweint haben mit Ausnahme von denen, die schnell neue Gesetze in den Computer getippt haben, um ihre reaktionären Ziele zu verfolgen, weshalb jetzt „jeder Uterus überprüft, jeder Baum gefällt und jedes Ölbohrloch gegraben werden muss“.

Der Anlass für das 2004 geführte Interview war übrigens das Erscheinen eines Buchs über John Mitchells Verwicklung in den Watergate-Skandal. Jetzt, in der aufgewärmten Fassung von 2008, wird mit einem verwegenen Schachzug Ayers’ Beziehung zu Nixons Justizminister (der eine hat in den 1970ern versucht, den anderen hinter Gitter zu bringen) durch die zu Obama ersetzt (der eine hat 1995 zugunsten des anderen eine „informelle Wahlveranstaltung“ organisiert). Das hat gut funktioniert. Was von all dem haften blieb, ist im Wesentlichen eine Überschrift („Ayers ohne Reue wegen Gewalt von radikaler Gruppe in 1960ern, 1970ern“) und ein langer, etwas verschachtelter Satz, der sich, wenn man ihn zitieren will, sehr schön verkürzen lässt:

Ayers […] hat dabei geholfen, Obamas politische Karriere in Gang zu bringen […].

So etwas ruft natürlich die Konkurrenz auf den Plan. Der Nachrichtensender CNN, der mit FOX News um Einschaltquoten kämpft, hat gemeldet, dass Obamas Beziehung zu Ayers ganz harmlos ist. Auch als liberal geltende Blätter wie die New York Times haben recherchiert und dann berichtet, dass nichts zu finden war, was darauf schließen lässt, dass Obama mit Terroristen sympathisieren könnte. Schon hat man ein paar zitierbare Sätze aus Medien, die nicht im Verdacht stehen, rechte Propaganda zu betreiben. Mit solchen Sätzen hantieren jetzt die Redenschreiber von Sarah Palin, die liebend gern Bäume fällen und Ölbohrlöcher graben würde (das mit dem Uterus wollen wir nicht weiter beleuchten).

„Unser Gegner“, so Sarah Pailin bei einer Wahlveranstaltung, „ist jemand, der Amerika scheinbar als so unvollkommen wahrnimmt, dass er sich mit Terroristen abgibt, die ihr eigenes Land ins Visier nehmen.“ Denn Obama kennt Bill Ayers. Und Ayers war (ist?) ein Terrorist. Das, so Palin, hat sie nicht irgendwo gelesen, sondern in der New York Times. Ist das jetzt zynisch? Das zeigt, dass jetzt Profis am Werk sind, würde Steve Schmidt sagen. Schmidt hat sein Handwerk bei Bush und Cheney gelernt. Seit John McCains Umfragewerte sinken, gewinnt er immer mehr Einfluss auf dessen Wahlkampagne. Und was macht Bill Ayers? Im Vergleich zu Richard Nixon, zur Rüstungsindustrie und zum Krieg in Vietnam, hat er 2004 dem FOX-Reporter erzählt, waren die Weathermen ein ziemlich harmloser Haufen. Jetzt, vier Jahre später, könnte er am Ende wieder – Sorry, Bill! – als der nützliche Idiot dastehen, der er schon für Nixon war.

Joe Wurtzelberger und der Terrorismus

Im Moment will die republikanische Strategie der character assassination nicht recht gelingen. Ungünstig wirkt sich aus, dass auch Sarah Palin – wie vor ihr die Weathermen – keinen Unterschied zwischen privatem und politischem Leben gemacht und in ihrer Eigenschaft als Gouverneurin von Alaska nach einem erbitterten Scheidungskrieg einen Rachefeldzug gegen Trooper Wooten geführt hat, den Ex-Mann ihrer Schwester („Trooper-Gate“). Gravierender dürfte allerdings sein, dass das große Publikum derzeit voller Schrecken auf die Wall Street starrt, wo ein Spektakel namens „Finanzkrise“ aufgeführt wird und den Eindruck vermittelt, als sei der Kapitalismus gerade dabei, sich selbst den Garaus zu machen.

Aber während McCain anfangs noch sehr vorsichtig war, gerät Bill Ayers seit einigen Wochen immer mehr ins Zentrum seines Wahlkampfs. Einen Vorgeschmack auf das, was uns noch erwarten könnte, haben wir im letzten TV-Duell der Kandidaten bekommen. Wenn Richard Nixon volkstümlich wirken wollte, sprach er bei öffentlichen Auftritten gern einen imaginären Durchschnittsamerikaner namens „Joe Sixpack“ an. John McCain hat ihn beim Duell mit Obama wieder aufleben lassen – in Gestalt von „Joe the Plumber“. Der Held des Vietnamkriegs stellt sich damit in eine Tradition, angesichts derer einem leicht unheimlich werden kann. „Joe the Plumber“ hat er versprochen, ihn vor Klassenkampf, Steuererhöhungen und „Leuten, die uns nicht mögen“ zu beschützen. (Als Demagoge war Nixon besser. Oberstes Gebot: Die Dinge einfach halten. „Joe der Klempner“ hätte völlig ausgereicht. Der real existierende Joe heißt mit vollem Namen Samuel Joseph Wurzelbacher oder vielleicht auch – das ist noch nicht entschieden – Worzelbacher. Er heißt sicher nicht, wie von McCain im Fernsehen behauptet, „Wurtzelberger“. Jetzt stimmt der bekennende Republikaner aus Ohio am Ende noch für die Demokraten.)

Obama, so McCain, habe in Ayers’ Wohnzimmer seine Kampagne gestartet. Es müsse endlich aufgeklärt werden, welche Beziehung sein Gegner zu diesem Terroristen hat. Das impliziert, dass es da noch etwas gibt, das man aufklären kann und das bislang niemand entdeckt hat, nicht FOX News und nicht die New York Times. Bisher elektrisieren solche dumpfen Andeutungen nur die Fans von Sarah Palin, die Obama sowieso nie wählen würden und bei Wahlveranstaltungen bereits dessen Kopf fordern. Wenn aber morgen irgendein Islamist einen Bombenanschlag verübt, steht der „Krieg gegen den Terror“ wieder ganz oben auf der Tagesordnung. Viele von den Joe Wurtzelbergers werden Barack Obama dann nicht abnehmen, dass er diesen Krieg glaubhaft führen kann. Denn Obama hat 200 Dollar von dem Mann genommen, der den Vietnamkrieg beenden und den Kapitalismus vernichten wollte, indem er eine leere Damentoilette in die Luft sprengte.