Sarah Palin trifft den Wettermann
Seite 4: Linke Spinner und brave Archivare: Ein Film verschwindet
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Das Ganze führte zu einem juristischen Schlagabtausch, den de Antonio gewann, weil ihm in Leonard Boudin (der Vater von Kathy Boudin) ein sehr fähiger Anwalt zur Seite stand und weil die Behörden keine Zensurdebatte riskieren wollten, nachdem sich zahlreiche Hollywood-Persönlichkeiten öffentlich hinter de Antonio gestellt hatten. Den Text der Solidaritätsadresse und die Namen der Unterzeichner (Warren Beatty, Harry Belafonte, Jeff Bridges, Mel Brooks, William Friedkin etc.) kann man in den Congressional Records (30. Juli 1975) nachlesen, weil der Abgeordnete Larry McDonald aus Georgia den ungeheuerlichen Vorgang im Parlament anprangerte:
Herr Präsident, die Terroristen von der Weather Underground Organization haben die Verantwortung für eine ganze Serie von Bombenanschlägen übernommen, darunter einen genau hier im Kapitol und einen im Außenministerium Anfang diesen Jahres. Jetzt plant eine Gruppe von linken Spinnern aus Hollywood einen Hochjubelungs- und Propagandastreifen über diese Kriminellen.
Der Rädelsführer der Hollywood-Bande ist der berüchtigte Emile de Antonio, der Schöpfer einer Reihe von pseudodokumentarischen linken Propagandafilmen, darunter einer, in dem der verstorbene Senator Joseph McCarthy mit Dreck beworfen wird und einer, der die kommunistischen Aggressoren in Vietnam unterstützt.
Und so weiter. Nach einjähriger Unterbrechung konnte de Antonio den Film doch noch fertigstellen. Das FBI sann auf Rache. Einige Jahre vorher hatte jemand das Nixon-Archiv des Fernsehsenders NBC entwendet, bei de Antonio angerufen und ihm das Material angeboten. Einzige Bedingung: er müsse einen Film daraus machen. Millhouse: A White Comedy (1971) ist eine bissige Collage, deren Teile so montiert sind, dass sich jeder Off-Kommentar erübrigt. De Antonio hatte das bereits einen Platz auf Nixons Feindesliste beschert. Jetzt versuchte man, ihn wegen Hehlerei und Verstößen gegen das Copyright zu belangen und ihn so in die Knie zu zwingen. Das scheiterte an den Verantwortlichen des Senders. Bei NBC wollte man nicht zugeben, dass jemand 500 Filmrollen aus dem Archiv geklaut hatte. Das wäre zu peinlich gewesen.
Mit Underground wurde de Antonio zum Filmfestival in Cannes eingeladen. Dann wurde er wieder ausgeladen. Begründung: Der Film habe nicht die richtige Millimeterbreite und könne mit den in Cannes vorrätigen Projektoren nicht gezeigt werden. Ohne Begründung wurde das geplante Buch zum Film beerdigt. Der amerikanische Verlag wollte das Projekt so dringend loswerden, dass er gern auf den bereits ausbezahlten Vorschuss von 12 500 Dollar verzichtete. Der amerikanische Verleih, der sich Underground gesichert hatte, tat alles, um aus dem Vertrag wieder herauszukommen.
1977 verkaufte de Antonio Underground an den WDR, wo er prompt im Archiv verschwand. „Unser Argument“, so 1984 ein WDR-Redakteur, „dass es sich um ein Zeitdokument handelt, das einen hohen Informationswert hat, war damals von der Hierarchie des Hauses nicht akzeptiert worden. Unser damaliger Programmbereichsleiter und jetziger Direktor der Bavaria, Dr. Rohrbach, hielt den Film für einseitige Agitation und gab nicht seine Zustimmung, den Film auszustrahlen.“ Dr. Rohrbach wollte sich wohl keinen Ärger einhandeln, oder er hat nicht genau hingeschaut. Der Film macht keinen Hehl aus seiner generellen Sympathie für die WUO, aber verklärt wird bei de Antonio grundsätzlich nichts. Man spürt, wie aufgeladen die Atmosphäre war, in der die Aufnahmen entstanden sind. De Antonio, der Enkel eines Philosophie-Professors, war sehr bewandert in politischer Theorie. Durch den marxistisch-leninistischen Jargon war er nicht zu beeindrucken, die übliche Phrasendrescherei wollte er nicht hören:
Ich hielt die Weather-Leute für unglaublich arrogant. [...] Ich wollte, dass sie – und ursprünglich hatten sie dem auch zugestimmt – erzählten, wie sie da hingekommen waren, wo sie sich jetzt befanden. Mit anderen Worten: wie wurden Leute, die im Grunde zur Mittelschicht gehörten (und einige von ihnen kamen sogar aus der Oberschicht) Revolutionäre, die einen Untergrundkrieg gegen die Regierung führten? Das, hatte ich gedacht, war die Geschichte, die wir erzählen wollten, und als wir dann selbst im Untergrund waren, machten sie plötzlich ihr eigenes Ding. Wir stritten uns, und diesen Streit wollte ich im Film haben. […] Ich hatte das Gefühl, dass diese abstrakte politische Terminologie allen scheißegal ist. Sehr politisch eingestellte Menschen in Amerika, besonders solche SDS-Leute, haben fast gar kein theoretisches Fundament, auf das sie sich beziehen können. Jedes Mal, wenn ich sie über Lenin oder Mao reden hörte, setzte mein Herz einen Augenblick lang aus, weil das nie etwas anderes war als das, was sie in Prairie Fire geschrieben hatten. Ich dagegen dachte, dass die menschliche Seite das Faszinierende gewesen wäre.
Revolution mit Bonusmaterial
De Antonios Lösung: Er borgte sich bei Saul Landau, Chris Marker und anderen befreundeten Filmemachern ergänzendes Material über Malcolm X, Fred Hampton, Fidel Castro, Ho Chi Minh, Friedensdemos, Polizeiaufmärsche und das Pentagon. So wurde aus Underground auch eine Bestandsaufahme zur linken Protestbewegung der 60er und 70er Jahre – und ein Schatzkästlein mit seltenen Bild- und Tonaufnahmen.
1984 „befreite“ de Antonio die vom WDR erworbene Filmkopie aus dem Archiv des Senders. Underground wurde dann im Tübinger Arsenal gezeigt, beim Filmfest in Hof und in ein paar Programmkinos. Das ist lange her. In den USA sind inzwischen einige Filme von de Antonio auf DVD erschienen. Underground ist nicht dabei. Inzwischen gibt es einen Dokumentarfilm von Sam Green and Bill Siegel, The Weather Underground, der sehr informativ (und manchmal sehr selektiv) ist, den Film von de Antonio aber nicht ersetzen kann. In den Extras der DVD-Ausgabe sind wenigstens ein paar Ausschnitte von Underground enthalten. Bernardine Dohrn und Bill Ayers dürfen zum Hauptfilm einen Audiokommentar sprechen. Auch das ist ein interessanter Karriereweg: Vom Revolutionär zum Bonusmaterial.
Wer Underground komplett sehen will, braucht viel Glück, muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Das ist schade. Bei de Antonio erfährt man viel mehr über die Studentenbewegung, den Terrorismus und das Leben im Untergrund als in einem ziemlich überflüssigen Epos wie Der Baader-Meinhof-Komplex, in dem brav abgearbeitet wird, was in Stefan Austs Buchvorlage als wichtig präsentiert wird und wo die Terroristen zur Information immer die Tagesschau der ARD einschalten, weil mehrere ARD-Anstalten einen beträchtlichen Teil der Produktionskosten übernommen haben (eine besonders unappetitliche Form von Product Placement, für die wir auch noch doppelt bezahlen: an der Kinokasse und mit unseren Rundfunkgebühren). Für einen winzigen Bruchteil dieser Kosten könnte man Underground allgemein zugänglich machen, am besten mit den anderen Werken des Regisseurs. Das wäre auch eine schöne Aufgabe für unsere Zeitungen und Magazine, die uns immer neue DVD-Reihen verkaufen wollen. Nichts gegen Fische, aber: Eine „Emile de Antonio Box“ wäre mindestens so verdienstvoll wie die DVD-Edition mit Tauchfilmen von Jacques Cousteau.
„Sie waren“, sagt de Antonio in einem Interview über die Weathermen, „der letzte Seufzer einer Bewegung, deren Entwicklung ich seit den frühen SDS-Tagen verfolgt hatte. Es ist ein Film über etwas, das zuende geht, nicht darüber, wie das Leben weitergehen wird. Es geht um das Ende der wichtigsten politischen Organisation dieser Generation.“ Zumindest ein Teil der Gruppe scheint das ähnlich gesehen zu haben, obwohl sich die fünf Untergrundkämpfer in Underground alle Mühe geben, siegessicher zu wirken und zu bekräftigen, dass die Revolution unmittelbar bevorsteht. In der zweiten Hälfte der 70er zerfiel die WOU in zwei Fraktionen, die „May 19 Coalition“ und das „Prairie Fire Collective“. Die Koalition blieb im Untergrund und führte – unter wechselnden Namen und in verschiedenen Bündnissen mit anderen radikalen Gruppen – noch eine Weile lang Anschläge auf US-Institutionen aus. Das „Präriefeuer-Kollektiv“ um Bernardine Dohrn und Bill Ayers erwog, wieder aufzutauchen und sich den Behörden zu stellen. Diese Überlegungen wurden dadurch befördert, dass aus einem FBI-Büro Geheimakten gestohlen worden waren, mit denen sich allerlei illegale Aktivitäten der Ordnungshüter beweisen ließen, von Durchsuchungen über Abhöraktionen bis zur Einschüchterung. Das führte zu einigen Anklagen gegen FBI-Agenten und zu der Empfehlung, die Anklagepunkte gegen Weatherman-Mitglieder, die mit Sprengsätzen, Waffen und Verschwörungen zu tun hatten, fallen zu lassen.
Robin Hood wird monogam
Kathy Boudin fühlte sich dem „19. Mai“ (der Geburtstag von Ho Chi Minh) zugehörig, der mit der „Black Liberation Front“ fusionierte. Am 20. Oktober 1981 überfiel sie mit ihrem Lebensgefährten David Gilbert, anderen Weather-Mitgliedern und einigen Front-Aktivisten einen Geldtransporter der Firma Brinks. Der offenbar sehr stümperhaft geplante und ausgeführte Überfall, nach dem auf beiden Seiten Tote und Verletzte zu beklagen waren, gilt als das unrühmliche Ende der Weather Underground Organization. Am günstigsten (20 Jahre bis lebenslänglich) kam noch Kathy Boudin davon, die einen Anwalt aus der Kanzlei ihres Vaters mit ihrer Verteidigung beauftragte. Im Gefängnis betreute sie AIDS-Kranke und werdende Mütter, und sie entwickelte ein Programm, das Strafgefangenen zu einem College-Abschluss verhilft. 2003 kam sie auf Bewährung frei und trat eine Stelle in einer AIDS-Klinik an. Ihre mehrheitlich zu dreimal 25 Jahren verurteilten Mittäter sitzen bis heute im Gefängnis. Die Chancen, demnächst entlassen zu werden, sind gering.
Für Weatherman-Mitglieder durfte es keinen Unterschied zwischen der politischen Arbeit und dem Privatleben geben. Bürgerliche Daseinsformen wie die Monogamie waren verpönt. Ironischerweise scheint für einige der Kämpfer, nachdem sie in den Untergrund gegangen waren, die bürgerliche Kleinfamilie zum wichtigsten Halt geworden zu sein. Bernardine Dohrn und Bill Ayers wurden ein Ehepaar und bekamen zwei Kinder. Unbürgerlich daran war allerdings, dass sie immer auf der Hut vor dem FBI sein mussten, mit falschen Namen und Papieren lebten und oft Wohnort und Arbeitsplatz wechselten. 1988 hat Sidney Lumet aus dieser Konstellation einen sehenswerten, ganz unspektakulären Film gemacht: Running on Empty. (Christian Petzold erzählt in Die innere Sicherheit eine sehr ähnliche, auf deutsche Verhältnisse übertragene Geschichte.)
Die Sorge um das Wohl der Kinder war ein wesentlicher Grund dafür, dass Dohrn und Ayers schließlich wieder auftauchten. Als sie sich 1980 den Behörden stellten, fand das ein großes Medienecho. Beide erhielten Bewährungsstrafen; nach der Verurteilung von Kathy Boudin und David Gilbert wegen des Überfalls auf den Geldtransporter wurde ihnen die Vormundschaft über deren Sohn übertragen. Dohrn hatte bis zu ihrem Abtauchen Jura studiert und arbeitete von 1984 bis 1988 in einer sehr angesehenen Chicagoer Anwaltskanzlei, deren Seniorchef mit ihrem Schwiegervater befreundet war. Versuche, in die Anwaltskammern von Illinois oder New York aufgenommen zu werden, scheiterten an ihrer kriminellen Vergangenheit und daran, dass sie sich nicht zu den oft einstudiert wirkenden Zerknirschungs- und Entschuldigungsritualen durchringen konnte, die in solchen Fällen üblich sind. Es half auch nicht, dass sie lieber ein Jahr im Gefängnis absitzen wollte, als gegen eine ehemalige Mitstreiterin auszusagen.
1991 erhielt Bernardine Dohrn unter etwas dubiosen Umständen eine außerordentliche Professur an der juristischen Fakultät der Northern University in Chicago. Bill Ayers promovierte und wurde Pädagogik-Professor an der University of Illinois, ebenfalls in Chicago. Er und seine Frau engagieren sich in zahlreichen Wohltätigkeits- und Bürgerrechtsprojekten.