Sarkozy, "homme pressé"

Der neue französische Präsident setzt erste Zeichen, nicht nur mit der Umarmung von Merkel anstelle des von Chirac zelebrierten Handkusses

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“Als Mann, der es stets eilig hat, kam Monsieur Sarkozy zwei Minuten zu früh.“ Unter dieser Überschrift beschreibt die Pariser Abendzeitung Le Monde" in ihrer Freitagsausgabe die Amtsübergabe von Präsident Jacques Chirac an seinen Nachfolger Nicolas Sarkozy, die an diesem Mittwoch stattfand. Statt, wie vom Protokoll vorgesehen, um 11 Uhr hatte Sarkozy um 10.58 Uhr im Elysée-Palast Einzug gehalten. Die Zeitung betrachtet es als ein Symbol, und ihre Formulierung "homme pressé" bezeichnet dabei indirekt jemanden, der hoch hinaus will – und es in diesem Falle bereits hoch hinaus schaffte. Seinen ersten Antrittsbesuch stattete der neue französische Präsident noch am späten Nachmittag desselben Tages in Berlin ab. Am Freitag wird er seine neue Regierung vorstellen, die am Abend zu ihrer ersten Kabinettssitzung zusammentreten wird. Die ersten Konturen des “Sarkozyismus“ an der Macht werden sichtbar.

Sarkozy überbietet Chirac bei seinem ersten Besuch bei Bundeskanzlerin Merkel und demonstriert französische Nähe. Bild: elysee.fr

In der vergangenen Woche – nach seiner Wahl, aber einige Tage vor der Amtsübergabe -- war Nicolas Sarkozy zunächst noch mit Kritik konfrontiert worden. Am Abend des Wahlsonntags hatte er bekanntlich seine versammelten Anhänger frühzeitig verlassen, um sich in Luxusrestaurant Le Fouquet’s auf den Champs-Elysées zu begeben, und von dort in ein Fünf-Sterne-Hotel, wo er die Nacht verbrachte - in fünf Autominuten Entfernung von seinem Wohnsitz im Pariser Nobelvorort Neuilly-sur-Seine. In den folgenden drei Tagen hatte er sich “zum Nachdenken zurückgezogen“, wie es hieß, aber alsbald wurde bekannt, dass er sich auf einer luxuriösen Yacht auf dem Weg von Malta nach Sizilien befand. Journalisten und Paparazzi waren Sarkozy alsbald auf der Spur.

Keine Frage der guten Sitten

Manche Betrachter in Frankreich und im Ausland betrachteten dies als “schamlose“ Zurschaustellung von Reichtum bzw. Freundschaften zu schwerreichen Herren. Denn die Yacht Paloma und der Privatjet, der im Einsatz die bescheidene Summe von 7.000 Euro stündlich kostet, wurden dem frisch gewählten Präsidenten von dem befreundeten Unternehmer Vincent Bolloré kostenlos zur Verfügung gestellt. Die parlamentarische Opposition und ein Teil der Medien waren pikiert und sprachen von den Sitten eines Parvenüs.

Es ist aber nicht sicher, ob diese Kritik von den Wählern Sarkozys in ihrer Mehrheit geteilt wird. Hatte doch das Beispiel Silvio Berlusconis - mit dem der Philosoph Alain Finkielkraut, im Wahlkampf ein Unterstützer des konservativen Kandidaten Sarkozy, den neu gewählten Präsidenten am vorigen Donnerstag in einem Kurzbeitrag für Le Monde verglich – eher gezeigt, dass eine gewisse Dosis Unverfrorenheit in dieser Hinsicht durch die Anhänger sogar eher honoriert wird: Träumt doch manch einer unter ihnen davon, auf ähnlich schamlose Weise im eigenen Wirkungskreis zu reüssieren, und fühlt sich darin vom prominenten Vorbild eher beflügelt. Ansonsten können die beiden Politiker freilich kaum miteinander verglichen werden, da sich die Machtfülle des französischen Präsidenten und des italienischen Regierungschefs, aber auch die Rolle des Staates und die Nähe zu ihm in beiden Gesellschaften, erheblich unterscheiden.

Vor allem aber verdeckt diese Kritik an Sarkozys Auftritt den Blick auf das Wesentliche. Denn viel wichtiger als die Frage der Sitten sind die strukturellen Beziehungen, auf die das Geschenk von Konzernchef Bolloré hinweist. Um den Stänkerern den Wind aus den Segeln zu nehmen, hatten Sarkozys Berater alsbald betont: “Diese Reise hat die französische Republik keinen Cent gekostet.“ Was wiederum die Aufmerksamkeit auf die möglichen Interessen Bollorés und seine Verbindungen zum französischen Staat lenkte. Der Großunternehmer beeilte sich seinerseits zu versichern, er tätige kaum nennenswerte Geschäfte mit der öffentlichen Hand. Und wo dies doch der Fall sei – seine Filiale SDV transportiert das Reisegepäck französischer Diplomaten - fielen sie anteilsmäßig nicht ins Gewicht, sondern repräsentierten nur einen marginalen Anteil an seinem Umsatz.

Doch die Pariser Wochenzeitung "Le Canard enchaîné" korrigiert diese Darstellung im Nachhinein: Auch wenn dies zutreffe, könne man sich das Wirken des Konzerns, der u.a. im Medien-, Transport- und Infrastruktursektor tätig ist, ohne gute Beziehungen zu staatlichen Stellen kaum vorstellen. So hat Bolloré im vorigen Jahr 16 von insgesamt 49 regionalen Lizenzen für die Zulassung von Wimax zugesprochen bekommen. Vor allem aber tätigt der Konzern ein Fünftel seines Geschäfts auf dem afrikanischen Kontinent, wo ihm beispielsweise ein Großteil der Hafenanlagen und ähnlicher Infrastruktur in Ländern wie der Côte d’Ivoire oder Togo gehören; Kritiker bezeichnen seine dortigen Praktiken als neokolonial. "Canard enchaîné" erinnert daran, dass Bolloré seine dortigen Geschäfte nicht ohne permanente gegenseitige Rückendeckung zwischen dem Konzern und dem französischen Staat tätigen könne, da er sonst in den armen Ländern mit notorisch korrupten Verwaltungsapparaten ständig wachsenden Forderungen seitens der örtlichen Behörden ausgesetzt wäre. Umgekehrt überlasse die französische öffentliche Hand den Privatkonzernen auch gern mal so manche schmutzige Seite des Geschäfts der Einflussnahme.

Vincent Bolloré ist damit zwar nicht, oder nicht in gröberem Ausmaß, direkter Auftragnehmer der französischen Republik. Wohl aber ist er ein wichtiger Wirtschaftspartner für ihn. Und entsprechend bestehen Risiken der Bevorzugung gegenüber anderen wirtschaftlichen Akteuren oder aber der Abschirmung gegenüber gesetzlichen Ansprüchen, falls der oberste Dienstherr sich ihm gegenüber als parteilich erweist.

Befürchtungen bei Journalisten

Aus ähnlichen Gründen, aber in umgekehrter Richtung – also im Sinne einer unzulässigen Begünstigung Nicolas Sarkozys -, geben die Beziehungen des neuen Präsidenten zu führenden Pressehaus- und Medieneigentümern manchen Journalisten Anlass zur Sorge. "Le Monde" sprach am Montag dieser Woche von “Besorgnis bei den Medien".

Martin Bouygues, der Eigentümer des ersten Fernsehkanals TF1 – der 1987 unter dem damaligen Premierminister Jacques Chirac aufgekauft wurde -, ist der Trauzeuge von Nicolas und Cécilia Sarkozy sowie Taufpate seines jüngsten Sohnes, Louis. Arnaud Lagardère, der Eigentümer eines führenden Medienimperiums und Erbe von Jean-Luc Lagardère, dessen Nachlass durch den früheren Wirtschaftsanwalt Nicolas Sarkozy geregelt worden ist, bezeichnete den nunmehrigen Präsidenten öffentlich als “meinen Bruder“.

Viele halten es daher für plausibel, dass manche Artikel, die dem neuen Staatschef missfallen könnten, nicht erscheinen dürften. Jüngstes Beispiel ist ein Artikel, der am vorigen Wochenende in der Sonntagszeitung "JDD" publiziert werden sollte und demzufolge die Präsidentengattin Cécilia Sarkozy in der Stichwahl am 6. Mai nicht ihre Stimme abgegeben hat. Nicolas und Cécilia Sarkozy haben seit circa zwei Jahren notorische Eheprobleme. Zu Anfang diese Woche wurde die Existenz dieses Artikels bekannt - aber auch die Tatsache, dass er nicht in dem Sonntagsblatt publiziert werden konnte. Dessen Chefredakteur Jacques Espérandieu übernahm freilich gegenüber der Öffentlichkeit die Alleinverantwortung dafür, dass der Text in letzter Minute gekippt worden war, mit der Begründung, eine Überprüfung der Information bei Cécilia Sarkozy hätte stattfinden müssen, sei aber unterblieben. Doch er fügte dann auch noch hinzu: “Ich hatte eine bestimmte Anzahl von Anrufen von Leuten, die auf dem sehr privaten und persönlichen Charakter dieser Information beharrten.“ Nun will aber "Canard enchaîné" wiederum wissen, dass diese nämlichen “Leute“ einen alleinigen Namen hätten, nämlich den von Arnaud Lagardère.

In diesem Falle ging der Schuss freilich vollkommen nach hinten los, denn falls die Information hätte geheim bleiben sollen, war nunmehr das Gegenteil der Fall: Eine Nachrichtenagentur hatte sie am Montag tagsüber verbreitet. Im heutigen Informationszeitalter funktioniert die Zensur im klassischen Sinne eben in der Regel eher schlecht, es sei denn, dass alle von einer Situation Betroffenen wirklich und ausnahmslos dicht halten. Ein viel eher Erfolg versprechendes Rezept als der Versuch einer Unterdrückung missliebiger Nachrichten, dies ist mittlerweile ein Klassiker, ist da immer noch die Übersättigung mit Bildern und Informationen mit mäßigem bis geringem Informationswert. Dafür ist TF1 sicherlich ein höchst geeignetes Instrument.

Das Schaffen so mancher Journalisten ist Nicolas Sarkozy freilich kein Dorn im Auge, wie sich im Zuge der Zusammensetzung seines Mitarbeiterstabs im Elysée-Palast sowie der neuen Regierung erwies. Zwei bisherige politische Journalisten, Catherine Pégard vom konservativen Wochenmagazin Le Point und Miriam Lévy vom Figaro, werden nunmehr Kommunikationsberater von Präsident Sarkozy im erstgenannten und des neuen Premierministers François Fillon im zweiten Falle. Die beiden hatten in den letzten Monaten schwerpunktmäßig den Wahlkampf Sarkozys bzw. den seiner Konkurrentin Ségolène Royal verfolgt und über ihn berichtet. Aber auch umgekehrt funktioniert die Sache mit der Durchlässigkeit der Grenzen ganz gut: Der ehemalige stellvertretende Wahlkampfleiter von Sarkozys UMP, Laurent Solly, wird künftig “für Martin Bouygues arbeiten“, mutmaßlich für dessen Fernsehsender TF1 – den französischen TV-Kanal mit den höchsten Einschaltquoten.

Kurs auf eine nationale Einheitsregierung

Bei der Zusammenstellung seiner Regierung zeigte sich Sarkozy bemüht, seinem Ausspruch vom Wahlkampf gerecht zu werden und als “der Präsident ganz Frankreichs, und nicht eines politischen Lagers“ aufzutreten, also den ideellen Gesamtvereiniger der Nation darzustellen und die Karte der nationalen Einheitsregierung zu spielen. Im Vorfeld der Regierungsbildung, die in der Nacht vom Donnerstag zum Freitag ihren Abschluss finden sollte, hatten Sarkozy und seine Berater schon Tage zuvor Nachrichten über eine “Öffnung zur Linken“ gestreut, im Sinne einer Aufnahme von Mitgliedern der größten Oppositionspartei in die eigene Regierung. Das hatte es noch selten zuvor gegeben. Laut "Le Monde" hatte es dafür bereits “mehrere Monate“ Vorarbeit und Tuchfühlung gegeben. In der Schlussphase des Wahlkampfs hatte es das Sarkozy-Team geschafft, den Eric Besson, ehemaligen wirtschaftspolitischen Sprecher der Gegenkandidatin Ségolène Royal anzuwerben, der sein Amt am 14. Februar infolge von Differenzen niedergelegt hatte. Anstatt eines Ministeriums, wie vermutet worden war, wird Besson nun aber voraussichtlich nur einen Staatssekretärsposten bekommen.

Andere prominente Namen kursierten in den vergangenen anderthalb Wochen: François Mitterrands früherem Vertrauten Hubert Védrine sei das Außenministerium angeboten worden, das er zuletzt unter dem sozialdemokratischen Premierminister Lionel Jospin (1997 bis 2002) besetzte. Védrine lehnte jedoch, seinen Angaben zufolge, ab. Bei anderen Prominenten stießen die Mannen Sarkozys anscheinend eher auf offene Ohren. Der frühere Bildungsminister und Forschungsfunktionär Claude Allègre, der mit seiner (sozialistischen) Partei verkracht ist, in seiner Amtszeit die Lehrergewerkschaften gründlich vergrätzt hat und wegen seiner mitunter höchst notdürftig begründeten Ansichten zu wissenschaftlichen Themen sehr umstritten ist - er leugnet etwa den Klimawandel -, wurde beim Verlassen eines Hinterausgangs bei Sarkozy gesichtet.

Interventionist als Außenminister

Seit Mittwoch steht nun fest, dass der ehemalige sozialdemokratische Gesundheitsminister Bernard Kouchner, früher einer der Gründer der NGO “Ärzte ohne Grenzen“, aller Voraussicht nach neuer Außenminister werden dürfte. Mit seinem Parteivorsitzenden, François Hollande, soll es eine ziemlich trockene Aussprache am Telefon gegeben haben. Kouchner fühlte sich seit Jahren mit seinem Talent bei der Sozialistischen Partei notorisch verkannt. Inhaltlich passt er mit seinem Profil durchaus zur voraussichtlichen Linie der Außenpolitik unter Nicolas Sarkozy, der aller Wahrscheinlichkeit nach eine starke Annäherung an die US-Administration Bush suchen – unter Bruch der Linie seines Amtsvorgängers Jacques Chirac – und militärischen Interventionen der führenden westlichen Mächte relativ positiv gegenüber stehen dürfte. Auch wenn Sarkozy in der Schlussphase des Wahlkampfs, wohl um dieses Profil zu verwischen, die Präsenz der französischen Armee in Afghanistan kritisch bewertet hat.

Nicolas Sarkozy hat in seiner Rede am Wahlabend, nach seinen Worten über die Rückkehr zu positivem Arbeits- und Leistungsbezug (“Respekt, Moral und Autorität“), auch den Einsatz für die Menschenrechte gepriesen und “Frankreich an der Seite der Unterdrückten auf der ganzen Welt“ positioniert. Und damit hatte Sarkozy garantiert nicht die Einführung eines großzügigeren Asylrechts gemeint. Es wird erwartet, dass seine internationale Politik relativ pro-interventionistisch ausfällt.

Bernard Kouchner seinerseits hat 1992, anlässlich der damaligen US-Landung in Mogadischu und dem Beginn der (anderthalb Jahre später gescheiterten) Intervention in Somalia, die Theorie vom “Recht auf Einmischung“ oder "droit d’ingérence" kreiert. 1999 wurde Kouchner Protektoratsverwalter der internationalen Gemeinschaft für das Kosovo, nach dem Krieg der NATO vom Frühjahr desselben Jahres gegen Serbien-Montenegro. Und Anfang 2003 zählte Kouchner zu den relativ wenigen, aber dafür lautstarken prominenten Befürwortern des Angriffs auf den Irak in Frankreich.

Zähneknirschen bei den alten Getreuen

Dabei drohte infolge dieses “Öffnungskurses“ nun in den letzten Tagen manchen der eigenen langjährigen Weggefährten, in die Röhre gucken zu müssen. Nicolas Sarkozy speiste sie zu Wochenanfang mit den Worten ab: “Treue Dienste, das ist gut für die Gefühle, aber zum Regieren benötigt man Effizienz.“

Einige der langjährigen politischen Freunde fühlten sich daher ernsthaft auf den Schlips getreten. Bei einer Versammlung der engeren Parteigänger Sarkozys mokierte sich dessen bisherige “rechte Hand“ Patrick Devedjian: “Ich bin zweihundertprozentig für die totale Öffnung. Sogar bis hin zu den Sarkozy-Anhängern!“ Allem Anschein nach ging Devedjian bei der Zuteilung von Ministerien leer aus. Glaubt man "Le Monde", so gingen sich Devedjian und Brice Hortefeux, der andere einflussreiche Berater des damaligen Innenministers Nicolas Sarkozy, während der letzten fünfjährigen Regierungsperiode, bei der feierlichen Amtsübergabe vom alten zum neuen Präsidenten einander demonstrativ aus dem Wege.

Hortefeux wird nun voraussichtlich das während des Wahlkampfs so heftig umstrittene, und tatsächlich unter diesem Titel geschaffene, Amt des “Ministers für Einwanderung und nationale Identität“ übernehmen. Kouchner soll es zuvor ausgeschlagen haben. Hingegen hat Devedjian am späten Donnerstag eine mögliche Kampfkandidatur gegen Jean-François Copé, den ebenfalls bisher leer ausgegangenen Regierungssprecher von 2002 bis 2007, für den Vorsitz der Parlamentsfraktion der UMP angekündigt.

Sarkozy in Berlin

Während die Freunde in Paris einander vorübergehend spinnefeind zu werden drohten, tauschte Präsident Nicolas Sarkozy am Mittwochabend in Berlin Freundlichkeiten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel aus. Ihr Zusammentreffen symbolisierte vor allem einen symbolischen Generationswechsel an der Spitze beider Länder: Wo Chirac immer altmodische Handküsschen verteilt hatte, küsste Sarkozy seine Amtskollegin ostentativ auf beide Wangen, legte ihr den Arm um die Schulter und duzte sie. Entscheidungen wurden an diesem Mittwoch noch keine getroffen.

Sarkozy hat durch seinen Besuch jedoch unterstrichen, dass die von ihm erwartete Annäherung an Washington D.C. nicht auf Kosten der deutsch-französischen intensiven zwischenstaatlichen Beziehungen gehen solle. Die Freundschaft beider Länder bezeichnete Sarkozy als “heilig“. Ansonsten drückte er aufs Tempo, was die nunmehr zu forcierende Entscheidungsfindung im bilateralen Verhältnis betreffe. Sowohl in der EU-Politik als auch bei der Frage der Neudefinition des – bislang gleichgewichtigen – Kräfteverhältnis beider Staaten beim multinationalen Luftfahrt- und Rüstungsunternehmen EADS mahnte Sarkozy eine baldige Beschlussfassung an. EADS betreffend hatte Nicolas Sarkozy zu Jahresanfang, infolge der Airbus-Krise, “die Besetzung mit Kompetenz statt paritätische Besetzung“ angemahnt. Diese Forderung hat er so am Mittwoch nicht wiederholt.

Die Europäische Union - deren Ratspräsidentschaft die deutsche Kanzlerin zur Zeit inne hat - betreffend, möchte Nicolas Sarkozy bei einer Neuauflage des Verfassungsprozesses auf die Tube drücken. Im Gegensatz zu seiner vormaligen Gegenkandidatin Ségolène Royal wünscht er jedoch keine erneute Abstimmung durch das französische Wahlvolk, das den damals vorgeschlagenen Verfassungsvertrag am 29. Mai 2005 abgelehnt hat.

Bei einem Besuch in Brüssel im September vergangenen Jahres hatte Sarkozy in einem Vortrag ausgemalt, wie er sich eine effizient funktionierende Großmacht EU an der Seite der (für ihn eher verbündeten, denn als Konkurrenten betrachteten) USA vorstellt. Demnach sollte der Text eines neuen “Mini-Vertrages“ für die EU, so Sarkozy damals, im ersten Halbjahr 2007 unter deutscher Ratspräsidentschaft der Union erarbeitet werden. Dieser Zeitplan ist nun so nicht mehr ganz einzuhalten. Im zweiten Teil des kommenden Jahres 2008 solle er dann unter französischer Präsidentschaft ratifiziert und noch vor den Europaparlaments-Wahlen im Juni 2009 anwendbar werden.

Sarkozys EU-Konzeption

So “mini“, wie Sarkozy zum damaligen Zeitpunkt den Eindruck erweckte, soll der Vertrag allerdings auch nicht ausfallen. Das bedeutet, er soll die ersten beiden Kapitel des 2005 am französischen und niederländischen “Nein“ vorläufig gescheiterten Verfassungsentwurfs – über die Institutionen der EU sowie den, allgemein gefassten und kaum verbindlichen, Grundrechtekatalog – übernehmen. Entfallen soll lediglich das dritte Kapitel, das wegen seiner zahllosen wirtschaftsliberalen Vorschriften von den linken Gegnern des Entwurfs in Frankreich besonders angegriffen wurde, dessen Bestimmungen allerdings auch anderswo im EU-Recht verankert sind. Anders als die gescheiterte “Verfassung“ soll der neue Vertrag jedoch nicht durch die Bevölkerung, sondern durch das Parlament ratifiziert werden: Dieses Mal wird also auf Nummer Sicher gegangen...!

Am wichtigsten ist es laut Sarkozy, eine handlungsfähige Führungsspitze auf Unionsebene zu schaffen. Dazu gehört die auch im Verfassungsentwurf enthaltene Idee, je nach Affinität unterschiedlich zusammengesetzte Ländergruppen zu bilden, in denen bestimmte Staaten der EU die Ausarbeitung einer gemeinsamen Politik vertiefen können. “Ich nehme es nicht hin, dass derjenige, der nicht voran gehen will, die Anderen daran hindert, es zu tun“, tönte Sarkozy damals in Brüssel. Als allererstes müsse “der Riegel“ des Einstimmigkeit gesprengt werden, forderte der seinerzeitige französische Innenminister. Denn daran scheiterten viele politische Entscheidungen auf Unionsebene.

Sarkozy nannte konkret die Steuerpolitik, wo die Notwendigkeit der Einstimmigkeit von vielen Regierungen benutzt werde, um sich hinter dem Scheitern einer Einigung zu verstecken und auf nationaler Ebene “Steuerdumping“ zu betreiben. Dadurch erhofft man sich vielerorts, dem nationalen Standort Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Das stimmt tatsächlich, und das Beispiel war geschickt gewählt – freilich steht der neue Präsident ohnehin, auf innerfranzösische Ebene, für eine Politik der Absenkung von Steuern für Besser- und Bestverdienende. Doch Sarkozy möchte auch generell das Einstimmigkeitsprinzip, das viele und vor allem kleinere Staaten der EU vor aufgezwungenen Beschlüssen schützt, kippen. Es soll durch ein Erfordernis “superqualifizierter Mehrheiten“ mit 70 bis 80 Prozent der Stimmen in den EU-Gremien ersetzt werden. Als Anwendungsfelder nannte Sarkozy im September konkret die Einwanderungs- und Asylpolitik. Nicolas Sarkozy hatte zuvor heftig die Legalisierung so genannter illegaler Einwanderer in Spanien und Italien angegriffen, bei denen man andere EU-Länder wie Frankreich überhaupt nicht um ihre Erlaubnis gefragt habe.

Schließlich möchte Sarkozy der EU eine eigene Rechtspersönlichkeit geben, was es der Union erlauben soll, als solche einen Sitz in internationalen Gremien zu bekleiden. Statt der wechselnden Ratspräsidentschaften der EU soll es einen “stabilen Präsidenten“ geben, der vom Parlament gewählt würde, sowie einen gemeinsamen Außenminister. Vor allem aber griff Sarkozy seinerzeit die heikle Frage der Vertretung der einzelnen Länder in der Kommission auf. Derzeit hat jedes der 25 Länder einen eigenen Kommissar, aber ihre Zahl soll zukünftig reduziert werden, um das Gremium “handlungsfähiger“ zu machen. Der Verfassungsentwurf hatte die diesbezügliche Reform auf 2014 verschoben, aber ein Rotationsmodell angestrebt, in dem die Mitgliedsstaaten abwechselnd eine Runde bei der Besetzung der dann 18-köpfigen Kommission aussetzen. Das missfällt Sarkozy, denn für die “großen“ EU-Länder kommt es seiner Auffassung nach nicht in Frage, übergangen werden zu können. “Seiner Auffassung wäre die Kommission tot, wenn eines Tages eine Mehrheit von Kommissaren eine wichtige Entscheidung gegen ein großes Land träfe, das (gerade) nicht vertreten wäre“, zitierte ihn damals die Pariser Tageszeitung Le Figaro. Stattdessen schlug Sarkozy vor, der jeweilige Kommissionspräsident solle sich “seine Mannschaft“ selbst zusammenstellen und dabei die je zu vertretenden Länder aussuchen. Es würde sich also faktisch um eine Art Koalition der Willigen unter besonderer Berücksichtigung der “Größeren“ handeln.

Und dann hält Sarkozy es ferner noch für wichtig, “jetzt klar zu sagen, wer Europäer ist und wer nicht“. Europäer, das sind nach seiner Definition neben den bisherigen Mitgliedsstaaten auch die derzeitigen Nicht-Mitgliedsländer auf dem Balkan, in Skandinavien und die Schweiz. Nicht dazu gehören darf hingegen die Türkei. Ihr schlug Sarkozy, ebenso wie den nordafrikanischen Ländern, eine “privilegierte Partnerschaft“ vor. Das bedeutet: Militärabkommen plus die Anwendung von Freihandelsregeln. Zuzüglich der Möglichkeit, Studierende an Universitäten in der EU zu schicken. Bei dieser Frage dürften Nicolas Sarkozys Vorstellungen bei der deutschen CDU/CSU sicherlich auf offene Ohren treffen.