Schäuble will Renteneintrittsalter weiter nach hinten schieben

JU-Vorsitzender Ziemiak plädiert für das Arbeiten bis 70

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Nachdem der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Horst Seehofer das von SPD und Grünen eingeführte "Riester"-Privatrentenmodell wegen hoher Beiträge, niedriger Zinsen und geringer Nachfrage für gescheitert erklärte, ist in der Großen Koalition eine neue Rentenreformdebatte in Gang gekommen: CDU-Generalsekretär Peter Tauber kündigte auf Seehofers Äußerung hin an, seine Partei werde dazu eine "einheitliche Haltung" herbeidiskutieren und mit dieser dann an die SPD herantreten.

Das CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn stellte solch eine "einheitliche Haltung" und eine daraus folgende "kleine Rentenreform" schon für das Jahr 2016 in Aussicht. Voraussetzung dafür ist seinen Worten nach jedoch, dass die "konkrete Sacharbeit" keine "alarmistischen Überschriften" produziert. Dieser Hoffnung hat Finanzminister Wolfgang Schäuble nun ein Ende gesetzt:

Der schwäbisch sprechende Badener produzierte mit der Bemerkung, das Rentenalter müsse weiter heraufgesetzt werden, mehr Aufmerksamkeit als Seehofer, Tauber und Spahn zusammen. Schäuble möchte, dass das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung gekoppelt und damit automatisch heraufgesetzt wird, wenn diese im Durchschnitt steigt. Dieser Konnex sollte seiner Ansicht nach in die "Rentenformel" aufgenommen werden.

Ebenfalls das Renteneintrittsalter an die durchschnittliche Lebenserwartung koppeln will der Junge-Unions-Vorsitzende Paul Ziemiack: Der Zuwanderer aus Polen nannte der Rheinischen Post dafür die vorläufige Zielzahl 70. Er selbst möchte aber schon mit 67,5 Jahren Rentenansprüche haben und die schrittweise Anhebung erst 2030 beginnen lassen.

Wahlkampfthema 2017?

SPD-Chef Sigmar Gabriel reagierte auf die Vorstöße mit der Warnung, die Rente zum Thema beim Bundestagswahlkampf 2017 zu machen. Manch Beobachter fühlt sich da an den Bundestagswahlkampf 2005 erinnert. In diesen Wahlkampf zog die CDU mit der Forderung nach einer Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 18 Prozent, während die SPD mit dem Versprechen einer Beibehaltung des damals geltenden Satzes von 16 Prozent um Wähler warb. Nach der Wahl einigten sich die Parteien nicht etwa auf den dazwischen liegenden Wert (also auf 17 Prozent), sondern erhöhten den Steuersatz auf 19 Prozent.

Schwarz-grünes Modell "Deutschland-Rente"

Bei den Grünen hatte der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir im Dezember ein mit zwei CDU-Kollegen ausgearbeitetes Rentenreformkonzept präsentiert, das er "Deutschland-Rente" nennt (vgl. Staatsverwaltete Privatrente). Diese Deutschland-Rente soll im Unterschied zu undurchsichtigen und teuren Riester-Produkten "zum Selbstkostenpreis von einem zentralen Rentenfonds verwaltet" werden, aber trotz dieser staatlichen Verwaltung vor einem "politischem Zugriff [….] geschützt" sein. Das behauptete die Politik auch von der Europäischen Zentralbank (EZB), die später in großem Umfang Schrottpapiere und Staatsanleihen von Krisenstaaten aufkaufte, bei denen man lange suchen muss, um außerpolitische Argumente für einen Erwerb zu finden.

Zudem würde auch die "Deutschland-Rente" einen Kardinalfehler der Riester-Rente nicht beseitigen: Von Altersarmut bedroht sind vor allem Geringverdiener. Die sind jedoch häufig schon zu Erwerbszeiten so knapp bei Kasse, dass sie sich keine zusätzliche Altersvorsorge in relevantem Umfang leisten können.

Anstatt eines Opt-In-Modells (wie bei der Riester-Rente) soll es bei der Deutschland-Rente lediglich eine Out-Option geben: Das heißt, der Arbeitnehmer muss explizit widersprechen, dass die Beiträge bei seinem Arbeitgeber automatisch eingezogen werden. Höhere Renditen als andere Anbieter soll der Deutschlandfonds dadurch erzielen, dass er sich an der Anlagepolitik ausländischer Staatsfonds orientiert und langfristig und breit gestreut investiert: "zum Beispiel mit einem höheren Aktienanteil als viele derzeitige Altersvorsorgeprodukte". Ob diese Rechnung tatsächlich aufgeht, ist offen.

In frühere Wahlkämpfe zogen die Grünen noch mit der Forderung nach einer "Bürgerversicherung", in die auch Beamte und Selbstständige einzahlen sollen. Diese Idee hat sich jetzt teilweise die AfD zu eigen gemacht. Als Vorbild verweist die Partei dabei aber nicht auf die Grünen, sondern auf die Schweiz: Dort ist eine gesetzliche Versicherung, in die auch Selbständige einzahlen müssen, die erste Säule der Rente. Die anderen beiden Säulen sind kapitalgedeckte Arbeitnehmerversicherungen und steuerlich geförderte Privatanlagen.

FDP-Chef möchte riskantere Anlagen erlauben

Anlagen hält auch der FDP-Vorsitzende Christian Lindner für einen Schlüssel zu Lösung des Problems drohender Altersarmut: Er schlägt in der Saarbrücker Zeitung vor, das Riester-Renten-Anbieter riskanter als bislang investieren dürfen, um die niedrigen Zinsen auszugleichen. Indirekt tragen müssten diese höheren Risiken dann aber die Versicherten. Haben sie besonders unvorteilhafte Verträge unterschrieben (wie sie beispielsweise die Göttinger Gruppe anbot, für die Hans-Dietrich Genscher warb), dann kann es sogar sein, dass sie für Spekulationsverluste zahlen müssen, anstatt etwas zu bekommen. Außerdem möchte Lindner das Renteneintrittsalter "flexibilisieren".

Die Linkspartei setzt dagegen - wie die AfD - darauf, dass auch Selbständige und andere bislang befreite Gruppen in den Rententopf mit einzahlen sollen. Dadurch will man die 2007 von Union und SPD beschlossene Erhöhung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre rückgängig machen und das Rentenniveau auf 53 Prozent anheben. Eine Einbeziehung geringverdienender Freiberufler könnte allerdings negative Konsequenzen haben: Sind die geforderten Beiträge zu hoch, führen sie potenziell dazu, dass Selbständige schon vor Erreichen des Rentenalters zu Sozialfällen werden (vgl. Erweiterung der Altersarmut ins Berufsleben).

Auch die kleinen Parteien haben Vorschläge gegen Altersarmut: Bernd Lucke propagiert mit seiner Fortschrittspartei ALFA einen "nationalen Rentensicherungsfonds, bei dem der Staat selbst - aus Steuermitteln - Vermögen bildet". Die Erträge dieses Staatsfonds sollen Geringverdienern eine Zusatzrente sichern. Voraussetzung dafür sind höhere Zinsen als jetzt, die Lucke über eine andere Zentralbankpolitik erreichen will.

Höhere Zinsen sieht auch die Bayernpartei als Antidot gegen Altersarmut. Sie fordert einen Austritt des Freistaats aus der Bundesrepublik und dem Euro-Raum und eine Rückkehr zur D-Mark oder zum alten bayerischen Gulden (vgl. Rückkehr zum Gulden?). Die Jugendorganisation der Freien Wähler setzt dagegen auf eine Lebensarbeitszeit anstatt eines festen Renteneintrittsalters: Danach soll jemand Ansprüche haben, wenn er 45 Jahre lang gearbeitet hat - auch dann, wenn er erst 60 Jahre alt ist, weil er schon mit 15 Jahren eine Lehre begonnen hat.