Scheitert das Multimediagesetz?

Provider-Lobby kritisiert Revisionisten in der "Erklärung zur Freiheit im Internet"

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Die Provider-Lobby eco warnt vor einer unheilvollen Allianz von Bundesinnenministerium, Bundesanwaltschaft und privaten Vermarktungsstrategien, die Providern gesetzeswidrig Zwangsproxies, Abhörschnittstellen und Pornoscanner aufzwingen wollen. Bedenklich für die Provider sind auch die jüngsten Pläne des Innenministerums, das IuKDG zu Lasten der Provider nachzubessern.

Anläßlich der Messe "Internet World Spring 98" in Frankfurt am Main stellte Rechtsanwalt Michael Schneider, Vorstandsvorsitzender des "eco" Electronic Commerce Forum, die "Erklärung zur Freiheit im Internet" vor. Mit der Erklärung setzen die bei "eco" organisierten Service-Provider ein deutliches Zeichen gegen die in den letzten Monaten zunehmende Behördenwillkür. Der Vorwurf des Providerverbandes: Die Behörden ignorierten den Willen des Gesetzgebers. Nun müsse man gar das Scheitern des im Juli letzten Jahres verabschiedeten IuKDGD befürchten. Grund: Das "Multimedia-Gesetz" werde von Staatsanwälten, Staatsschützern und Trittbrettfahrern des Jugendschutzes schrittweise umgedeutet, in Zweifel gezogen oder durch neue Gesetzgebungsvorhaben entwertet. Bundesanwälte fordern Filter und Zwangsproxies

Es gibt gleich mehrfachen Anlaß zu Ärger: So sorgte die Bundesanwaltschaft in ihrer Abschlußverfügung zum Fall "radikal" mit eigenwilligen Interpretationen des IuKDG für nachhaltige Verunsicherung: Entgegen aller konventionellen Lesarten erklärte sie, daß die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Provider zwar im IuKDG geregelt worden sei, doch "im Wortlaut der nunmehr Gesetz gewordenen Vorschrift keine Stütze" gefunden habe. Ergo: Auch künftig werde die Bundesanwaltschaft Provider für Internet-Inhalte im Ausland verantwortlich machen.

Zur Erinnerung: Im Paragraph 5 des Teledienstegesetzes im IuKDG heißt es:

  1. "(1) Diensteanbieter sind für eigene Inhalte, die sie zur Nutzung bereithalten, nach den allgemeinen Gesetzen verantwortlich.
  2. (2) Diensteanbieter sind für fremde Inhalte, die sie zur Nutzung bereithalten, nur dann verantwortlich, wenn sie von diesen Inhalten Kenntnis haben und es ihnen technisch möglich und zumutbar ist, deren Nutzung zu verhindern.
  3. (3) Diensteanbieter sind für fremde Inhalte, zu denen sie lediglich den Zugang zur Nutzung vermitteln, nicht verantwortlich. Eine automatische und kurzzeitige Vorhaltung fremder Inhalte auf Grund Nutzerabfrage gilt als Zugangsvermittlung.
  4. (4) Verpflichtungen zur Sperrung der Nutzung rechtswidriger Inhalte nach den allgemeinen Gesetzen bleiben unberührt, wenn der Diensteanbieter unter Wahrung des Fernmeldegeheimnisses gemäß § 85 des Telekommunikationsgesetzes von diesen Inhalten Kenntnis erlangt und eine Sperrung technisch möglich und zumutbar ist."

Diese Kompromißformel war das Ergebnis einer monatelangen Auseinandersetzung, die mit der Verpflichtung der Provider zur freiwilligen Selbstkontrolle verknüpft wurde. Die Provider investierten in der Folge "erhebliche Mittel" in Maßnahmen des Jugendschutzes sowie in eco-Projekte wie die "Internet Content Task Force" (ICTF) und die Freiwillige Selbstkontrolle der Multimedia-Diensteanbieter (FSM).

Als Vorsitzender der Beschwerdestelle der Freiwilligen Selbstkontrolle der Multimedia-Diensteanbieter (FSM) und Leiter des Direktorates "Regulation and Self-Regulation" der European Internet Service Providers Association (EuroISPA) gehört Schneider zu denjenigen, die die Auseinandersetzungen um die Inhalteverantwortlichkeit der Provider am direktesten erfahren haben. Zudem vertrat er als Lobbyist in den Anhörungen des Bundestags zum Multimediagesetz die Positionen der meisten kommerziellen deutschen Provider. Daher wußte er von Anfang an um die in den Formulierungen steckenden Unsicherheiten. Er setzte dennoch auf den ausgehandelten Deal. Doch das Haltbarkeitsdatum des Kompromisses scheint bereits überschritten sein - die schwammigen Formulierungen boten den Staatsanwälten offensichtlich zuviel Interpretationsspielraum:

Bedeutete die Formel ursprünglich für die Provider, daß sie im Regelfall nichts unternehmen müssen - da von ihnen ja nicht verlangt werden kann, daß sie im Netz auf eigene Faust Patrouille gehen und nach illegalen Inhalten suchen -, so bedeutet sie heute für die obersten Strafverfolger etwas völlig anderes: Nach ihrer Lesart ergeben sich aus dem IuKDG für die Provider die Verpflichtung, Internet-Verkehr zu filtern und zur Vorbereitungen von Sperren im World Wide Web Zwangs-Proxyserver einzurichten. Für eco klingt es dann nur noch "zynisch", wenn die Bundesanwaltschaft schreibt: "Was den finanziellen Aufwand angeht, so kann nicht außer Betracht bleiben, daß der generelle Anschaffungs- und Installationsaufwand nur einmal entsteht". Wer dies nicht tut, wird strafrechtlich verfolgt - für den Providerverband "entspricht das den Auffassungen von Regierungen in Peking und Singapur".

Ungeachtet der guten Absicht der Bundesregierung, in der Frage der Verantwortlichkeit von Diensteanbietern Rechtssicherheit zu schaffen, ist heute genau das eingetreten, was mit dem Gesetz vermieden werden sollte, aber schon lange befürchtet wurde: Rechtsunsicherheit! (Rechtsunsicherheit als Programm!). Euphorisch hatte sich Justizminister Schmidt-Jortzig noch im Juli vergangenen Jahres gegeben: "Die Regelung trägt auch zur Planungssicherheit der in Deutschland in diesem Wirtschaftszweig tätigen Unternehmen bei. Die Mehrzahl der technischen und juristischen Experten hält die vorgeschlagene Regelung für erforderlich, geeignet und angemessen, um das angestrebte Ziel zu erreichen" usw. usf. - Schnee von gestern.

Auch die aggressive Vermarktungsoffensive für den Pornoscanner "Perkeo" (Knüppel im Sack) ließ bei den Providern bereits die Alarmglöckchen klingeln. Michael Schneider: "In einem Klima, in dem bereits staatliche Stellen Gesetze in Frage stellen, ist es kaum verwunderlich, daß private Trittbrettfahrer Kapital aus der allgemeinen Verunsicherung schlagen." So weist die private Softwarefirma denn in ihrer Werbebroschüre auch ganz freiherzig darauf hin, daß bei deutschen Providern "die Angst umgeht; die Angst vor der Staatsanwaltschaft, die unerbittlich ermittelt."

Kanther will Überwachung perfektionieren

Ein weiterer Knackpunkt im Verhältnis zwischen Providern und Behörden sind die Pläne der Bundesregierung: So will das Kabinett in den nächsten Wochen die Telekommunikationsüberwachungsverordnung (TKÜV) erlassen, die den Providern jährliche Kosten in fünfstelliger Höhe aufbürden wird. Bei einer konsequenten Umsetzung der Verordnung bedeutet das für die meisten den ökonomischen Tod. Aber nicht nur das macht "eco" Sorgen, auch wird im BMI seit Monaten an einer Novellierung des Teledienste-Datenschutzgesetzes gearbeitet. Ziel: Die Branche soll einer gesetzlichen Auskunftsverpflichtung unterworfen werden und dafür auf eigene Kosten Abhörschnittstellen und spezielle Kundendatenbanken installieren, um staatlichen Stellen eine jederzeitige Zugriffsmöglichkeit zu bieten.

Es ist selbstverständlich nichts dagegen einzuwenden, wenn Ermittlungsbehörden und Jugendschützer ihren gesetzmäßigen Auftrag erfüllen. Etwas anderes ergibt sich jedoch, wenn der Schutz der Privatsphäre im Internet in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt wird, oder wenn Provider dazu angehalten werden, den großen Lauschangriff auf ihre Kunden mit großem Aufwand gleich selbst durchzuführen.

Michael Schneider, eco

Generell zeigen die Pläne, daß sich die Bundesregierung nie ganz von einer harten Lösung verabschiedet hat. Das Kryptogesetz wurde lediglich verschoben, seit 1995 wurden die Überwachungsbefugnisse systematisch an den liberalisierten Telekommunikationsmarkt "angepaßt" und damit ausgeweitet. Bislang haben sich große Carrier und Provider öffentlich nicht kritisch zu den Regierungsplänen geäußert. Offensichtlich wird diese Stillhaltepolitik von den Hardlinern in den Ministerien und Behörden mißverstanden. Eco fordert daher jetzt mit Recht die Interessenvertreter der Internet-Wirtschaft auf, "die Entwicklung in Deutschland kritisch zu beobachten, und, wo immer dies möglich ist, unverhältnismäßigen Einschränkungen der Informations- und Kommunikationsfreiheit entgegenzuwirken".

In einer ersten Stellungnahme begrüßte der forschungspolitische Sprecher der Bündnisgrünen im Bundestag, Manuel Kiper den Vorstoß auf "eco": "Wenigstens wachen die Provider auf und besinnen sich darauf, daß die Regierung eigentlich angetreten ist, ihre Interessen zu schützen." Nach Ansicht von Kiper zeige jedoch die Bereitschaft der Bundesregierung aus wahlkampftaktischen Gründen den rechten Rand abzudecken und damit "ihren Freunden in der Wirtschaft zu schaden" ihre verzweifelte Lage. Man müsse jedoch auch bedenken, daß das IuKGD nie dazu gedacht wurde, den Providern wirklich den Rücken zu stärken. Kiper: "Wenn die Provider jetzt aufwachen, ist das ausgesprochen positiv. Leider sind die Gesetze, zu denen sie schon früher lauter hätten protestieren müssen, schon verabschiedet."